Kommentar Zur Lage von George W. Bush

Glauben ihm die Bürger - oder glauben sie ihm nicht? Auch wenn US-Präsident George W. Bush derzeit geschwächt erscheint, ist es für einen Abgesang zu früh. Seine Rede zur Lage der Nation könnte eine Trendwende einläuten.

Es ist nicht mehr die harsche, die kriegerische Rhetorik der früheren Jahre, der ersten Periode Bush. Im Gefolge der Anschläge des 11. September, in seiner ersten Rede zur Lage der Nation nach dem Schock, den die Al-Kaida-Terroristen ausgelöst hatten, da warnte US-Präsident George W. Bush noch vor der "Achse des Bösen". Das war vor dem Irak-Krieg, das war, bevor der Anti-Terror-Kampf voll entbrannte, das war, als der entschlossene Präsident sich des Rückhalts in der Bevölkerung noch sicher sein konnte.

Heute ist das alles anders. Am Dienstagabend – Washingtoner Zeit – hielt Bush wieder eine Rede zur Lage der Nation. Und wieder ging es vor allem um den Anti-Terror-Kampf und die Rolle der Amerikaner in der internationalen Politik. Dabei hat sich Bushs Rolle maßgeblich gewandelt. Seine Politik, seine Regierung und deren Methoden sind schon lange nicht mehr unumstritten. Er ist nicht mehr Angreifer, sondern Verteidiger – und das in einer Zeit, in der die Republikaner im Abgeordnetenhaus und im Senat um ihre Mehrheiten bangen müssen, in der Bush Gefahr läuft, dass ihn eine demokratische Kammer demnächst lähmt. Abschreiben darf man diesen Präsidenten deshalb noch nicht.

Kritik von Paul Bremer

Abschreiben darf man Bush nicht, weil die Entwicklung vom Angreifer hin zum Verteidiger nur folgerichtig ist. Der Anti-Terror-Kampf der USA durchlebt gerade seine zweite, seine demokratische Phase. Während in der ersten Phase des Schockzustand noch jedes Mittel zur Abwehr des Terrorismus notwendig und gerechtfertigt erschien, während es darum ging, wieder Ordnung – egal, was für eine – herzustellen, muss sich der oberste Heerführer nun für die gewählten Strategien verantworten und rechtfertigen. Dabei bestimmen nicht das Gefangenenlager auf Guantanamo und nicht mehr die möglichen Folter-Praktiken des CIA im Ausland die amerikanische Debatte, sondern es geht vor allem um zwei andere Fragen: Hat der Präsident die richtige Strategie zur Demokratisierung und Befriedung des Irak gewählt? Ist der Blutzoll gerechtfertigt, den die US-Truppen hier vor Ort entrichten? Und zum Zweiten, hat der Präsident bei der Terrorismus-Bekämpfung im Innern das Recht gebrochen? Namentlich im Fall der Abhöraktionen ohne richterliche Verfügung. In beiden Punkten steht Bush am Pranger. Im Irak schürt die anhaltende Gewalt durch Aufständische Zweifel an der Effektivität der US-Militärstrategie. Es gibt prominente Kritiker. Erst vor kurzem hat etwa der Ex-Chef der Zivilverwaltung im Irak, Paul Bremer, ein Buch veröffentlicht, in dem er bemängelte, dass die USA zu Beginn der Besatzung zu wenig Truppen entsandt haben und zu unentschlossen aufgetreten sind. Innenpolitisch steht Bush wegen des umstrittenen Lauschangriffs ohne richterliche Erlaubnis in der Kritik. Zwar ist die Rechtslage noch umstritten - kein Gericht hat bisher eindeutig einen Rechtsbruch festgestellt – und auch die Haltung der der Bevölkerung ist nicht eindeutig, aber dennoch lastet auch dieses Thema auf Bush. Durch den Abramoff-Skandal und die Diskussion um den mangelhaften Katrina-Einsatz sind die Umfragewerte des Präsidenten weiter in den Keller gesackt.

Scheitern die USA im Irak, scheitert die globale Strategie

Aber noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Umfragen können sich schnell wieder drehen. Für einen Abgesang auf den Präsidenten ist es in jedem Fall zu früh. Gelingt es Bush, die Bürger davon zu überzeugen, dass er als Kriegspräsident und Beschützer verantwortungsvoll im Sinne amerikanischer Sicherheit gehandelt hat, könnte er binnen kürzester Zeit aufsteigen wie Phoenix aus der Asche - als Kriegsheld, der beides beherrscht, Angriff und Verteidigung. Aus diesem Licht betrachtet war die jüngste Rede Bushs durchaus gelungen. Er beschrieb die Eckpunkte der globalen Strategie seiner Regierung. Sicherheit für die USA gibt es, so das Credo, wenn Demokratie sich in den Krisenherden dieser Welt durchsetzt, wenn der Westen diese nicht den Terroristen überlässt. Der Irak hat im Rahmen dieser globalen Strategie eine Vorbild-Funktion mit eindeutiger Fallhöhe: Scheitern die USA im Irak, könnten die USA auch global scheitern. Einen übereilen Truppen-Rückzug werde es deshalb nicht geben, das untergrabe die Glaubwürdigkeit Amerikas. Die Abhör-Aktionen begründete der Präsident mit seinen verfassungsrechtlich verankerten Befugnissen. Mit seinem Verweis darauf, dass er die Abhängigkeit der USA von Öl-Importen reduzieren wolle, machte Bush zudem deutlich, dass er seiner Strategie einen umfassenden Sicherheitsbegriff zugrunde legen will: Wir denken an alles, sollte das heißen. Glamouröse Aussagen sind das nicht, aber Aussagen, die durchaus verfangen können. Eine Alternative gab es ohnehin nicht. Mit neuen innenpolitischen Projekten, mit einem großen wirtschafts- oder sozialpolitischen Wurf, konnte Bush ohnehin kaum punkten. Große Gaben verhindert der klamme Staatshaushalt, zudem ist die Rentenreform, die der Präsident im vergangenen Jahr noch großspurig verkündet hatte, jämmerlich versandet.

Play it again, Sam

Bei näherer Betrachtung ist Bush demnach in keiner ganz so schlechten Lage, wie es einige Umfragen vermuten lassen. Zudem hat er sogar Glück, weil sich ihm in den vergangenen Monaten auf der internationalen Bühne eine Chance eröffnet hat, die Rolle des Verteidigers abzulegen und in die Rolle des verantwortungsvollen und mit allen Wassern gewaschenen Staatsmannes zu schlüpfen. Für Bush bietet der Konflikt um das iranische Atomprogramm die Chance, sich in einem weiteren Konflikt als besonnener und bündnisfähiger Staatenlenker zu profilieren. Die Tiraden des hitzigen Präsidenten Machmud Ahmadinedschad schmieden den Westen zusammen. Ein Auseinanderbrechen dieser Koalition analog zum Irak-Krieg ist nicht zu befürchten. Play it again, Sam - Bush kann sich in diesem Konflikt positiv profilieren, auch deswegen hat er ihn in seiner Rede so prominent angesprochen. Vielleicht ist die Ansprache vom Montag nicht Anlass für einen Abgesang auf Bush, sondern ein erstes Zeichen dafür, dass er es schaffen könnte, aus der Verteidigungsstellung herauszukommen.