Anzeige
Anzeige

Rekorddefizit im US-Haushalt Gefährlicher Tanz auf dem Schuldenberg

In wenigen Tagen sind die USA pleite - weil sich die Politik nicht auf eine neue Schuldengrenze einigen kann. Wer ist Schuld an dem Dilemma und warum? Ein Überblick.
Von Niels Kruse

Mehr Geld auszugeben als einzunehmen, gehört in Washington zur Routine. Seit 1962 wurde die Schuldengrenze für die US-Regierung sage und schreibe 74 Mal angehoben - also im Schnitt alle 1,3 Jahre. Meist liefen die Verhandlungen darüber einvernehmlich und unter ferner liefen, auch ein Grund, warum alleine seit dem Jahr 2000 die Verbindlichkeiten der Vereinigten Staaten um das 14-fache angestiegen sind. In wenigen Tagen ist das nächste Limit erreicht, dann sitzen die USA auf 14,29 Billionen Dollar Schulden. Dieses Mal aber artet die Debatte um die Erhöhung zu einem Streit aus, der die USA schnurstracks in eine handfeste Staats- und Finanzkrise führen könnte - und möglicherweise die gesamte Weltwirtschaft mit sich in die Tiefe reißt.

Es sind vor allem die konservativen Republikaner und ihr noch konservativerer Tea-Party-Flügel, die die Regierung von Barack Obama unter Druck setzen: Während der US-Präsident dringend darauf angewiesen ist, die größte Volkswirtschaft der Welt zahlungsfähig zu halten, scheint die Opposition vor allem entschlossen, dem ungeliebten Staatsoberhaupt das Regieren so schwer wie nur irgendwie möglich zu machen - auch zu dem Preis, dass die USA ab dem 2. August, 24 Uhr, zahlungsunfähig sind. Die möglichen Folgen: Beamte bekommen kein Gehalt mehr, öffentliche Einrichtungen werden geschlossen, vor allem aber wird die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten heruntergestuft, so dass für Staatsanleihen höhere Zinsen gezahlt werden müssen. Und der Schuldenberg somit weiter wächst.

Um das Horrorszenario zu verhindern, werden beinahe täglich neue Vorschläge und Lösungen diskutiert. Im Grunde stehen sich zwei Schulen der Staatsführung gegenüber: Obama will die Staatseinnahmen erhöhen, während die Republikaner die hohen Kosten für die Sozialsysteme kappen wollen. Extrem erschwert wird die verfahrende Situation noch dadurch, dass langsam der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2012 beginnt und sich die Parteien deswegen schon einmal in Stellung bringen.

Die Akteure, ihre Vorschläge und Bedenken:

Barack Obama

Der US-Präsident steht vor dem größten Schuldenberg, den die Vereinigten Staaten in ihrer Geschichte angehäuft haben. Und noch nie stand das Land so nah der Zahlungsunfähigkeit wie heute. Dass die Erhöhung der Schuldengrenze nur eine kurzfristige Notlösung sein kann - darin sind sich Obama und die oppositionellen Republikaner einig. Lange hatte Obama darauf gedrängt, die Steuern zu erhöhen, etwa für die reichen Amerikaner. Weil die Republikaner dies aber kategorisch ablehnen, scheint der Präsident das Vorhaben mittlerweile aufgegeben zu haben. Was wiederum Teile der eigenen Partei entzürnt. Sein Mann im demokratisch dominierten Senat, Harry Reid, sagte: "Obama soll aufpassen, was er mit (Oppositionsführer) Boehner vereinbart." Reid schlug vor, die Schuldenobergrenze um 2,7 Billionen Dollar anzuheben und die Ausgaben gestreckt über zehn Jahre um den gleichen Betrag zu senken. Damit wäre die Regierung bis zur Präsidentenwahl im November 2012 finanziell aus dem Schneider.

John Boehner

Ist als republikanischer Oppositionsführer Obamas größter Widersacher. Einig ist er sich mit den Demokraten darin, dass der Schuldenberg in Höhe von 14,3 Billionen Dollar Schulden nicht weiter erhöht werden dürfe. Zuletzt hatte Boehners Partei vorgeschlagen, die Schuldenobergrenze im August zunächst um eine Billion Dollar anzuheben und gleichzeitig die Ausgaben über einem Zeitraum von zehn Jahren um 1,2 Billionen Dollar zu kürzen - und zwar ausschließlich bei den Sozialausgaben. Zu Beginn des kommenden Jahres soll die Grenze erneut angehoben werden. Damit würde aber der gleiche Streit in den dann beginnenden Präsidentschaftswahlkampf fortgeführt werden, was die Demokraten wiederum nicht wollen. Über diesen Vorschlag soll nun im Repräsentantenhaus abgestimmt werden, in dem die Republikaner die Mehrheit haben. Allerdings wollen laut des "Wall Street Journals" mindestens 15 Abweichler der Partei dagegen stimmen, Boehner kann sich nur 22 Gegenstimmen aus den eigenen Reihen leisten.

Tea Party

Gegenwind für seine Vorschläge bekommt der Republikaner Boehner auch vom erzkonservativen Flügel seiner Partei, der Tea Party. Sie lehnt eine Erhöhung der Schuldenobergrenze grundsätzlich ab. Um den Haushalt auszugleichen, will sie Regierungsausgaben und Sozialleistungen drastisch kürzen. Mit der Kongressabgeordneten Michele Bachmann aus Minnesota hat die Tea Party bereits eine eigene Präsidentschaftskandidatin am Start, die bei den Wahlen ein erhebliches Wort mitzureden haben wird. Angesichts des rechten Widerstandes soll John Boehner nun folgende Worte in die Runde gerufen haben: "Kriegt eure Ärsche hoch".

US-Kongress

Der US-Kongress besteht aus zwei Kammern, in denen jeweils die Demokraten und die Republikaner die Mehrheit haben. Obamas Regierungspartei dominiert den Senat, in denen die Vertreter der Bundesstaaten sitzen. Im Repräsentantenhaus, in das die Abgeordneten direkt gewählt werden, haben die Republikanern das Sagen. Um die Schuldengrenze anzuheben, müssen beide Unterhäuser zustimmen, doch keine der bislang vorgeschlagenen Lösungen würde eine Kongress-Mehrheit bekommen. Am Donnerstag soll zunächst das Abgeordnetenhaus über einen republikanischen Plan abstimmen. Dagegen werden aber nicht nur die Demokraten votieren, sondern auch eine Reihe von Republikanern. Vermutlich am Freitag dann steht im Senat ein Votum über das gegensätzliche Konzept der Demokraten an - bislang ebenfalls ohne Aussicht auf Erfolg in der anderen Kammer.

Ratingagenturen

Die umstrittenen Ratingagenturen drohen schon seit einigen Wochen mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA. Bislang bekommen die Vereinigten Staaten von allen Instituten nur Topnoten. Führende Volkswirte glauben allerdings nicht mehr daran, dass das Land das "AAA" wird behalten können. Der Wertpapier- und Investmentverband Sifma rechnete vor, eine Herunterstufung auf die Note "AA" könnte die Zinsen für den US-Haushalt mit 100 Milliarden Dollar Mehrkosten pro Jahr belasten. Und selbst wenn die Ratingagenturen wider Erwarten stillhalten sollen, wird das Land seine "erstklassige Bonitätsbewertung auf Dauer nicht behalten können", schreibt die italienische Großbank Unicredit in einer aktuellen Einschätzung.

Die Bevölkerung

Wenn die US-Amerikaner im Schuldenstreit ein Wörtchen mitzureden hätten, würden sie den Lösungsansatz von Obama unterstützen. 56 Prozent der Befragten befürworteten laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters und des Meinungsforschungsunternehmens Ipsos die vom US-Präsidenten (bisher) vorgeschlagene Kombination aus Steuererhöhungen und Kürzungen bei staatlichen Programmen zur Reduzierung des Rekorddefizits. Die Schuldfrage ist nach Ansicht der Amerikaner auch klar: 31 Prozent werfen den Republikanern vor, eine Lösung zu verhindern, 21 Prozent gaben Obama die Schuld.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel