PKK Terroristen mit Identitätskrise

Normalerweise entführt die kurdische PKK keine Zivilisten. Jetzt hat es drei bayerische Türkei-Urlauber erwischt, mit denen die Bundesregierung erpresst werden soll. Haben die Untergrundkämpfer ihre Strategie geändert? Oder ist es ein Schrei nach Aufmerksamkeit?

Bombenanschläge gehörten eine Zeit lang zum Alltagsgebahren der PKK, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei. Entführungen auch, wenngleich nicht zum Kerngeschäft. Wenn, dann waren türkische Militärs und Polizisten die Opfer. Zivilisten, insbesondere Touristen, blieben bislang verschont. Bis jetzt, als drei Bergsteiger aus Bayern am Berg Ararat in der osttürkischen Provinz Agri verschleppt wurden. Die linke Untergrundorganisation, im Allgemeinen gut organisiert, beeilt sich damit, sich zu ihren Taten zu bekennen. So auch diesmal: Nur wenige Stunden nachdem die Entführung bekannt wurde, ließ sie wissen, dass die Aktion schnell wieder beendet werde, nach nur ein paar Tagen könnten die Deutschen wieder gehen.

Entführung aus Solidarität mit einem Senderverbot

Allerdings nur gegen eine Bedingung: Dass nämlich der deutsche Staat "seine gegen das kurdische Volk und gegen die PKK gerichtete feindliche Politik aufgibt". Was genau die Arbeiterpartei darunter versteht, sagt sie nicht. Und ob sie damit Erfolg hat, ist auch fraglich. Denn Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wies - wie nicht ander zu erwarten - die Bedingungen der PKK umgehend zurück. "Die Bundesrepublik lässt sich nicht erpressen", sagte er und forderte die sofortige und bedingungslose Freilassung der Geiseln.

Zuvor war die Rede davon, die Untergrundkämpfer hätten die Deutschen wegen der "jüngsten Aktionen" der Bundesregierung gegen ihre Organisation entführt. Ganz offenbar ist damit das Verbot der kurdischen Fernsehstation "Roj TV" in Deutschland gemeint, das im Juni vom Bundesinnenministerium verhängt wurde. Wolfgang Schäuble sagte, der Sender sei das Sprachrohr der verbotenen PKK, genauer, der ebenfalls illegalen Nachfolgeorganisation "Kongra Gel".

Laut Verfassungsschutzbericht benutzt die PKK den in Dänemark beheimateten Fernsehsender, neben der Nachrichtenagentur "Firat News Agency", für Propagandazwecke, und um sich vor ihrer Anhängerschaft darzustellen. Das Verbot hatte zur Folge, dass die Studios einer Produktionsgesellschaft in Wuppertal, die für "Roj TV" Beiträge zuliefert, geschlossen wurde. Wohnungen von Mitarbeitern seien durchsucht worden, heißt es beim "Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland".

"Roj TV" sendet in vier Sprachen (kurdisch, türkisch, persisch und arabisch) und ist über Satellit zu empfangen. In nahezu jeder kurdischen Teestube läuft deren Programm als Dauer-Hintergrundberieselung. Vor allem für die Kurden in der Diaspora ist "Roj TV" die wichtigste Informationsquelle. "Die TV-Station bedeutet den Kurden sehr viel", sagt der Türkei-Experte Udo Steinbach. Für viele sei er auch wegen seiner kulturellen Inhalte stark identitätsstiftend.

Zweifelsohne ist "Roj TV" nationalistisch geprägt und macht nicht selten einen Hehl daraus, mit dem bewaffneten Kampf gegen die Türkei zumindest zu sympathisieren. Vor allem der türkischen Regierung ist "Roj TV" seit seiner Gründung 2004 ein Dorn im Auge. Sie hat mehrfach versucht, bei der dänischen Regierung gegen die Station zu intervenieren. Für andere Beobachter, wie Yunus Ulusoy, vom Essener Zentrum für Türkeistudien, gilt die Station trotz vieler zweifelhafter Inhalte aber mehr als kurdisches CNN, denn als terroristischer Propagandakanal. Der "Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland" dagegen wirft dem deutschen Innenminister vor, sich mit dem Verbot zum Handlanger türkischer Interessen gemacht und das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt zu haben.

Hat also die PKK die drei Touristen entführt, um gegen die Schließung eines kleinen Satelliten-Senders in Deutschland zu protestieren? Vieles deutet daraufhin. Die Tat zeige, wie wichtig "Roj TV" für die PKK sei, so Steinbach. Es bedurfte eines "besonderen Anlasses, die deutschen Touristen ins Visier zu bringen". Ein Strategiewechsel kann Ulusoy nicht erkennen: "Die PKK hat schon vieles getan, das nicht ihrer bekannten Taktik entspricht, doch das waren vor allem Ausnahmen", sagt der Essener Türkei-Experte, zumal die Arbeiterpartei nicht so homogen ist, wie sie sich gerne darstellt.

So sei es auch nicht auszuschließen, dass eine Untergruppe oder einzelne Kämpfer hinter der Verschleppung der Bayern steckten. Udo Steinbach jedoch glaubt, dass die Tat sehr wahrscheinlich von hohen Entscheidungsebenen der PKK geleitet wurde. "In der Osttürkei kann niemand auch nur einen einzigen Schritt gehen, der der PKK-Führung verborgen bliebe und auf den sie keinen Einfluss hat."

PKK agiert orientierungslos

Ganz offensichtlich ist, dass die PKK derzeit vor allem orientierungslos agiert. Die Alten laufen mit ihrer linken Guerilla-Taktik zwischen Gewalt und Verhandlung immer häufiger ins Leere, und die wenigen jungen Unterstützer, die noch geblieben sind, probieren derzeit noch aus, welche Formen des Widerstands im 21. Jahrhundert funktionieren könnten. "Roj TV" sei so einer dieser Versuche, mit Hilfe moderner Medien zu agitieren, schreibt der deutsche Verfassungsschutz. Natürlich finden sich auch Propaganda-Filmchen auf YouTube. Oder sie testen Computerattacken aus. So manipulierte eine Gruppe namens "Coldhacker" im August vergangenen Jahres 80 deutsche Internetseiten, indem sie dort das Bild ihres inhaftierten Führers Abdullah Öcalan zeigten und ein Pamphlet in radebrechendem Deutsch veröffentlichten.

Auch die massiven Angriffe der Türken auf das kurdische Rückzugsgebiet im Nordirak, von wo aus sie die Türkei regelmäßig angreift, hat die Untergrundorganisation geschwächt. Nur: Die Militärschläge richten sich gegen militante PKK-Kämpfer, nicht so sehr gegen die Bevölkerung gesamt. Denn der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan betreibt eine verhältnismäßig liberale Kurdenpolitik, mit der erstaunlichen Folge, dass "große Teile der Kurden lieber die Regierungspartei AKP wählen als ihre eigenen Interessensvertreter", wie Ulusoy sagt.

Uns gibt es übrigens auch noch

Vor allem aber fehlt der PKK die Führungsfigur, seitdem der charismatische Ex-Chef Abdullah Öcalan von der Bildfläche verschwunden ist. "Die PKK ist zerrüttet und re-organisiert sich gerade", sagt Cemal Karakas, von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Anscheinend ist die Arbeiterpartei auf der Suche nach sich selbst, einer Funktion und dem richtigen Weg, kurdischen Interessen Nachdruck zu verleihen. Ihrer eigenen Selbstwahrnehmung nach - und allen Bombenattentaten zum Trotz - sehen sie sich als die "Guten", die einen gerechten Kampf führen, für linke Ideale und das Volk. Gerade in und gegenüber westlichen Drittstaaten, wie etwa Deutschland, haben sich die Widerständler, von Ausnahmen abgesehen, zumeist vorsichtig verhalten. Die Entführung "ist wohl auch eher ein symbolischer Akt", sagt Yunus Ulusoy. Der zeigen soll: Uns gibt es übrigens auch noch.