Nahost-Experte Bruno Schirra "IS-Terror wird zum europäischen Alltag gehören"

Das Attentat auf "Charlie Hebdo" war nur der Anfang - weitere Anschläge in Europa werden folgen. Das glaubt Bruno Schirra, der den Islamischen Staat bereist hat. Für Sicherheit könne niemand sorgen.

Vier Monate ist Autor Bruna Schirra durch den Irak und durch Syrien gereist - im Frühjahr und Sommer vergangenen Jahres, genau zu der Zeit, als der Islamische Staat dort Dorf um Dorf, Landstrich um Landstrich eroberte. Der Journalist kennt eine Reihe von Kriegs- und Krisengebieten, aber bei seinen Reisen zum IS sei er mit einer Grausamkeit konfrontiert worden, wie er sie in seinem Leben noch niemals gesehen habe, sagte Schirra in zwei Interviews, die er anlässlich des Erscheinens seines neuen Buchs " Isis - der globale Dschihad" gegeben hat. Darin stellt er die beunruhigende These auf, dass der islamistische Terror in den kommenden Jahren zum Alltag in Europa gehören werde.

"Ich höre seit Jahren aus dem Munde dieser Dschihad-Terroristen, dass Europa ihr 'first target' sein wird. Da werden Ziele benannt. 'Charlie Hebdo' war eins davon und die Dschihadisten sagten: Dies ist erst der erste Schritt, der Anfang, es wird weitergehen, wir stehen bereit", so der Nahost-Experte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Dass die Behörden Anschlage verhindern könnten, glaubt er nicht. Wer nun aufstehe und behaupte, er sorge für Sicherheit in Europa, "der lügt entweder oder er hat von der Materie keine Ahnung".

Niemand kann alle Dschihadisten kennen

Dabei sei es nicht so, dass man den Sicherheitsbehörden Untätigkeit vorwerfen könne. Nach Ansicht von Schirra dürfe man schlicht ihre Möglichkeiten nicht überschätzen. "Sie stehen vor dem Problem, dass sie zum einen unmöglich alle Reisenden in den Dschihad kennen, sie können unmöglich alle auf dem Schirm haben", so der Journalist. Deshalb gebe es - nicht nur bei Geheimdiensten und Polizei - eine gewisse Rat- und Hilflosigkeit. "Die ganz normalen Bürger müssen sich daran gewöhnen, dass sie sich nicht mehr sicher sein können, ob sie, wenn sie am Morgen aus dem Haus kommen, abends noch leben."

Die Hauptgefahr werde seiner Einschätzung dabei vor allem von Kämpfern ausgehen, die nicht zum "Kanonenfutter" zählen, die Gescheiterten und schlecht Integrierten, sondern denen, die bislang nie als Extremisten aufgefallen seien: Europäer aus säkulären, muslimischen Familien aus dem Mittelstand, gut ausgebildet, Akademiker, die in den Irak oder nach Syrien gehen - "das sind die wirklich Gefährlichen", so Schirra in der "Bild"-Zeitung. Die würden nicht von Jungfrauen im Paradies träumen, die wollen sich gezielt ausbilden lassen und dann in ihre Heimatländer zurückkehren, um "Rache am Westen" zu nehmen, wie IS-Führer Abu Bakr al Bagdadi fordert.

IS-Chemiker wollen Chemiewaffen herstellen

Schirra berichtet dabei von einem Schwaben, der sich mittlerweile Abu Hamsa nennt. Ein studierter Chemiker, dem sein normales Leben irgendwann nicht mehr reichte, und der sich dem IS angeschlossen hat. Als der Autor ihn in Syrien traf, erzählte er "in epischer Breite von seinem Ziel, für den IS chemische Kampfstoffe herzustellen. In den Sand hat er bei unserem Gespräch Formeln gezeichnet, für das tödliche Nervengas Sarin." Der Kampfstoff wurde im Dritten Reich von der IG Farben als Insektenvernichtungsmittel entwickelt und steht auf der Liste verbotener chemischer Waffen.

Trotz der Gefahren, die Bruno Schirra skizziert, glaubt er, dass sich Panik verbietete. Denn die "Wahrscheinlichkeit, an einem Terroranschlag in Europa zu sterben, ist ja um ein Vielfaches geringer als bei einem Autounfall zu sterben".

Niels Kruse