Nahost-Konflikt Eisbrecher in der Wüste

Was keine Macht der Welt bisher schaffte: Ein Israeli und ein Palästinenser einigten sich in Geheimverhandlungen auf einen Friedensplan für den Nahen Osten.

Es war eine Frage der Ehre. Jahrelang hatten der ehemalige israelische Justizminister Yossi Beilin, 55, und der ehemalige palästinensische Informationsminister Yasser Rabbo, 58, verhandelt. Waren längst professionelle Architekten des Friedens, die sich mit Vornamen begrüßten. Beide hatten an den Verträgen von Oslo gearbeitet, die dem Nahen Osten sechs Jahre relativer Ruhe gebracht hatten. Bis Ariel Sharon 2000 die zweite Intifada provozierte und im Februar 2001 die Wahlen gewann. Damit war der Friedensprozess tot. "Aber wir wollten uns beweisen, dass es einen realisierbaren Friedensplan geben kann", sagt Yossi Beilin. "Also entschieden wir, ganz von vorn anzufangen."

Broschüre mit 17 Artikel und 30 Landkarten

Zwei Jahre verhandelten Yossi und Yasser unter strenger Geheimhaltung weiter. Und jetzt macht ihr "Genfer Übereinkommen" Furore. Eine Broschüre mit 17 Artikeln und 30 Landkarten - die erste detaillierte Gebrauchsanleitung für Frieden im Nahen Osten. Erhältlich auf Hebräisch, Arabisch, Englisch und Russisch. Drei Millionen Exemplare werden gerade an alle israelischen Haushalte verschickt, in den palästinensischen Gebieten drucken die Zeitungen das Übereinkommen jedes Wochenende auf Sonderseiten. "Wir müssen die öffentliche Meinung gewinnen", sagt Rabbo, "sie ist unsere stärkste Waffe."

Denn nach drei Jahren des unerklärten Krieges mit Tausenden Toten wächst auch in Israel die Kritik an der "Vergeltungspolitik" der Regierung. Die baut an einer Mauer, die sie "Schutzwall" nennt, die aber de facto palästinensische Gebiete annektiert. Die lässt die Armee marschieren - und kann den Terror der Selbstmordattentäter doch nicht verhindern. Jetzt verweigern israelische Kampfpiloten öffentlich den Einsatzbefehl - sie wollen palästinensische Wohngebiete nicht mehr bombardieren. Selbst Geheimdienstchefs machen Front gegen Sharon. "Wir bewegen uns auf eine Stelle zu, wo der Staat Israel nicht länger eine Demokratie ist", mahnt General Ami Ayalon, ehemaliger Leiter des Inland-Geheimdienstes Schin Bet. "Wir sind professionelle Besatzer geworden", meint General Avraham Schalom. Der Frieden ist gescheitert, heißt es heute in Israel. Doch auch der Krieg ist gescheitert.

Die Initiative der "fanatischen Moderaten" ("New York Times") begann im Oktober 2001 im feinen Genf. Die Universität hatte zu einem Symposium über eine ziemlich theoretische Frage geladen: "Was ist ein gerechter Friede?" Yossi Beilin überraschte mit seiner These: "Wer zu viel von Gerechtigkeit spricht, bekommt keinen Frieden. Sonst werden immer mehr Menschen im Namen der Gerechtigkeit getötet."

Geheim und privat finanziert

Daraufhin lud der Rechtsphilosoph Alexis Keller, 40, den Israeli Beilin und den Palästinenser Rabbo ein, ihre Gespräche über einen fairen Frieden in der Schweiz weiterzuführen. Geheim und privat finanziert. Er sammelte Spenden, vor allem bei seinem Vater, einem Privatbankier. In den folgenden Monaten stellten die Schweizer Unterkunft und Flugtickets für die immer größer werdenden Delegationen. Das Schweizer Außenministerium versorgte Keller mit einem Diplomatenpass. Man traf sich in Genf, London und Paris. Und stets blieb alles geheim.

Unterdessen warb Rabbo bei der PLO und den Tansim-Kämpfern der Fatah um Unterstützung. "Was ich ihnen sage? Wenn wir jetzt keine Kompromisse suchen, wird Israel die Mauer zu Ende bauen. Dann werden wir wie in einem Ghetto leben. Dann wird es niemals einen Staat Palästina geben." In Israel fand Beilin Unterstützung bei Militärs und Geheimdienstlern: "Das war die größte Überraschung. Denn sie gelten als die härtesten Falken. Ihre Mitarbeit macht uns glaubwürdig."

Seit einem Monat liegt ein Dokument vor, das alle Streitpunkte bis ins Detail regelt. Es verlangt schmerzhafte Kompromisse: Die 3,5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge sollen nur noch ein symbolisches Rückkehrrecht nach Israel haben - werden dafür aber entschädigt. Israel müsste die meisten seiner Siedlungen aufgeben - bis auf einige nahe Jerusalem, in denen Zehntausende leben. Und Jerusalem wird geteilt. Monatelang brüteten Experten über Karten, beraten vom ehemaligen Stadtplaner Jerusalems. Sie fuhren Straßen ab, prüften Transitmöglichkeiten. "Wir zeigen zum ersten Mal, dass es in Jerusalem zwei funktionierende Hauptstädte geben kann", sagt Beilin. Nun sollen zwei PR-Agenturen den Friedensplan unter die Völker bringen. Dafür sollen 14 Millionen Dollar Spenden aufgetrieben werden.

Feierliche Unterzeichnung in Genf

Am 1. Dezember werden sich 300 Delegierte aus Israel und Palästina in einem Genfer Grandhotel treffen, um das "Genfer Übereinkommen" feierlich zu unterzeichnen. Jimmy Carter und Vaclav Havel werden da sein, vielleicht kommt auch Bill Clinton.

Und Yossi Beilin und Yasser Rabbo werden sagen, was sie so oft gesagt haben in den vergangenen Jahren: "Wir haben versucht, mit Rache und Gewalt zu überleben. Wir sind gescheitert. Wir haben keine andere Chance als Frieden."

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Katja Gloger / Mitarbeit: Mira Avrech