Israel Krieg im Gazastreifen: Warum die Hamas trotz Guerillataktik nicht siegen kann

Noch meiden die israelischen Streitkräfte das städtische Gebiet, sie versuchen den Gazastreifen entlang einer Zone von Feldern aufzuspalten.
Noch meiden die israelischen Streitkräfte das städtische Gebiet, sie versuchen den Gazastreifen entlang einer Zone von Feldern aufzuspalten.
© IDF / dpa
Israel und die Terrorgruppe Hamas haben sich jahrelang auf diesen Krieg vorbereitet. Die israelische Armee wird weder vor brutalen Maßnahmen noch vor eigenen Verlusten zurückschrecken. Die Hamas kann nicht gewinnen, doch genau das ist ihr Ziel.

Israel rückt am Boden in den Gazastreifen vor. Der Widerstand der Hamas ist bisher verhalten. Es war zu erwarten, dass die Terrorgruppe nicht versuchen wird, "ihr" Territorium zu verteidigen, und die IDF – Israel Defence Force – am Betreten des Gaza-Streifens hindern wird. Selbstverständlich ist das nicht, die Terrorgruppe IS hat versucht, ihr "Staatsgebiet" zu halten. Ohne Erfolg. In Mossul und anderen Ortes wurden die Stellungen des IS in der Stadt zerschossen und dabei der Großteil der Kämpfer getötet. Diesen Fehler will die Hamas nicht begehen. Sie will ein unsichtbarer Feind sein und sich nicht offen zeigen. Aus der berechtigten Annahme, dass jede bekannte Position oder Befestigung von den Israelis zerbombt wird.

Kein Krieg ohne Verluste 

Israel wie auch die USA bevorzugen einen Kampf der Fernwaffen, in dem sie Jets oder Drohnen einsetzen können, gegen die der Gegner keine Abwehr hat. So wird ein Krieg ohne eigene Verluste möglich. Dafür will die Hamas kein Ziel bieten. Die Kämpfer können sich der IDF nicht frontal entgegenstellen, sie wollen sie in ihre Gebiete hineinlassen und dann überraschend zuschlagen. Auf diesen Krieg hat sich die Hamas gut vorbereitet. Das Problem dabei ist nur, dass Israel diesen Krieg erwartet und ebenfalls Taktiken entwickelt hat.

Zuerst zur Hamas. Schon vom Gerät her hat die Hamas deutlich aufgerüstet. Die Zeiten, in der sie Panzer mit RPGs (Rocket Propelled Guns) aus den 1960er bekämpfen wollten sind vorbei. Die Hamas besitzt Waffen, mit denen sie jeden israelischen Panzer zerstören kann. Bei diesen Waffen handelt es sich häufig um iranische Nachbauten sowjetischer oder russischer Systeme beziehungsweise um Nachbauten der Hamas selbst. Der Text bleibt bei den Bezeichnungen der Originale.

Leistungsfähige Panzer-Killer

Zunächst wäre die 9K135 Kornet zu nennen – sie entspricht im Groben der amerikanischen TOW. Die Rakete wird von einem Dreibeingestell abgeschossen und von einem Laserstrahl ins Ziel geführt. Das Ziel muss von ihm beleuchtet werden, damit die Rakete einschlägt. Für sie gibt es verschiedene Gefechtsköpfe, sowohl gegen Panzer wie auch gegen Infanterie. Das System hat eine hohe Reichweite. Schlägt die Rakete an geeigneter Stelle in den Panzer ein, ist seine Zerstörung unvermeidlich.

Um diese Gefahr abzuwehren, verfügen israelische Kampfpanzer über das aktive Abwehrsystem – in Europa als Trophy bekannt. Es soll die anfliegende Rakete im letzten Moment abschießen. Dagegen aber hat die Hamas eine eigene Technik entwickelt. Zwei Raketen werden in einem Twin-Werfer vereinigt. Die Zweite folgt der ersten in einem minimalen Abstand, so dass das Trophy System nicht nachladen kann.

Die Kornet ist eine äußerst gefährliche Waffe von hoher Reichweite. Im Gazastreifen findet sie aber nicht ihr ideales Einsatzfeld, weil die Distanzen kurz sind. Die Waffe selbst ist im Vergleich zu einer Haubitze handlich, aber doch schwer und auffällig. Angesichts der Luftüberwachung der Israelis ist das Einsatzspektrum begrenzt, doch sie könnte etwa aus Wohnungen von Hochhäuser heraus abgeschossen werden. Ihre Reichweite würde große Zonen des Gazastreifens abdecken, wenn die Bediener eine Sichtlinie zum Ziel finden.

Kampf auf kurze Distanz 

Neben den Kornet-Nachbauten verfügt die Hamas über kleinere Panzerkiller, die in etwa der Panzerfaust der Bundeswehr entsprechen. So wurde die RPG-7 gesichtet. Diese Waffen kann ein Kämpfer tragen, sie verfügen über einen doppelten Gefechtskopf, der im Prinzip jede Panzerung durchschlägt, vor allem dann, wenn der Panzer von der Seite oder von hinten attackiert wird. Für diese Waffen gibt es auch bunkerbrechende Gefechtsköpfe und solche gegen Infanterie. Für den Kampf in engen Räumen ist diese Waffe ideal. Sie muss nicht aufgebaut werden und ist daher äußerst mobil. Dazu besitzt die Hamas importierte und auch selbstgebaute tragbare Luftabwehrraketen (Manpads). Es ist unklar, wie leistungsfähig diese Systeme sind. Vermutlich wird die IDF Bodentruppen aus der Luft nur mit Lenkwaffen unterstützen können und nicht mit den Bord-MGs und Maschinenkanonen der Hubschraubern.

Stuktur der Untergrundkämpfer

Das Arsenal ist also da. Die Hamas wird die Vorräte an Waffen nicht in großen Lagern, sondern in vielen kleinen Verstecken untergebracht haben. Ebenso wird es keine durchgehende Kommandostruktur wie beim Militär geben. Zu groß wäre die Gefahr, dass die Israelis einen Kommandeur lebend in die Hand bekommen und unter intensiver Befragung die gesamte Struktur preisgibt. Stattdessen wird es kleine operative Gruppen geben, die darauf trainiert sind, vollkommen autonom zu agieren. Eine Methode, die Untergrundkämpfer seit dem Zweiten Weltkrieg beherzigen. Der Hamas hilft dabei, dass ihr Kriegsziel denkbar einfach ist. Es lautet, möglichst lange Widerstand zu leisten und dabei möglichst viele Israelis zu töten. Dafür sind keine koordinierten Operationen großer Gruppen notwendig. Es muss kein Durchbruch geschehen, kein Verband zerschlagen werden. Es genügt, wenn regelmäßig einzelne Fahrzeuge, Schützenpanzer oder Unterstände ausgeschaltet werden.

Guerilla und das Wasser 

Das wäre die klassische Guerilla Taktik. Dennoch wird sie nicht so aufgehen, wie die Terrorgruppe gehofft hat. Denn die Israelis sind klüger und entschlossener. Das Wesen des Guerillakrieges hat Mao Zedong in einem berühmten Satz zusammengefasst: "Der Revolutionär schwimmt im Volk wie ein Fisch im Wasser", sagte er. Der Satz romantisiert, trifft das Wesen des Kampfes aber. Der Untergrundkämpfer muss in einem Wasser schwimmen können, das ihn schützt, weil er im offenen Kampf unterliegen würde. Dieses Wasser ist die Unterstützung der Bevölkerung – ob nun aus freiem Herzen oder aus Angst – es ist aber auch die Umgebung. Der Dschungel schütze den Vietcong, die Städte die tschetschenischen Kämpfer, die unkontrollierbaren Vororte die Revolutionäre in Mittelamerika. Israels Strategie ist jetzt schon zu erkennen: Die IDF lässt das Wasser ab, in dem die Hamas schwimmen kann. Und es gibt nichts, was die Hamas dagegen unternehmen kann.

Gaza ist klein 

Bei Konflikten zwischen regulären Soldaten und Untergrundkämpfern bestand stets das Problem, dass die Soldaten zu wenige waren, um das Gebiet der Guerillakämpfer – den Dschungel, die Städte – wirklich zu kontrollieren. Die Armee konnte punktuell zuschlagen, aber sobald die Truppen abgezogen waren, gehörte die Region wieder dem Gegner. Doch der Gazastreifen ist kein unendliches Meer, die Hamas schwimmt in einem bescheidenen Becken. Israel wird dieses Becken kontinuierlich kleiner machen. Der nördliche Teil des Streifens wird derzeit eingeschlossen und vom südlichen getrennt. Die IDF meidet die stark bebauten Gebiete von Gazastadt und arbeitet sich am Strand entlang vor und versucht parallel, den Streifen entlang einer Zone von Feldern in einen südlichen und einen nördlichen Teil aufzuspalten.

Dazu kommen zerbombte Zonen, die nur eine Trümmerwüste sind. Ist die Einschließung beendet wird die IDF den nördlichen Gazastreifen durch Trümmerzonen unter israelischer Kontrolle weiter aufteilen. Ohne nennenswerte Zufuhr von Wasser und Nahrungsmittel werden die Zivilsten abziehen müssen, auch wenn sie bislang nicht gegangen sind. Oder die IDF wird Block für Block räumen und die Bewohner verschleppen. Weder Israel noch andere Länder wollen Flüchtlinge aufnehmen, aber durch die Teilung werden sie danach einfach in den südlichen Teil des Gazastreifens abgeschoben. So wird den Terroristen sowohl der urbane Raum als auch das Schutzschild Zivilisten entzogen. Echte Häuserkämpfe wird oder sollte die IDF vermeiden. Israel wird sich an dem – rücksichtslosen – Vorgehen der USA in Falludscha orientieren, der Operation Phantom Fury. Um den Aufstand niederzuschlagen, haben die USA jeden Häuserblock mit Bomben und Artillerie eingeebnet, aus dem geschossen wurde. Ganz egal, wer sich darin befand. Die ganze Stadt wurde zur Todeszone – Fire Free Zone – erklärt. Wegen der Geiseln werden sich Kommandoeinsätze nicht vermeiden lassen.

Netanjahu wird vor keiner Maßnahme zurückschrecken

Die Hamas wird sich wehren. Doch sie kann die IDF nicht besiegen, sie können der Armee nur Verluste zufügen. Hohe Verluste wird Israel nach dem Terrorüberfall der Hamas ertragen. Die militärische Führung hat schwere Verluste bereits angekündigt, das ist keine Operation, die als Spaziergang verkauft wurde. Durch den Massenmord der Hamas an den Israelis sind auch Einsätze politisch möglich geworden, die zuvor tabu gewesen werden. Etwa wenn ganze Blocks mit Zivilisten weggebombt werden, um einen Anführer der Hamas zu treffen. Nach der beispiellosen Terrortat kann die Hamas nicht darauf bauen, dass die Regierung von Netanjahu vor irgendetwas zurückschreckt – weder vor eigenen Verletzten noch vor unschuldigen Zivilisten.

Hamas will militärisch verlieren 

So wie oben beschrieben, hat die Hamas auf Dauer militärisch keine Chance, der Gazastreifen wird für sie verlorengehen. Doch wie stets im Nahostkonflikt wartet hinter jeder Kurve die nächste Wendung. Die militärische Niederlage hat die Hamas eingepreist, wie klügere Politiker im Westen bereits erkannt haben. Die Hamas-Führung hat die politische Bühne im Blick. Das rücksichtslose Vorgehen wird auch überzeugte Unterstützer Israels entsetzen. Viele Staaten und nicht allein die eingefleischten Feinde wie der Iran werden diesen Krieg als völkerrechtswidrig und als klares Kriegsverbrechen einschätzen. Auch in den Unterstützerstaaten wird diese Operation die Bevölkerung abstoßen. Die Spaltung zwischen dem Westen auf der Seite Israels und einem Großteil der Welt wird sich vertiefen. Die Annäherung zwischen Israel und einigen arabischen Staaten wird um Jahrzehnte zurückgeworfen. Der Preis für den Sieg in Gaza ist also hoch, auch für Israel.