Der Krieg in der Ukraine hat Matas Maldeikis offensichtlich noch nicht den Humor geraubt. Vielleicht ist es auch nur eine Form von Galgenhumor. Denn wer weiß schon wirklich, was Wladimir Putin vorhat, und welche "russische Erde" außerhalb der Ukraine er glaubt noch zurückholen zu müssen – mit allem Recht, hergeleitet aus der Geschichte. Dass der russische Präsident sich zuletzt mit Zar Peter dem Großen verglich und an den Großen Nordischen Krieg (1700 – 1721) erinnerte, sorgte vor allem in Russlands direkten Nachbarstaaten für ein mulmiges Gefühl. Auch in Litauen, der Heimat von Matas Maldeikis.
Der 42-Jährige ist Abgeordneter im Parlament des Landes, und – absurd genug – nach eigenen Angaben Chef einer parlamentarischen Gruppe, die sich unter anderem mit guten Beziehungen zum "demokratischen Russland" beschäftigt. Umso aufmerksamer dürfte er Äußerungen eines Hardliners in der russischen Duma registriert haben, der die nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion 1991 vertraglich geregelte Unabhängigkeit Litauens als null und nichtig hinstellte. Auch der Ukraine spricht Russland bekanntlich ab, ein eigenständiger Staat zu sein. Und so darf man als Litauer in diesen Zeiten durchaus hellhörig werden. Doch Maldeikis sagte sich, was die Russen können, können wir Litauer schon lange – und zeigte über seine Social-Media-Kanäle, was in Sachen Geschichtsrevisionismus eine Harke ist.
Politiker aus Litauen: Macron, Scholz, lasst uns verhandeln!
"Wenn Russland seine Anerkennung der Unabhängigkeit Litauens von 1991 widerruft, wird Litauen den Vertrag von Polanów von 1634 widerrufen", twitterte Maldeiskis am vergangenen Donnerstag. Das hätte in der Tat weitreichende Folgen. Nach Lesart des litauischen Parlamentariers müsste sich Putin dann "der Autorität Wladylslaw IV. unterwerfen" und alle besetzten Gebiete zurückgeben. Maldeiskis schließt mit einem Slogan: "Smolensk ist litauisch!" Und hat gleich auch noch eine Spitze gegen die "Putin-Versteher" parat: "Hey, Emmanuel Macron, Olaf Scholz, ruft mich an! Lasst uns verhandeln!"
Wenn kaum ein Stein mehr auf dem anderen ist – Vorher-Nachher-Bilder zeigen massive Kriegsschäden

Schon am 24. Januar – also noch vor dem Überfall auf die Ukraine – hatte sich Maldeikis über Putins neueste Interpretation historischer Ereignisse offen lustig gemacht; in erster Linie über Äußerungen Putins, er fühle sich durch die Osterweiterung der Nato bedroht. "Ich fordere den sofortigen Rückzug der russischen Truppen aus dem historischen Einflussbereich des Großherzogtums Litauen, einschließlich Belarus und Ukraine", textete Maldeikis damals – und machte die Gebietsansprüche mit einer Karte gleich sichtbar. Und weiter: "Russlands Expansion nach Westen seit der Annexion von Nowgorod im Jahr 1478 ist eine unerhörte Provokation." Dass man darüber in Moskau nicht lachen kann, zeigte sich auf tragische Weise genau einen Monat nach dem Posting des Litauers: Am 24. Februar begann Russland seinen Überfall auf die Ukraine.
Maldeikis' Tweet schafft es ins russische Fernsehen
Gewicht bekommen die Witzeleien des litauischen Konservativen durch den Blick in die Historie. Das Großherzogtum Litauen, Ruthenien und Schemaitien existierte tatsächlich und hatte vom 13. bis 15. Jahrhundert seine Blütezeit. Damals war Litauen eine osteuropäische Großmacht, deren Gebiet die Territorien der heutigen Staaten Litauen und Belarus sowie Teile der Ukraine, Russlands und Polens umfasste. 1386 ging es eine Union mit dem Königreich Polen ein und ging dann zunehmend im gemeinsamen Staat Polen-Litauen auf. Wladylslaw IV., den Matas Maldeikis erwähnt, ein Spross der schwedischen Wasa-Dynastie, war ab 1632 gewählter Herrscher von Polen-Litauen und schloss als solcher nach zwei Jahren Krieg mit Russland ("Smolensker Krieg") den auch als "Ewiger Friede von 1634" bekannten Friedensvertrag, der im Kern die Gebietsverteilung aus der Vorkriegszeit festschrieb, ihm aber die Stadt Smolensk zuerkannte. Da ließe sich nach der Methode Putin doch glatt einiges an Gebietsansprüchen begründen ...
Matas Maldeikis fand mit seinen Forderungen übrigens Gehör in Russland. Allerdings nicht im Kreml, sondern im Fernsehen. Star-Moderator Wladimir Solowjow zitierte Maldeikis' Tweet, um dann leicht sauertöpfisch zu kommentieren: "Wenn ein litauischer Abgeordneter schreit, hört keiner zu. Wenn Putin flüstert, und sei es nur ganz leise, kann die ganze Welt erzittern." Maldeikis fand auch das witzig: "Keiner hört einem litauischen Abgeordneten zu, sagt Solowjow – während er meinen Tweet zur Prime Time im nationalen TV zeigt."
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Quellen: Twitter-Account Matas Maldeikis; Leibniz-Insitut für Europäische Geschichte Mainz; Encyclopedia Britannica; Lithuanian Hall; Deutsche Biographie