Mehrere Tote "Wir kämpfen, wir sterben": Proteste im Iran reißen nicht ab – Internet massiv gestört

Proteste in Teheran, der Hauptstadt des Iran, hier am 19. September
Proteste in Teheran, der Hauptstadt des Iran, hier am 19. September
© SalamPix/ABACA/ / Picture Alliance
Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini sorgt im Iran auch weiterhin für Proteste und Aufstände. Sie war vor gut einer Woche von der Sittenpolizei wegen ihres "unislamischen Outfits" festgenommen worden. Die Wut der Iraner richtet sich nunmehr gegen die Islamische Republik.

Frauen reißen ihre Kopftücher runter, verbrennen sie. Männer liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei. Die Proteste im Iran finden derzeit kein Ende.

Grund der Demonstrationen und Aufstände: der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Sie war vor gut einer Woche von der Sittenpolizei wegen ihres "unislamischen Outfits" festgenommen worden. Was genau mit Amini nach ihrer Festnahme geschah, ist unklar. Sie fiel ins Koma und starb am vergangenen Freitag in einem Krankenhaus.

Der Moralpolizei wird vorgeworfen, Gewalt angewendet zu haben. Die Polizei weist die Vorwürfe entschieden zurück. Laut Polizei hatte Amini einen Herzanfall. Menschenrechtsaktivisten zufolge erlitt sie einen tödlichen Schlag auf den Kopf.

Mehrere Menschen sterben bei Protesten im Iran

Aus den Protesten gegen die Gewalt der Sittenpolizei ist inzwischen ein Flächenbrand im Iran geworden, der sich gegen die Regierung des Landes richtet. Allerdings auch mit tödlichem Ausgang für die Demonstrierenden.

Laut Behörden und Beobachtern starben bei den Demonstrationen bis zum Mittwoch insgesamt mindestens acht Menschen.

In der Nacht zum Mittwoch seien zwei weitere Demonstranten im Alter von 16 und 23 Jahren getötet worden, teilte die in Norwegen ansässige kurdische Menschenrechtsgruppe Hengaw mit. Die genaueren Umstände ließen sich zunächst nicht überprüfen. 

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Nach vorherigen Angaben der iranischen Behörden waren seit Beginn der Proteste am Freitagabend sechs Menschen zu Tode gekommen. Laut Hengaw wurden bei den Demonstrationen zudem insgesamt rund 450 Menschen verletzt und 500 Menschen festgenommen.

"Nein zum Kopftuch, nein zum Turban, ja zu Freiheit und Gleichheit"

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna wurde in der Nacht zu Mittwoch in 15 Städten demonstriert, darunter Teheran, Isfahan und Schiras. Die Demonstrierenden blockierten demnach den Verkehr, warfen Steine auf Sicherheitskräfte, zündeten Polizeifahrzeuge und Mülltonnen an. Die Polizei habe Ansammlungen von bis zu 1000 Menschen aufgelöst.

Bei den Demonstrationen nahmen Frauen als Zeichen des Protests ihre von den Behörden vorgeschriebenen Kopftücher ab und verbrannten sie. Andere schnitten sich die Haare ab, wie auf Videos, deren Echtheit nicht verifiziert werden konnte, im Internet zu sehen war. Die Protestierenden skandierten Slogans wie "Tod dem Diktator", "Frau, Leben, Freiheit" und "Nein zum Kopftuch, nein zum Turban, ja zu Freiheit und Gleichheit". 

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Neben den regierungskritischen Slogans wurde immer öfter gerufen: "Wir kämpfen, wir sterben, wir werden uns den Iran zurückholen." Sogar in der erzkonservativen Stadt und dem schiitischen Zentrum Ghom demonstrierten junge Menschen gegen die islamischen Kleidungsvorschriften. Auch auf der Urlaubsinsel Kisch im Persischen Golf, die als besonders ruhig gilt, wurden Proteste gemeldet.

Kritik auch aus der Politik

Als eines der letzten freien sozialen Netzwerke wurde außerdem Instagram stark eingeschränkt. Live-Metriken zeigten bei allen großen iranischen Internet-Providern Störungen, wie die Organisation Netblocks am Mittwoch berichtete. Auch das Internet an sich ist massiv eingeschränkt. Mobile Netzwerke seien "weitgehend abgeschaltet", so Netblocks.

Unterdessen häuften sich auch in der Politik Stimmen, die eine Lockerung der strengen Kleidungsvorschriften und damit einen Kurswechsel der Regierung fordern. "Ein Gesetz, das die Mehrheit der Gesellschaft nicht befolgt, muss revidiert werden", sagte etwa der ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Teheran, Gholam Hussein Karbastschi. Auch der frühere Präsident Mohammed Chatami hatte Kritik geäußert. Sogar der Enkel des Revolutionsgründers Ajatollah Ruhollah Chomeini äußerte Kritik und forderte eine gründliche Untersuchung.

Die strengen Kleidungsvorschriften gehören laut Experten aus Teheran zu den ideologischen Prinzipien der islamischen Republik. Unterstützer des Systems fürchten einen Dominoeffekt, sollte der Staat den Frauen bei der Wahl der Kleidung große Zugeständnisse machen. Die konservative Zeitung "Keyhan" warf den Reformern vor, den Tod Aminis für politische Zwecke zu missbrauchen.

"Sie wollen das Ende der Islamischen Republik"

David Rigoulet-Roze, Iran-Experte und Forscher am Institut für Internationale und Strategische Beziehungen (Iris), sprach von einer "Erschütterung" und "gesellschaftlichen Krise" im Iran. Das Land sei gespalten zwischen Unterstützern der Islamischen Revolution von 1979 und einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft, sagte er AFP. Die gesamte Gesellschaftsmodell werde infrage gestellt. "Die Behörden wissen nicht, wie sie mit der Bewegung umgehen sollen", sagte der Wissenschaftler.

Die deutsch-iranische Journalistin Shahrzad Osterer erklärte bei "Deutschlandfunk Nova" zu den Protesten und den Demonstrierenden: "Sie wollen das Ende der Islamischen Republik. Die größte Gefahr für das Regime besteht jetzt in der Kontinuität der Proteste. Auch wenn sie einmal die Proteste niederschlagen können, die Menschen kommen bald wieder auf die Straße." Sie glaube, dass das System nicht mehr hinterherkomme.

Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gelten im Iran strenge Kleidungsvorschriften. Insbesondere in den Metropolen sehen viele Frauen die Regeln inzwischen aber eher locker und tragen beispielsweise ihr Kopftuch nur auf dem Hinterkopf – zum Ärger erzkonservativer Politiker. Religiöse Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger anwenden zu lassen.

DPA · AFP
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