Kommunikation um Kriegsziel Und wieder muss sich Scholz fragen lassen, was er eigentlich meint

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): "Ich habe immer schnell entschieden"
© Phill Magakoe / AFP
"Russland darf nicht gewinnen, die Ukraine muss bestehen", sagt Olaf Scholz. Keine weiteren Fragen, außer: Was soll das bedeuten? Erneut befeuert der Bundeskanzler eine Debatte, die er eigentlich abzustreifen versucht.

Olaf Scholz ist offenkundig niemand, der sich unnötig verbal ausbreitet oder eindeutig festlegt. Ein Rückblick:  

  • Die ersten Wochen im Amt verbrachte der Bundeskanzler damit, allerhand Fragen zur Zukunft von "Nord Stream 2" zu parieren. Den Namen der Gaspipeline sprach er im Zusammenhang mit dem damaligen Aufmarsch der russischen Truppen gar nicht erst aus.  
  • Dann wollte sich Scholz weder auf direkte noch indirekte Lieferung deutscher Waffen an die Ukraine festnageln lassen. Es folgte eine Kehrtwende unter dem Schlagwort "Zeitenwende", deren konkrete Ausgestaltung aber noch ausbuchstabiert wird.
  • Schließlich drängte sich die Frage auf, warum der Kanzler nicht nach Kiew reist. Scholz hat seine Gründe, allerdings immer wieder neue.

Scholz vermeidet es, Pflöcke in den Boden zu schlagen, um Handlungsspielräume zu erhalten. Die einen nennen das abwägend, die anderen zaudernd. Scholz meint: "Ich habe immer schnell entschieden." Sein Kurs sei, "dass wir besonnen und mit klarem Verstand handeln", Entscheidungen nicht unter PR-Gesichtspunkten getroffen würden, sondern jede mit Blick auf mögliche Konsequenzen "sorgfältig abgewogen" werden müsse.

Insofern darf man dem Kanzler unterstellen, dass er auch seine Worte zu den politischen Zielen der Bundesregierung sorgfältig abgewogen hat, die mit ihrem Engagement in der Ukraine verbunden sind: "Russland darf nicht gewinnen, die Ukraine muss bestehen", sagte er dazu in einer Regierungserklärung am Donnerstag. Keine weiteren Fragen, außer: Was bedeutet das?

"Ich befürchte, dass der Bundeskanzler nicht will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt"

Für Scholz, dass er die nächste Debatte um seine zögerliche Haltung und Kommunikation am Hals hat, bietet seine Formulierung doch wieder allerhand Raum für Spekulationen – während andere Bündnispartner ihre Ziele konkreter benennen:

  • "Natürlich hoffe ich sehr, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt", sagte Estlands Ministerpräsidentin Katja Kallas. "Dabei ist vor allem wichtig, dass Putin diesen Krieg nicht gewinnt und dass er auch nicht denkt, dass er diesen Krieg gewonnen hätte."
  • "Wir werden schneller handeln und weitergehen, um Russland aus der gesamten Ukraine zu verdrängen", sagte Großbritanniens Außenministerin Liz Truss. Damit wäre auch die Krim-Halbinsel gemeint, die Russland 2014 annektiert hatte. Ein Sieg der Ukraine in diesem Krieg sei nun ein "strategischer Imperativ" für den Westen, so Truss.
  • "Sie wird weitergehen, bis wir einen endgültigen Erfolg sehen", sagte US-Außenminister Antony Blinken zur Unterstützung für die Ukraine. "Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu so etwas wie dem Einmarsch in der Ukraine nicht mehr in der Lage ist."

Die Opposition erhebt unlängst schwere Vorwürfe gegen den Kurs des Kanzlers. Bei der Lieferung von schweren Waffen spiele Scholz auf Zeit, monierte CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter am Sonntag. Schließlich hätten der Ukraine der Schützenpanzer Marder und der Kampfpanzer Leopard längst bereitgestellt werden können. "Ich befürchte, dass der Bundeskanzler nicht will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt", unterstellte Kiesewetter dem Kanzler. "Gewinnt in dem Sinne, dass die russischen Truppen aus dem Land getrieben werden."

Sicher ist, dass aus Scholz' Formulierung, Russland dürfe "nicht gewinnen" und die Ukraine müsse "bestehen", kein eindeutige Idee für eine Nachkriegsordnung erwächst. Das ist offensichtlich so gewollt: "Deutschland formuliert keine konkreten Kriegsziele", zitierte "Tagesschau.de" die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. "Außer der Bedingung, dass es keinen Diktatfrieden geben wird. Die konkreten Kriegsziele sind Sache der Ukraine".

Was folgt daraus?

Diese Unschärfe wirft jedoch Fragen auf – die sich rächen könnte, je länger der Krieg dauert, meint Markus Kaim. "Ohne diese klare Festlegung beziehungsweise Priorisierung drohen dem militärischen Engagement Maß und Richtung zu fehlen", schreibt der Experte für Sicherheitspolitik in einem Gastbeitrag für den "Spiegel". Das lasse "langfristig die politische Zustimmung in der Öffentlichkeit erodieren." Zwar werde niemand ernsthaft gegen Scholz' Ziel argumentieren, allerdings bleibe es lediglich ein "Minimalziel", so Kaim. "Denn was heißt das genau, und welche politischen und militärischen Schritte erwachsen daraus?" 

Darüber lässt sich angesichts der eher vorsichtigen statt forschen Formulierung von Scholz reichlich spekulieren, womöglich aus dem Kalkül heraus, eine weitere Eskalation mit Russland zu vermeiden. "Wir müssen uns Sorgen machen, dass es eine Eskalation des Krieges gibt", sagte der Kanzler vergangene Woche bei "RTL Direkt". Stattdessen müsse man in der Lage sein, "vernünftige, sehr bewusste und auch mutige Entscheidungen zu treffen." Putin dürfe den Krieg nicht gewinnen, das sei das Ziel. Aber die Ziele würden nicht darüber hinausgehen, "das wäre angesichts der Tatsache, dass es sich um eine Nuklearmacht handelt eine ganz falsche Zielsetzung", so Scholz.

Scholz ist zwar mit seinem Kommunikationsstil, nur das Nötigste zu sagen und im Allgemeinen zu bleiben, lange gut gefahren, letztlich bis an die Regierungsspitze. Allerdings scheint die Strategie zunehmend an ihre Grenzen zu stoßen. Erst die Coronakrise, dann der Ukraine-Krieg haben ein Begehren nach Klarheit geweckt, das offenbar nach mehr verlangt: Einer Umfrage von RTL zufolge attestieren ihm zwei Drittel der Bevölkerung, seine Politik nicht ausreichend zu erklären.

Dabei hat Scholz viel unternommen, diesen Eindruck zu zerstreuen: Einen Überraschungsauftritt bei "Joko & Klaas", ein auf Englisch geführtes Gespräch mit CNN, er stand im One-on-One bei "Anne Will" und "Maischberger" Rede und Antwort, gab vielen Print- und Onlinemedien Interviews, auch dem stern (zuletzt hier) und sprach schon in zwei TV-Ansprachen direkt zur Bevölkerung – seine Amtsvorgängerin rang sich dazu nur einmal in ihrer gesamten Kanzlerschaft durch. 

Doch seine oftmals rhetorische Zurückhaltung kann der Kanzler offenbar nicht abstreifen – was die Opposition zu verwerten weiß. "Ich fand es auch richtig, dass er in einem Interview auf mögliche Gefahren eines Atomkrieges hingewiesen hat", sagte CSU-Parteichef Markus Söder im Interview mit dem stern. "Aber dann? Dann verschwand er wieder drei Wochen von der Bildfläche und ließ die Deutschen mit dieser Sorge alleine. Und als er sich dann endlich äußerte, verstand niemand, was er eigentlich sagen wollte."