Kanzler im RTL-Interview Scholz erklärt einiges, aber nicht alles: drei Erkenntnisse aus der TV-Fragestunde

Moderatorin Pinar Atalay und Bundeskanzler Olaf Scholz
Moderatorin Pinar Atalay begrüßt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei "RTL Direkt Spezial mit Olaf Scholz – Kann der Kanzler Krise?"
© Andreas Friese / RTL / DPA
Bundeskanzler Olaf Scholz hat in einem rund 60-minütigen Interview den Versuch unternommen, seine Politik besser zu erklären. Mit Erfolg?

Olaf Scholz ist seit 161 Tagen in Amt und Würde, das ist gemessen an seiner Vorgängerin noch keine lange Zeit, Angela Merkel hat ihm noch 5699 Tage voraus, doch eigentlich genug, um mit seinen Ansichten, Plänen und Botschaften zu den Bürgerinnen und Bürgern durchgedrungen zu sein. Oder?

Auch nach sechs Monaten im Kanzleramt muss sich Scholz immer noch erklären. Das verlangt das Amt, keine Frage, aber offenkundig auch seine Art zu kommunizieren. "Wo ist Olaf Scholz?", hieß es zu Beginn seiner Kanzlerschaft, als es seltsam still um den ohnehin eher wortkargen Hanseaten wurde. Später: "Was nun, Herr Scholz?", als sich allerhand Fragen zum Kurs der Bundesregierung im Ukraine-Krieg anhäuften. Nun lautet die Frage: "Kann der Kanzler Krise?"

Rund eine Stunde lang stellte sich Scholz bei "RTL Direkt" dieser und weiteren Fragen von Pinar Atalay und vier Bürgerinnen und Bürgern, um – wie er zu Beginn der Sendung versprach – "über alles zu sprechen und alles zu erklären". In der Tat wurden allerhand Themen verhandelt, vom Ukraine-Krieg über steigende Energiepreise bis zur vergeigten NRW-Wahl, doch sollten auch nach Scholz' Erklärungen Fragezeichen bleiben. Die Erkenntnisse.

1. Eine Reise nach Kiew steht nicht an, aus (neuen) Gründen

Wann wird er nach Kiew reisen? Anfangs hüllte sich Scholz in Schweigen, später erklärte er, die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch die ukrainische Regierung sei das Hindernis. Mittlerweile haben Deutschland und die Ukraine die "Irritationen der Vergangenheit" ausgeräumt, einer Reise würde somit nichts mehr im Weg stehen. Doch nun .

"Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus und einen Fototermin was machen", so Scholz im RTL-Interview, "sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge." Wenn der Kanzler nach Kiew reist, dann nicht aus PR-Gründen – so die Botschaft.

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Beim Versicherungsmakler Philip Meyer kam diese nicht gut an: "Es kann doch nicht sein, dass sie als Bundeskanzlers dieses Landes die Symbolik, diese Bilder unterschätzen", sagte er. Scholz müsse in seinen Augen "schleunigst" in die Ukraine reisen, bestenfalls regelmäßig, weil das die Menschen "motiviere". 

Er unterschätze gar nichts, sagte Scholz, der leicht überrumpelt wirkte. Was er nicht sagte: Der Kanzler will offenbar nicht mit leeren Händen nach Kiew reisen. Die Ukraine fordert unlängst weitreichendere Waffenlieferungen, auch von der Bundesrepublik. Und dennoch: Auch ein symbolischer Besuch würde Solidarität mit der Ukraine demonstrieren, viele Staatslenker:innen haben dies bereits getan. Zumal der Kanzler "jederzeit willkommen" sei, wie zuletzt Außenminister Dmytro Kuleba betonte, "zu jedem Zeitpunkt, der ihm passt." Scholz könnte Gefahr laufen, dass seine konstante Weigerung symbolischen Charakter annimmt. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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2. Der Kanzler will in die Kommunikations-Offensive…

Scholz hat viel versucht: Einen Überraschungsauftritt bei "Joko & Klaas", ein auf Englisch geführtes Gespräch mit CNN, er stand im One-on-One bei "Anne Will" und "Maischberger" Rede und Antwort, gab vielen Print- und Onlinemedien Interviews, auch dem stern (zuletzt hier) und sprach schon in zwei TV-Ansprachen direkt zur Bevölkerung – seine Amtsvorgängerin rang sich dazu nur einmal in ihrer gesamten Kanzlerschaft durch. 

Folglich behauptete der Bundeskanzler bisher, dass er seine Politik ausreichend erkläre. "Die Führung besteht darin, dass ich nicht jedem, der laut ruft, nachgebe, sondern ganz klar sage, wie der Kurs ist", sagte Scholz noch Anfang Mai. Offenkundig nicht klar genug: Eine Mehrheit der Deutschen sieht das laut einer aktuellen Umfrage anders, wie RTL-Moderatorin Atalay dem Kanzler vorhielt. 

Eine gewisse Schieflage wollte Scholz darin zwar nicht erkennen, immerhin sei er ja zu Gast "um über alles zu sprechen und alles zu erklären", doch scheint er die Kritik an seiner Kommunikation wenigstens wahrgenommen zu haben. "In diesen Zeiten ist es besonders wichtig, unser Handeln immer wieder zu erklären", kündigte der Kanzler seinen TV-Auftritt auf Twitter an, besonders der Krieg in der Ukraine treibe viele um. "Deshalb stelle ich mich heute Abend den Fragen von Pinar Atalay und Bürgerinnen und Bürgern bei RTL." 

Verbale Vulkanausbrüche sind vom Kanzler künftig dennoch nicht zu erwarten. Scholz ist niemand, der sich verbal unnötig ausbreitet. Damit ist er lange Zeit gut gefahren, bis an die Regierungsspitze. Im Wahlkampf ist er kaum aufgefallen, auch nicht negativ. Und wer nicht negativ auffällt, weckt Vertrauen. Das war seine Strategie, das Kanzleramt seine Prämie.

Nur scheint diese Strategie immer häufiger an ihre Grenzen zu stoßen. Erst die Coronakrise, dann der Ukraine-Krieg haben ein Begehren nach Klarheit geweckt, das nach mehr verlangt als das mechanische Abspulen von Aussagesätzen, für die er als "Scholz-o-Mat" verspottet wurde

Geht es nach Scholz, soll man ihn offenbar an Ergebnissen messen. "Ich will da einen Stil prägen", sagte er im Antrittsinterview der "Zeit". "Es sollte ums Machen gehen und nicht um die Show." Was er mache, wenn er zum ersten Mal sein Büro als Kanzler betritt? "Ich mache mich an die Arbeit", sagte er dem stern

3. …aber Scholz bleibt Scholz

Wenngleich Scholz im RTL-Interview auf allerhand Fragen einging, so routiniert ließ er hier und dort Kritik abperlen, musste mitunter zu einer deutlichen Antwort gedrängt werden.

Die SPD hat die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eigentlich krachend verloren. Und jetzt? "Jetzt wird natürlich noch mal geguckt, was es für Regierungsmöglichkeiten gibt", so Scholz. Immerhin hätten "die Parteien, die in Berlin, die in Deutschland die Bundesregierung stellen" eine Mehrheit im Landtag. "Vielleicht ergibt sich daraus ja auch was."

Was er und seine eigene Rolle als Kanzler und Wahlkämpfer damit zu tun haben könnte? Er habe beim Wahlkampf gespürt, dass der "Kurs, den die Bundesregierung verfolgt, von einer großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unterstützt" werde. Bezüglich der Ukraine seien viele der Meinung, dass es richtig sei "besonnen und sehr überlegt zu agieren in so einer gefährlichen Frage." 

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Ob ihn die Kritik beeindrucke, die nach der Wahl auf ihn einprasselt? "Wenn man wegen solcher Schlagzeilen sich schwer beeindruckt fühlt, dann sollte man sich einen anderen Beruf suchen."

Wie kam es eigentlich dazu, dass Deutschland von russischer Energie abhängig wurde? Waren wir zu naiv? Die Fragen stellte die ukrainischstämmige Bürgerin und Projektkoordinatorin Viktoriia Prytuliak – und sollte zunächst eine ausschweifende Erklärung von Scholz als Antwort bekommen. Auf (zweifache) Nachfrage von RTL-Moderatorin Atalay räumte Scholz schließlich ein: "Waren wir naiv? Ja." Man hätte sich jederzeit in die Lage versetzen müssen, jederzeit andere Lieferanten in Anspruch nehmen zu können. Das war zwar keine direkte Kritik an Mitgenossen wie Ministerpräsidentin Manuela Schwesig oder Altkanzler Gerhard Schröder, aber immerhin eine klare Aussage. 

Am Ende des Interviews sah RTL-Moderatorin Atalay "überall noch etwas Skepsis in den Augen", was mitunter dazugehöre. Sie schlug ein weiteres Treffen im Laufe des Jahres vor um abzuklopfen, was von Scholz' Bundesregierung wirklich umgesetzt wurde. "Die Leute nehmen sie beim Wort", so Atalay. "Unbedingt", antwortete Scholz.