Es war die Rede von einem diplomatischen Durchbruch in Nahost, doch bislang gibt es keine offizielle Verkündung der Waffenruhe. Nach tagelangen heftigen Kämpfen sollten nach Angaben aus Ägypten noch am Dienstag die Waffen schweigen. Doch am späten Abend teilte die im Gazastreifen herrschende radikal-islamischen Hamas über den Kurznachrichtendienst Twitter mit, dass es am Dienstag keine Übereinkunft mit Israel auf ein Ende der Gewalt geben werde.
"Bisher gibt es keine Einigung auf ein Abkommen, und es wird auch heute Nacht keine mehr geben. Alle Optionen sind offen. Unser Volk und unser Widerstand sind auf alle Möglichkeiten vorbereitet", schrieb das Mitglied des Hamas-Politbüros, Isat Rischek.
Zuvor hatte schon ein Sprecher des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mitgeteilt, bisher gebe es keine Einigung. Entsprechende Hoffnungen hatte der ägyptische Präsident Mohammed Mursi ausgelöst, der zwischen beiden Seiten vermittelt.
Waffenruhe für ein bis zwei Jahre
Am Nachmittag hatte Ägyptens Präsident Mohammed Mursi angekündigt: "Der israelische Angriff auf den Gazastreifen wird heute enden. Die Bemühungen um eine Waffenruhe zwischen der palästinensischen und der israelischen Seite werden in den nächsten Stunden positive Ergebnisse bringen." Nach Informationen des israelischen Rundfunks sollte die Waffenruhe voraussichtlich während des Israel-Besuchs von US-Außenministerin Hillary Clinton am Abend verkündet werden. Doch Clinton ist mittlerweile gelandet - und die Gefechte gehen weiter. Am Abend wurde das Gebäude, in dem die Nachrichtenagentur AFP ihre Büros hat, von israelischen Raketen getroffen.
Grundlage der Vereinbarung sei, dass Vertreter Israels, Ägyptens und der USA die Waffenruhe überwachten, hieß es. Wie der israelische Rundfunksender unter Berufung auf die Regierung in Jerusalem berichtete, soll die Vereinbarung den Menschen im Süden Israels zumindest ein bis zwei Jahre Sicherheit vor Angriffen garantieren.
Bomben auf Gaza und Beit Hanun
Nahezu zeitgleich flog jedoch die israelische Luftwaffe eine neue Offensive, bei der mindestens 16 Palästinenser getötet wurden. Auch ein israelischer Soldat kam am Dienstag ums Leben. Damit starben bei Angriffen 133 Menschen im Gazastreifen und vier in Israel. Fast 1000 Menschen wurden verletzt, die meisten von ihnen Palästinenser.
Israels Luftwaffe bombardierte nach Augenzeugenberichten verschiedene Ziele in Gaza und Beit Hanun im nördlichen Gazastreifen. Die Angriffe begannen, als gerade eine 56-köpfige Delegation arabischer Außenminister und Diplomaten auf Solidaritätsbesuch durch Gaza-Stadt fuhr. Dazu gehörten auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, und der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu.
Bei den Bombardements kamen nach palästinensischen Berichten auch zwei Kameramänner einer Fernsehstation der Hamas ums Leben. Die Luftwaffe habe ihr Auto angegriffen, obwohl es als Presse-Fahrzeug gekennzeichnet gewesen sei. Israel bestätigte nur die Luftangriffe.
Hamas richtet vermeintliche Kollaborateure hin
In der Nacht auf Dienstag bombardierte die israelische Luftwaffe nach eigenen Angaben etwa 100 Ziele im Gazastreifen. Militante Palästinenser nahmen nach einer relativ ruhigen Nacht am Morgen wieder den Beschuss israelischer Städte auf. Ein 18-jähriger Soldat wurde nach Militärangaben in der Negev-Wüste von Raketensplittern getroffen und starb an seinen Verletzungen. In Beerscheva sei ein Haus direkt getroffen worden, teilte die Polizei mit. In der Stadt Aschkelon wurde ein Mann schwer verletzt.
In Gaza-Stadt richteten Hamas-Mitglieder sechs Palästinenser wegen angeblicher Kollaboration mit Israel öffentlich hin. Die Opfer seien ohne Gerichtsverhandlung auf der Straße erschossen worden, berichteten Augenzeugen. Anschließend blieben die Leichen für Schaulustige liegen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte die Vereinten Nationen auf, ein sofortiges Waffen-Embargo gegen Israel, die Hamas und andere bewaffnete Gruppen im Gazastreifen zu verhängen und internationale Beobachter in die Region zu entsenden. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) äußerte sich besorgt über die vielen zivilen Opfer.
Diplomatische Bemühungen unter Bombenbeschuss
Neben Hillary Clinton bemühten sich am Dienstag Außenminister Guido Westerwelle und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Nahost um Deeskalation. Westerwelle begrüßte die geplante Waffenruhe. "Wenn sich das bestätigt, wäre das eine sehr gute Nachricht", sagte er am Abend in Kairo. "Vielleicht ergibt sich daraus ein Zeitfenster, das genutzt werden kann, um einen tragfähigen Waffenstillstand zu erreichen." Er warnte aber auch: "Die Arbeit ist noch nicht getan."
Der deutsche Außenminister hatte sich am Dienstag kurzfristig zur Weiterreise nach Ägypten entschlossen. Zuvor war er mit Netanjahu, Israels Staatspräsident Schimon Peres und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zusammengetroffen. Während seines Besuchs in Jerusalem heulten die Sirenen wegen eines Luftalarms. Eine Rakete aus dem Gazastreifen schlug nach Polizeiangaben außerhalb der Stadt ein.
Bei einer Pressekonferenz mit Ban Ki Moon in Jerusalem präsentierte Netanjahu sein Land als "Partner für eine langfristige Lösung". Zugleich warnte er aber auch, Israel könne jederzeit wieder zu militärischen Maßnahmen zurückkehren, sollten die Raketenangriffe militanter Palästinenser kein Ende haben. Am Vorabend hatte Netanjahu seinen engsten Ministerkreis zu einer Dringlichkeitssitzung versammelt, um über den Fortgang der Militäroperation oder eine Waffenruhe zu beraten.