Merkel und Hollande in Moskau Zu Gast in der Welt von Zar Putin

  • von Andreas Petzold
Auf wen treffen Angela Merkel und François Hollande in Moskau? Auf einen Wladimir Putin, mit dem es schwer wird zu reden: Er will keinen Wohlstand fürs Volk, er will Russland als Großmacht sehen.

Die abrupte Reise von Angela Merkel und François Hollande nach Moskau sieht ein bisschen nach Notfall-Diplomatie aus. Es gelte, mit Konzessionen im Koffer einen eskalierenden Krieg einzudämmen - so wird das Treffen heute Abend im Kreml überwiegend kommentiert. Dass die beiden wichtigsten Regierungschefs Europas zu Wladimir Putin eilen, ohne vorab ein zumindest lose umrissenes Ergebnis vereinbart zu haben, ist kaum vorstellbar. Aber nicht ausgeschlossen, falls es Putin am Ende nur darum ginge, die Deutsche und den Franzosen als Naivlinge wieder nach Hause fahren zu lassen. Denn selbst ein vorläufiges Abkommen, ein gemeinsames Statement würde wohl kaum bedeuten, dass die eine Seite die andere überzeugt hat.

Mitleidslos gegen sein Volk

Warum ist es so schwer, mit Putin vernunftgesteuert zu reden? Weil die großen Prämissen, jene, für die es sich zu kämpfen lohnt, unterschiedlicher nicht sein könnten. Frieden und wachsender Wohlstand für das eigene Volk verfolgen die westlichen Demokratien als oberstes Ziel. Für Putin jedoch sind dies keine Größen, die es zu verteidigen gilt. Russlands Diktator, man muss ihn inzwischen so bezeichnen, würde seinem Volk mitleidslos die Folgen von Isolation und Krieg aufbürden. Deshalb ist es so komplex, ein gemeinsames Ziel mit Russland zu formulieren.

Denn Putin, das lässt er seit Jahren immer wieder durchblicken, denkt in historischen Dimensionen mit der Absicht, Russland als Großmacht zu rekonstruieren. Schon 1994 - Putin war noch zweiter Bürgermeister von Sankt Petersburg - dozierte er in einem Gesprächskreis über das Auseinanderbrechen der Sowjetunion:

"Die Folge ist, dass jetzt plötzlich 45 Millionen Russen im Ausland leben, und Russland kann es sich einfach nicht leisten, dass diese Menschen ihrem Schicksal überlassen bleiben." Und die Stabilität Russlands werde bedroht, so lange die "Weltgemeinschaft die berechtigten Interessen Russlands" nicht achte. Damals zeichnete sich schon ab, was heute Putins Denken dominiert.

Hat Stalin vernünftig gehandelt?

Immer wieder argumentiert Putin mit weitschweifigen historischen Würfen, um die Annexion der Krim und das halbherzig verdeckte Treiben im Osten der Ukraine zu unterfüttern. Er versteigt sich dabei auch auf Hilfsargumente, die an die Annexion der Tschechoslowakei 1938 erinnern. Hitler rechtfertigte sich damals, das Sudetenland gehöre zum Deutschen Reich. Auch Putin kreierte mit "Nowarussija" - Neurussland - ein Gebiet, das angeblich die russische Außengrenze im Süden definierte. Einschließlich Krim und Ukraine, versteht sich. In die Reihe Putins ultranationalistischer Argumente passt auch, dass er den im August 1939 geschlossenen Hitler-Stalin-Pakt unlängst umgedeutet hat. In dem Vertrag hatten die beiden brutalsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts die Teilung Polens nach einem Angriff des Deutschen Reiches besiegelt.

Und Stalin wusste genau, was das für die Millionen Juden in Deutschland bedeuten würde. Bislang galt dieser Vertrag auch nach russischer Lesart als inakzeptabel und "unmoralisch", so Putin. Doch davon hat sich der aktuelle Kreml-Chef im November vergangenen Jahres gelöst: Plötzlich konnte er nichts Schlechtes mehr daran finden, Stalin habe doch vernünftig gehandelt, ließ Putin junge russische Historiker während einer Veranstaltung in Moskau wissen.

Europas Neonazis werden umgarnt

Schwebt ihm, natürlich unter gänzlich anderen Voraussetzungen, eine Art Neuauflage jenes Teilungsvertrages vor? Er holt die russischsprachigen Gebiete heim in sein Reich, im Gegenzug bleibt der Westen friedlich? Falls er diese strategischen Gedanken verfolgt, würde dazu auch die Nähe zu den nationalkonservativen und neonazistischen Parteien Europas passen. Von der Front Nationale, über die ungarischen Jobbik bis zu Partei der "Unabhängigen Griechen", die aktuell als Koalitionspartner in Athen regiert. Sie alle werden umgarnt von Moskaus Politik. Zuletzt hatte Putin Vertreter der europäischen rechtsextremen Parteien als "Wahlbeobachter" auf die Krim und in die Ost-Ukraine eingeladen.

Sein fernes Ziel dahinter ist, die Einheit der europäischen Gemeinschaft erodieren zu lassen. Dass er im selben Atemzug behauptet, die Separatisten würden ja nur die Faschisten der Regierung in Kiew bekämpfen, gehört zu den unauflösbaren Widersprüchen, die sich Putin nur leisten kann, weil seine Verschwörungstheorien von einer gigantischen Propagandamaschine Zuhause als Wahrheiten verkauft werden.

Schuld ist immer der Westen

Was also tun? Die Ukraine mit Waffen aufzurüsten wäre nichts weiter als ein Programm, die ganze Ukraine in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Denn das russische Waffenarsenal ist im Vergleich zu dem, was die Ukraine mit Hilfe des Westens aufbieten könnte, schier unerschöpflich. Es kann der Nato, und damit auch den Vereinigten Staaten, nur darum gehen, eine glaubwürdige Abschreckung für ihre eigenen Mitgliedsländer aufzubauen. Vor allem für den Fall, dass Putin der Versuchung erliegt, die baltischen Staaten mit einer hybriden Kriegsführung à la Ost-Ukraine zu erbeuten.

Denn so richtig die Wirtschaftssanktionen gegen Russland sind, sie dürften wohl kaum dazu führen, dass die Russen irgendwann den Kremlchef für ihre miserable Lebenssituation verantwortlich machen. Schuld ist immer der Westen. Dafür wird Putin schon Sorgen.