Es ist ein politischer Showdown mit Ansage. Jedes Jahr muss der US-Kongress bis Ende September einen neuen Bundeshaushalt beschließen, um zu vermeiden, dass die Vereinigten Staaten in die Zahlungsunfähigkeit schlittern. Und jedes Jahr liefern sich Demokraten und Republikaner aufs Neue erbitterte Auseinandersetzungen über Fragen der Finanzierung.
Für gewöhnlich verabschiedet der Kongress in Washington deswegen zunächst einen Übergangshaushalt, um ein paar Wochen Zeit zu gewinnen. Doch selbst eine solche Notlösung scheint in der aktuell tiefzerstrittenen Fraktion der Republikaner in weite Ferne zu rücken. Die Konsequenz wäre ein sogenannter "Shutdown" der Regierung, bei dem Staatsbedienstete zum Teil zwangsbeurlaubt werden oder vorübergehend ohne Bezahlung arbeiten müssten.
Einen solchen Stillstand will Kevin McCarthy, republikanischer Sprecher des Repräsentantenhauses, um jeden Preis vermeiden. Doch da seine Partei in der Kammer nur eine hauchdünne Mehrheit hält, hat er wenig Spielraum, um den Rechtsaußenflügel unter Kontrolle zu bringen, der sich bei den Ausgabeplänen querstellt. McCarthy steht vor der Qual der Wahl: Entweder er feilscht weiter mit den rechten Hardlinern, die darauf aus sind, die Regierung lahmzulegen – oder er geht einen Kompromiss mit den Demokraten ein, der sein eigenes politisches Aus bedeuten könnte.
Rechter Republikaner-Flügel bringt McCarthy in Bedrängnis
Am Dienstag eskalierten die parteiinternen Spannungen im Repräsentantenhaus auf dem Capitol Hill. Vorwürfe einer "Clownshow" wurden von Republikanern durch den Plenarsaal geschleudert, als eine gescheiterte Abstimmung über den Verteidigungshaushalt deutlich machte, dass die Fraktion sich nicht so schnell auf eine kurzfristige Notlösung einigen würde.
Die geplante Überbrückungsmaßnahme – bekannt als "Continuing Resolution", kurz CR – würde die Bundesbehörden bis zum 31. Oktober am Laufen halten und dem Kongress mehr Zeit verschaffen, sich auf einen parteiübergreifenden Haushaltskompromiss zu einigen. Da bislang keines der zwölf benötigten Ausgabengesetze verabschiedet wurde, führt an ein solche Überbrückungslösung eigentlich kaum noch ein Weg vorbei.
Doch einige Mitglieder des rechten "Freedom Caucus" begrüßen einen Regierungsstillstand inzwischen offen als Verhandlungstaktik, um ihren Willen durchzusetzen.
Matt Gaetz, einer der führenden Köpfe, listete die Forderungen in einem Social-Media-Post auf: "Wir wollen: Einzelne Haushaltsrechnungen pro Thema, eine Abstimmung über Amtszeitbeschränkungen, ein Votum über ein ausgeglichenes Haushaltsgesetz, die vollständige Veröffentlichung der Kapitol-Sturm-Aufnahmen und dass aufgehört wird, Geld auf dem Niveau von COVID/Biden auszugeben!", appellierte er und richtete eine unverhohlene Drohung in Richtung des Sprechers: "Die Zeit wird knapp, Kevin McCarthy." Sein Kollege, der Abgeordnete Chip Roy, forderte den Flügel auf, "die Linie zu halten" und verkündete, dass ein Shutdown nun "fast" unvermeidlich sei.
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Trump ist vor allem bei der rechten Basis der beliebteste Politiker und wird von seinen Anhängern glühend verehrt. Im Partei-Establishment sind dagegen manche überzeugt, dass die Republikaner mit einem anderen Kandidaten als dem Wahlverlierer von 2020 bessere Chancen hätten, im kommenden Jahr den wahscheinlichen Gegner, Amtsinhaber Joe Biden, zu schlagen.
Aufruhr in der republikanischen Fraktion
Nach der gescheiterten Abstimmung lagen die Nerven blank. Die republikanischen Abgeordneten überhäuften sich gegenseitig mit scharfen Vorwürfen. Während der rechte "Freedom Caucus" argumentiert, mit ihrem Stimmenentzug für massive Ausgabenkürzungen und "traditionelle republikanische Werte" einzutreten, wirft der Großteil ihnen parteischädliche Blockadetaktiken vor.
Der altgediente Republikaner Mike Simpson nahm kein Blatt vor den Mund, als er kritisierte, dass ein paar widerspenstige Mitglieder den Rest der Kammer als Geisel halten können. "Wir werden von 20 Leuten herumgeschleppt, aber 200 von uns sind sich einig", sagte er vor Reportern und kündigte an, jede einzelne Gegenstimme öffentlich zu machen. Sein Kollege, der konservative Abgeordnete Don Bacon, beschimpfte den rechten "Freedom Caucus" als "dysfunktionalen Caucus". Das gescheiterte Votum zeige, dass die Republikaner angesichts der drohenden Frist am 30. September und des massiven Widerstands von rechts eine Zusammenarbeit mit den Demokraten in Betracht ziehen sollten, "um eine Lösung für die festgefahrene Haushaltslage zu finden."
Er spricht damit eine Option an, die McCarthy eigentlich tunlichst vermeiden möchte. Sollten die Republikaner im Repräsentantenhaus nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen, könnte der Sprecher direkt mit den Demokraten im Senat in Verhandlungen treten und die rechten Hardliner umgehen. Eine parteiübergreifende Gesetzgebung könnte so beide Kongresskammern zügig passieren und von Präsident Joe Biden unterzeichnet werden, bevor den Bundesbehörden der Geldhahn zugedreht wird.
Doch für McCarthy persönlich könnten die Folgen fatal sein. Der 58-Jährige ist sich bewusst, dass seine politische Zukunft von der Gunst des "Freedom Caucus" abhängt.
Gerade einmal acht Monate ist es her, dass er sich ihretwegen durch 15 Wahlgänge quälen musste, bis sie ihm den Sprecherposten überließen. Die Zugeständnisse, die er den radikalen Rechten machen musste, fallen ihm nun auf die Füße. Im Gegenzug für den Sprecherposten war McCarthy den Kompromiss eingegangen, dass ein einzelner Abgeordnete reicht, um ein Misstrauensvotum gegen ihn anzustreben. Eine Drohung, die in den vergangenen Wochen mal hinter verschlossenen Türen, mal ganz offen bei "X" – vormals Twitter – vom rechten Flügel geäußert wurden. "Es wäre das Ende seiner Amtszeit", machte Ralph Norman, ein Mitglied des "Freedom Caucus", mit Blick auf einen Demokraten-Deal deutlich.
Aussicht auf Shutdown verschärft sich
So weit möchte es McCarthy noch nicht kommen zu lassen. Entgegen der scharfen Kritik des Rechtsaußenflügels kündigte der Sprecher an, die CR am Donnerstag in den Plenarsaal einzubringen. Angesichts der knappen Mehrheit von 221 zu 212 kann er sich nicht leisten, mehr als vier republikanische Stimmen zu verlieren. Und selbst wenn das Gesetz das Repräsentantenhaus passieren würde, hätte es im demokratisch geführten Senat kaum eine Chance. McCarthy und seine Verbündeten argumentieren jedoch, dass ein ausschließlich mit republikanischen Stimmen verabschiedetes Gesetz dem Sprecher einen größeren Verhandlungsspielraum mit den Demokraten ermöglichen würde.
Auch der republikanische Minderheitenführer im Senat, Mitch McConnell, versuchte den sich querstellenden Parteikollegen ins Gewissen zu reden. Er sei kein Fan eines "Shutdowns", bei dem der Finanzierungsspielraum der Regierung gekappt wird, sagte er am Dienstag. "Ich habe im Laufe der Jahre schon einige erlebt. Sie haben nie zu einer Änderung der Politik geführt. Und für die Republikaner waren sie immer ein politischer Verlust."
Dessen ist sich auch Sprecher McCarthy bewusst. In den kommenden Tagen wird er deswegen alles daransetzen, das Unmögliche möglich zu machen und den rechten Flügel zu einem Kompromiss zu überreden, bevor der Regierung ein Shutdown droht. Sein einziger Hoffnungsschimmer: Auch in der Vergangenheit kam eine Einigung immer erst kurz vor Fristende zustande.
"Noch ist nicht der 30. September", erklärte ein halb kämpferisch, halb verzweifelt wirkender McCarthy vor Reportern im Kapitol. "Noch haben wir eine lange Woche vor uns."
Quellen: "NY Times", "Washington Post", "CNN", "Reuters", mit DPA-Material