NATO-Kriegseinsatz Klageschrift mit grausigen Details

Erstmals wird die Bundesrepublik wegen eines Kriegseinsatzes im Rahmen der NATO auf Schadensersatz verklagt. 35 jugoslawische Staatsbürger verlangen von Berlin wegen eines Luftsangriffs im Kosovo-Krieg Schadensersatz in Millionenhöhe.

Im Bonner Landgericht wird am Mittwoch Justizgeschichte geschrieben: Erstmals wird die Bundesrepublik Deutschland wegen eines Kriegseinsatzes im Rahmen der NATO auf Schadensersatz verklagt. 35 jugoslawische Staatsbürger verlangen von Berlin wegen eines Luftsangriffs des westlichen Bündnisses im Kosovo-Krieg Schadensersatz in Millionenhöhe. Damals wurden zehn Menschen getötet und über 30 verletzt. "Es ist ein Musterprozess", sagt der Sprecher des Bonner Landgerichts Daniel Radke.

Es geht um den 30. Mai 1999. Damals herrschte lebhaftes Treiben in dem serbischen 4.000-Einwohner-Städtchen Varvarin. In der Kirche wurde die Messe zum orthodoxen Dreifaltigkeitsfest zelebriert, auf dem benachbarten Wochenmarkt gefeilscht und gelacht. Vom Kosovo-Krieg war in dem entlegenen Dorf kaum etwas zu spüren.

Gausige Details

Bis kurz nach 13 Uhr zwei F-16-Kampfjets der NATO die Brücke neben dem Ort mit vier lasergesteuerten 2000-Pfund-Bomben angriffen. Was dann geschah, beschreibt die Klageschrift in grausigen Details: Die ersten zwei Bomben zerstören nach Angaben der Kläger die Brücke und töten drei Menschen, darunter ein 15-jähriges Mädchen. Fünf Personen werden schwer verletzt, ein Auto mit zwei Insassen in die Tiefe gerissen.

Wenige Minuten später - gerade als die ersten Serben den Verletzten zu Hilfe eilen - greifen die Flugzeuge dann den Klägern zufolge noch einmal an. Die Bomben treffen die Helfer. Sieben weitere Menschen sterben, zahlreiche andere werden verletzt. ZEIT-Reporter Reiner Luyken sprach später in seiner Reportage "Die Brücke" von einem "Blutbad", einem "Kriegsverbrechen".

Die NATO verteidigte den Angriff dagegen entschieden. Die Brücke habe eine wichtige Verbindungslinie für die serbische Armee dargestellt. Damit habe es sich um ein legitimes Ziel gehandelt. Zivilisten würden niemals mit Absicht angegriffen. Wahrheit oder Kriegspropaganda?

Neue deutsche Außenpolitik vor Gericht

Dreieinhalb Jahre nach den blutigen Ereignissen wird nun die 1. Zivilkammer des Bonner Landgerichts nach Gerechtigkeit suchen müssen in dem blutigen Drama. Die Hamburger Rechtsanwältin Gül Pinar wirft der Bundesregierung, stellvertretend für die ganze NATO, in ihrer Klageschrift vor, eklatant gegen die Vorschriften des Genfer Protokolls zum Schutz von Zivilpersonen verstoßen zu haben: mit einem ohne Warnung durchgeführte Angriff auf eine militärisch unbedeutende Brücke ausgerechnet an einem kirchlichen Feiertag und Markttag.

Insgesamt rund 3,5 Millionen Euro verlangen die Kläger deshalb an Schadensersatz von der Bundesregierung - gesamtschuldnerisch für die ganze NATO. Denn die Bundesrepublik habe die Planungen der Luftoperationen gebilligt. Deshalb sei es auch gleichgültig, ob der Angriff von deutschen, amerikanischen oder englischen Offizieren befohlen worden sei und welche Nationalität die Piloten hatten.

Bundesregierung weist Forderungen zurück

Die Bundesregierung hat diese Forderungen schon vor Prozessauftakt zurückgewiesen. An dem Angriff auf die Brücke von Varvarin seien weder deutsche Soldaten noch Flugzeuge der Bundeswehr beteiligt gewesen, hieß es in einer Erwiderung des Verteidigungsministeriums an die Kläger. Schon deshalb lasse sich das Verhalten der Piloten bei der Zerstörung der Brücke nicht Deutschland zurechnen. Außerdem hätten nach den Regeln des Völkerrechts im Krieg Zivilpersonen grundsätzlich keinen individuellen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Kriegsgegner. Nun haben die Richter das Wort.

Erich Reimann