REGIERUNGSKRISE Österreich: Neuwahlen im Herbst

Nach dem Rücktritt von drei Ministern der FPÖ aus der österreichischen Regierung wird es wohl im November vorzeitige Parlamentswahlen geben.

Nach dem Rücktritt der halben FPÖ-Regierungsmannschaft hat sich der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel für vorgezogene Neuwahlen ausgesprochen. Auf einer Pressekonferenz am Montag erklärte Schüssel: »Ich will Klarheit schaffen«. Er werde seiner Partei, der ÖVP, vorschlagen, die Wahlen zum ehestmöglichen Termin durchzuführen. Die Bevölkerung erwarte eine konstruktive Regierungsarbeit, nicht »Machtkämpfe und nicht Machtkrämpfe«.

Drei FPÖ-Minister gehen

Bundespräsident Thomas Klestil empfing am Montag in Wien den Kanzler, um mit ihm die Zukunft seiner Regierung aus ÖVP und FPÖ zu beraten. Zuvor hatte auch der aus der FPÖ stammende Verkehrsminister Mathias Reichhold seinen Rücktritt erklärt. Er sei Anhänger der Politik der am Vorabend zurückgetretenen Vizekanzlerin und FPÖ-Chefin Susanne Riess-Passer sowie des ebenfalls ausgeschiedenen Finanzministers Karl-Heinz Grasser, begründete er seinen Schritt. Er werde der Politik ganz den Rücken kehren.

Wer braucht Abfangjäger?

Inzwischen hat für einige Parteien bereits der Wahlkampf begonnen. Alfred Gusenbauer kündigte als Vorsitzender der oppositionellen Sozialdemokraten (SPÖ) an, im Falle seiner Kanzlerschaft den auch in der FPÖ umstrittenen Kauf von 18 modernen Abfangjägern rückgängig zu machen. Statt der »völlig sinnlosen Abfangjäger« müssten die dafür vorgesehenen zwei Milliarden Euro zur Konjunkturbelebung und zur Entschädigung der Opfer des Jahrhunderthochwassers herangezogen werden.

Haider spielte 'böses Krokodil'

Der Kärntener Landeshauptmann Jörg Haider, der den innerparteilichen Machtkampf gegen das Lager von Riess-Passer gewonnen und damit die Regierungskrise ausgelöst hatte, ließ am Montag offen, ob er die FPÖ als Spitzenkandidat in die Wahl führen werde. Als zentrales Wahlkampfthema werde seine Partei sich aber für steuerliche Entlastung kleiner Einkommen einsetzen.

Grüne liebäugeln mit SPÖ

Für den Chef der oppositionellen Grünen, Alexander van der Bellen, kommen als künftiger Regierungspartner »nur die Sozialdemokraten in Frage«. Nach der gescheiterten rechtskonservativen Regierung sei ein Zusammengehen seiner Partei weder mit der ÖVP noch mit der FPÖ denkbar. Er appellierte an die noch amtierende Koalitionsregierung, den Kauf der Abfangjäger zurückzustellen und nicht in dieser Woche die Unterschrift unter den Vertrag zu setzen.

Riess-Passer zog die Konsequenzen

Die Vorsitzende der Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) hatte am Sonntagabend zu ihrem Rücktritt erklärt: »Ich muss das Misstrauensvotum von wesentlichen Teilen meiner Partei zur Kenntnis nehmen.« Sie habe in ihrer Partei keine Rückendeckung mehr besessen. Riess-Passer berief einen Sonderparteitag für den 20. Oktober ein, auf dem die neue FPÖ-Spitze gewählt werden soll. Die FPÖ rechnet nach den Rücktritten nach Darstellung hoher Parteikreise mit der Auflösung des Nationalrates am 19. September und Neuwahlen im November.

Entmachtung zuvor gekommen

Riess-Passer und Grasser wollten nicht die Bedingungen akzeptieren, die rund 400 FPÖ-Funktionäre unter Führung Haiders am Vorabend in Knittelfeld (Steiermark) formuliert hatten. Danach sollte an der Steuerreform mit der Entlastung kleiner Einkommen festgehalten werden. Die ÖVP/FPÖ-Regierung hatte diese Reform wegen der hohen Kosten des Jahrhunderthochwassers verschoben. Daneben waren die Gefolgsleute Haiders nicht bereit, auf einen Sonderparteitag zu verzichten, auf dem die Entmachtung Riess-Passers geplant war. Schließlich weigerte sich die Haider-Fraktion, wie von Riess-Passer verlangt, den EU-Beitritt Tschechiens zu ermöglichen. Sie drohten mit einem Veto, falls Prag nicht das umstrittene grenznahe Kernkraftwerk Temelin abschaltet und die so genannten Benes-Dekrete aufhebt.

Nach Darstellung der Medien ging es bei dem FPÖ-Machtkampf weniger um Sachfragen als vielmehr um das Bemühen Haiders, die vor zweieinhalb Jahren an Riess-Passer abgegebene Parteiführung wieder selbst zu übernehmen. Haider habe es nicht ertragen, dass die Partei durch ihn groß gemacht wurde, seine politischen Ziehkinder jedoch die Früchte seiner Arbeit ernteten.

Keine Chance auf Minderheitsregierung

Nach Medienberichten hat der österreichische Bundespräsident Klestil klar gemacht, dass er eine Minderheitsregierung der ÖVP nicht hinnehmen wird. Ein Zusammengehen der ÖVP mit den Sozialdemokraten (SPÖ) als der größten Partei im Lande wurde ausgeschlossen, weil die Spitzen beider Parteien persönlich nicht kooperieren wollen.

Prag zeigte sich besorgt

In Prag wurde die innenpolitische Entwicklung im Nachbarland in einer ersten Reaktion mit Skepsis aufgenommen worden. Hochrangige tschechische Politiker wollten sich zunächst nicht zu der Lage in Wien äußern. Ein Prager Diplomat sagte aber, bei möglichen Neuwahlen seien neue Auseinandersetzungen um die tschechoslowakischen Benes-Dekrete und das grenznahe Atomkraftwerk Temelin in Südböhmen zu befürchten.