Debakel um Kevin McCarthy Peinliches Kammerspiel: Wie das republikanische Drama nach (mindestens) elf Akten enden könnte

Parteikollegen reden auf Kevin McCarthy ein
In Bedrängnis: Ob und wie lange sich Kevin McCarthy im Rennen im den Sprecherposten wird halten können, ist unklar
© Alex Brandon / AP / DPA
Für Kevin McCarthy und "seine" Grand Old Party ist es zum historischen Haare-Raufen. Während sich die Republikaner im Repräsentantenhaus gegenseitig an die Gurgel gehen, steht der Machtapparat in Washington still. Drei Möglichkeiten, wie wieder Ordnung in den Kongress einkehren könnte.

Es ist ein Drama in – Stand jetzt – mindestens elf Akten. Auch am dritten Tag konnte der kalifornische Abgeordnete Kevin McCarthy im neunten und zehnten Wahlgang nicht die nötige Mehrheit hinter sich bringen und das Geschacher um den Posten als Sprecher des Repräsentantenhauses beenden. Seit 100 Jahren hat sich kein Kandidat so schwergetan.

Mehrere erzkonservative Republikaner verweigerten dem 57-Jährigen erneut ihre Unterstützung (hier lesen Sie die Hintergründe). Dabei ist McCarthy angesichts der ohnehin dünnen Mehrheit der Konservativen auf geschlossene Reihen innerhalb der eigenen Partei angewiesen. Ohne einen Sprecher steht das Repräsentantenhaus, eine von zwei Kammern, die gemeinsam mit dem Senat den US-Kongress bildet, schlichtweg still. Sollte die Krise in der Grand Old Party allerdings weiter anhalten, könnte die ganze Nation die Konsequenzen zu spüren bekommen.

Drei Szenarien, wie das selbstverschuldete Debakel doch noch enden könnte.

1. McCarthy setzt sich doch noch durch

218 ist die magische Zahl, der McCarthy entgegenfiebert. So viele Stimmen bräuchte der bisherige Minderheitsführer der Republikaner, um das Rennen um den prestigeträchtigen Sprecher-Posten doch noch für sich zu entscheiden. Bislang kam er nicht über 203 Unterstützer hinaus.

Wie schon nach seiner ersten Blamage am Dienstag bemühte er sich auch vor Anlauf Nummer drei am Donnerstag darum, mindestens 15 der Abtrünnigen 20 auf seine Seite zu ziehen. Wie die "New York Times" am Nachmittag berichtete, soll McCarthy den erzkonservativen Zauderern abermals neue Zugeständnisse gemacht haben. Die würden ihn in seiner Rolle als Sprecher allerdings erheblich schwächen und dem ultrakonservativen rechten Flügel einen wichtigen Präzedenzsieg bescheren. Im Gegenzug könnte das Parteiestablishment McCarthys allzu großzügigen Kuhhandel als Einknicken und somit als Schwäche deuten.

Nun besagt keine Regel, dass der Kandidat die Mehrheit ausschließlich aus den eigenen Leuten stellen muss. McCarthy könnte auch versuchen, einige wankelmütige, beziehungsweise kompromissbereite Demokraten für sich zu gewinnen. Dass das (zumindest alsbald) klappt ist jedoch eher unwahrscheinlich – schließlich dürften die Demokraten an dem peinlichen Schauspiel ihrer Gegner durchaus Freude finden.

Sind ihm die Kosten für die Befriedung der eigenen Mannschaft zu hoch oder das Verbrüdern mit eigentlichen "Feind" zuwider, könnte McCarthy auch auf eine Zermürbungstaktik setzen. Wie die britische BBC allerdings richtig anmerkt, wäre das die Definition von Wahnsinn: Immer wieder das Gleiche tun, aber andere Ergebnisse erwarten.

Zudem nähme er billigend das Risiko eines langfristigen Regierungsstillstands in Kauf. Ausgeschlossen ist das Horrorszenario nicht: 1855/56 brauchten die Abgeordneten 133 Wahlgänge in zwei Monaten, bis eine Seite endlich nachgab und Ordnung einkehrte.

2. McCarthy gibt sich geschlagen

Natürlich könnte der 57-Jährige auch einfach das Handtuch schmeißen, schließlich ist die Geduld seiner bisherigen Unterstützer ist endlich. Dass seine Gegner den längeren Atem haben, zeigte sich spätestens am Mittwoch, als nicht einmal das Machtwort der vermeintlichen Lichtgestalt Donald Trump die Aufrührer zu Einsicht bewegen konnte. Dabei sind die eigentlich allesamt glühende Trumpisten. 

Sollte McCarthy kapitulieren, wäre wohl Steve Scalise zur Stelle. Der Abgeordnete aus Louisiana gilt Berichten zufolge nicht nur als wichtigster Stimmzähler der Partei, sondern dürfte für alle Parteiströmungen – von moderat bis weit Rechtsaußen – ein akzeptabler Kompromiss sein. Das Problem: Scalise will den Job vielleicht gar nicht. Und selbst wenn, könnte ihm seine bisherige Unterstützung für McCarthy zum Verhängnis werden. Die beiden sind sich womöglich schlicht zu ähnlich. Ansonsten dürften sich der ultrakonservative Flügelmann Jim Jordan (der die Meuterer auf seiner Seite hätte) und der etwas weniger konservative Jim Banks aus Indiana, Chef des konservativen Republican Study Committee, bereits die Finger lecken. Die beiden könnten jedoch wiederum zu rechts für die Parteimitte sein.

Dass McCarthy am Ende trotz Favoritenrolle den Kürzeren zieht, wäre übrigens keine Premiere. Bereits 2015 hatten ihm die Mitglieder des sogenannten "Freedom Caucus" den Sprecherposten verwehrt. Nur hatte er damals gar nicht erst für den Posten kandidiert. Nachdem die Vereinigung vom rechten Parteiflügel den damaligen Amtsinhaber John Boehner abgesägt hatte, wäre McCarthy eigentlich der logischer Nachfolger gewesen – hätten sich die Erzkonservativen nicht gegen ihn gestellt.

3. Republikaner und Demokraten einigen sich auf einen Alternativkandidaten

Das dritte Szenario wäre ein Kompromiss der Republikaner und Demokraten. Zumindest im Kleinen, im Repräsentantenhaus von Ohio, ist den beiden fast schon verfeindeten Parteien kürzlich ein solch wundersamer Kompromiss gelungen. Auf Bundesebene ist offenbar der gemäßigte republikanische Abgeordnete Don Bacon eine solche Alternative. Medienberichten zufolge hat sich der General aus Nebraska bereits vor Wochen dazu bereiterklärt, im Fall der Fälle mit den Demokraten zusammenarbeiten zu wollen. Gleiches gelte für den ehemaligen Abgeordneten Fred Upton, der seinerzeit sogar für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump votiert hat. Theoretisch wäre Upton eine Option – zwar ist es Tradition, doch muss der Sprecher kein aktuelles Kongressmitglied sein. Obwohl die Trumps Aura offenbar Einiges von ihrem einstigen Glanz verloren hat, ist es fraglich, ob die Zeit schon reif für einen trump-kritischen Republikaner ist. 

Dem Magazin "The Hill" zufolge gab der demokratische Fraktionsführer Hakeem Jeffries noch am Dienstagabend an, bisher weder von der republikanischen Führungsriege, noch von einzelnen konservativen Abgeordneten kontaktiert worden zu sein. "Wir suchen einen Partner, der bereit ist, Probleme für das amerikanische Volk zu lösen und nicht die Republikaner vor ihrer Dysfunktion zu retten", so Jeffries.

Wer auch immer für beide Seiten in Frage käme: Als Sieger stünden in jedem Fall die Demokraten da. Allein von dieser Vorstellung dürfte so manch ein Erzkonservativer Bauchschmerzen bekommen. Jeder Republikaner, der auch nur einen Finger in Richtung Links aussteckte, wäre beim rechten Flügel unten durch.  

Dass die beiden großen Parteien auch nur für einen wohltuenden Moment des Pragmatismus über ihren Schatten springen, ist allerdings ohnehin zu bezweifeln.

Quellen: "BBC"; "The Hill"; "Vox"

Hinweis: Dieser Text wurde nach dem zehnten Wahlgang aktualisiert.