Bereits in den ersten Tagen des Kriegs in der Ukraine gab es Gerüchte: Teile der russischen Truppen würden sich schlicht weigern, zu ihrem Einsatzort auszurücken. Inzwischen weiß man: Die ersten Armee-Einheiten wurden unter dem Vorwand einer Übung in die Ukraine gekarrt. Hunderte gefangene russische Soldaten berichten übereinstimmend, wie ihnen am 23. Februar, am Vortag des Krieges, die Mobiltelefone abgenommen worden sind und sie wenige Stunden später unter dem Vorwand eines Manövers mit unbekanntem Ziel auf den Weg gebracht wurden.
Dieselbe Geschichte erzählen auch ihre Familien und Hinterbliebene von Gefallenen, die bis heute auf die Leichname ihrer Söhne warten. Das Ziel der russischen Truppen – und auch der Zweck wurde jedoch um 4 Uhr morgens am 24. Februar offenbar: Wladimir Putin befahl einen Angriff auf die Ukraine. Noch am selben Tag soll es in der Grenzregion Belogorod zu Desertationen gekommen sein. Während diese Information nie bestätig werden konnte, wurde nun bekannt, dass es in den ersten Tagen des Krieges in den Reihen der russischen Nationalgarde zu Dienstverweigerungen gekommen ist.
Am 25. Februar weigerten sich der Kapitän Farid Tschitaw, Zugführer der operativen Omon-Kompanie "Plastun", einer Einheit der Nationalgarde in der Region Krasnodar, und elf der Angehörigen seiner Kompanie, dem Befehl des Kommandanten Folge zu leisten und die russisch-ukrainische Grenze zu überschreiten. Die Omon-Abteilung aus Krasnodar befand sich bereits seit dem 6. Februar auf der rechtswidrig annektierten Krim – unter dem Vorwand an der Übung "Zaslon 2022" teilzunehmen.
Nationalgardisten reichen Klage ein
Amtlich wurde dieser Fall der Dienstverweigerung, weil er nun vor Gericht geht. Die zwölf Soldaten der Nationalgarde wurden nach ihrem demonstrativen Schritt aus dem Dienst entlassen. Nun reichten sie eine Klage auf Wiedereinstellung ein.
Pawel Tschikow, der Anwalt der Menschenrechtsgruppe Agora, erklärte die Beweggründe der Soldaten: "Die Weigerung, den Befehl auszuführen, begründen die Kämpfer der Nationalgarde mit seiner Illegalität. Keiner von ihnen hatte einen Reisepass bei sich und beabsichtigte, das Territorium Russlands zu verlassen, da ihre offiziellen Dienstaufgaben auf das Territorium der Russischen Föderation beschränkt waren. Keiner der Kläger wurde über eine Dienstreise in das Hoheitsgebiet der Ukraine zur Teilnahme an einer speziellen Militäroperation, über die Aufgaben und Bedingungen dieser Operation informiert und hat dementsprechend ihr nicht zugestimmt", heißt es in einer Erklärung.
Die Nationalgarde unter für Wladimir Putin
Die Nationalgarde (Rosgwardija) ist im Unterschied zu normalen Polizeieinheiten direkt dem Innenministerium unterstellt. Sie gilt als Lieblingsprojekt von Putin und wird von seinem ehemaligen Leibwächter Wiktor Solotow geleitet. Die Untereinheit Omon (Mobile Einheit besonderer Bestimmung) wird primär bei Massenveranstaltungen und Demonstrationen herangezogen sowie bei kritischen Einsätzen, zur Unterstützung der russischen Polizei. Während der Regierungszeit von Putin fiel die Omon vor allem durch rigides Vorgehen gegen unbewaffnete und friedfertige Oppositionelle auf, als sie Demonstrationen gewaltsam auflöste. Der Umstand, dass ausgerechnet Kämpfer dieser Einheit ihre Kriegsverweigerung publik machen, verfügt über viel Sprengkraft.
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In der Begründung der Klage geht der Anwalt Tschikow sogar so weit, Putins Krieg für illegal zu erklären: "Das illegale Überschreiten der Staatsgrenze stellt für sich genommen eine Straftat nach Artikel 322 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation dar. Und die illegale Einreise auf das Territorium der Ukraine als Teil einer bewaffneten Gruppe bildet eine Reihe von Straftaten gemäß dem Strafgesetzbuch der Ukraine", heißt es in seiner Erklärung.