Es gibt ja einige, die Sigmar Gabriel gerne in die Wüste schicken würden. Jetzt war er da, und was soll man sagen? Er hat seine Sache recht ordentlich gemacht auf seiner Werbe-Tour, die er zugunsten der deutschen Wirtschaft durch die drei Golfstaaten Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate angetreten war. Daran ändert auch der Besuch im schrägen Sammelsurium-Museum des superreichen Scheichs Faisal wenig. Dieser abendliche Abstecher war unglücklich und überflüssig, ja, mehr aber auch nicht. Wer unbedingt will, mag sich echauffieren. Es gibt Wichtigeres.
Zum Beispiel hat sich der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler im Gespräch mit dem neuen saudischen König nicht unnötig kleinlaut verhalten, Gabriel hat sich im Gegenteil für den inhaftierten und möglicherweise wieder von der Todesstrafe bedrohten Blogger Raif Badawi so stark gemacht, wie es in den engen Grenzen der Diplomatie überhaupt möglich ist, ohne einen Eklat zu provozieren. So schwer es ihm auch gefallen sein mag, er ist auch nicht in schallendes Gelächter ausgebrochen, als der absolutistische Herrscher ihn beschied, leider, leider könne er nichts gegen Badawis Verurteilung unternehmen, die Justiz sei schließlich unabhängig… Aber in Saudi-Arabien halten manche die Erde ja auch für eine Scheibe. Im Ernst. Dass er den wegen "Beleidigung des Islam" Angeklagten quasi über Nacht frei argumentieren oder bitten würde, konnte niemand erwarten; jedenfalls niemand, dessen Realitätssinn nicht komplett getrübt ist.
Werbung für deutsche Wirtschaft
Gabriel hat in Riad mit drei Menschenrechtlerinnen gesprochen und in Katar eine anständige Behandlung der WM-Arbeiter verlangt; er hat sich vor der Reise von Amnesty schlauer machen lassen, er hat den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland als Ratgeber mitgenommen und auch in Sachen Waffenexport nicht den Wünschen seiner Gastgeber beigegeben. Er ist bei seiner Linie geblieben, dass die Saudis nur das bekommen, was ihnen von Recht wegen zusteht. Was sie zur Landesverteidigung brauchen, ja, schließlich braucht man sie in der Koalition gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat". Mehr aber auch nicht. Wer weiß, wem diese Waffen in ein paar Jahren in die Hände geraten.
Nicht nur nebenbei hat Gabriel auch den Job gemacht, für den er eigentlich aufgebrochen ist in die Golfregion, er hat, wenn man so will, seine Kernaufgabe als Wirtschaftsminister erledigt: für die deutsche Wirtschaft geworben. Er hat Türen geöffnet - oder es versucht - und Hindernisse aus dem Weg geräumt für jene, die in der Region Geschäfte machen, am Bauboom oder dem Umsteigen auf Erneuerbare Energien partizipieren wollen. Es sei doch klar, sagt er selbst unumwunden, "dass die Jungs, die hier mitfahren, möglichst viel verkaufen wollen".
Menschenrechtsverletzungen
Sicher, man kann wild und ausgiebig darüber streiten, ob sich ein Spitzenpolitiker als Hilfsaquisiteur für weitere Geschäfte ausgerechnet mit einem Regime wie dem in Riad anbahnen muss, das den Begriff Menschenrechte zwar kennt, diesen aber als aus dem Wörterbuch des Teufels stammend empfindet und dementsprechend handelt; das den Islam so rigide interpretiert, Frauen und Kritiker unterdrückt und im Extremfall köpft und sich ansonsten auch nicht sonderlich von den marodierenden Gotteskriegern des IS unterscheidet.
Nur, so bitter das ist: Manchmal kann man sich Luzifer vielleicht wirklich nur mit Hilfe von Beelzebub vom Leibe halten. Der Kronprinz in Abu Dhabi, wo der Islam deutlich liberaler ausgelegt und praktiziert wird als im Fastschurkenstaat nebenan, hat es Gabriel gerade noch einmal deutlich gemacht: Fällt Saudi-Arabien den richtigen ISlern in die Hände, womöglich auch noch Ägypten, dann ist die Welt, wie wir sie kannten, eine völlig andere; dann ist auch Europa viel größeren Gefahren ausgesetzt als bislang. Da drückt man dann im Zweifel doch mal ein Auge ganz fest zu und senkt das zweite auf Halbmast. Es ist nicht schön. Aber was ist die Alternative?
Gabriel hat seine Sache gut gemacht
Für die Menschenrechte, gegen zu viel Waffen an die falschen Despoten und doch die Interessen der Wirtschaft fest im Blick - drei auf einen Streich quasi. Mehr geht kaum auf so einer Reise. Selbst der mitreisende CSU-Mann Peter Ramsauer antwortet auf die Frage, ob Gabriel seine Sache gut gemacht habe: "Ohne Einschränkung, ja." Gabriel hat zudem einiges dafür getan, dass es auch jeder mitbekommt. Gutes tun und darüber schweigen ist nicht seine Paradedisziplin. Normalerweise hängen Politiker Treffen mit Oppositionellen, Regimekritikern und Menschenrechtlern nicht an die große Glocke; so wenig wie sie im Vorfeld hinaus posaunen, dass sie dem Gastgeber mal ordentlich die Meinung geigen werden - als kleiner Wüstenkönig Sigmar Unwirsch, sozusagen. In diesem Fall aber war es nicht tragisch, sondern sogar im Sinn der Sache. Die Saudis kannten den Druck, der in Deutschland und anderswo im Fall Badawi gemacht wird. Jede allzu diplomatische Zurückhaltung Gabriels hätte sie eher glauben lassen, der deutsche Vizekanzler meine es schon nicht so ernst.
So konnte sich Gabriel in Deutschland bei der Gemeinde der Gutgesinnten profilieren und seinen Genossen das Herz wärmen. Dass aus der Union zugleich die Fraktion der Kriegswaffentreiber aufheulte, dürfte Gabriel eher gefreut als geärgert haben; so klar auf der anderen Seite hätte er seinen Koalitionspartner zur besseren Unterscheidung gerne öfter. Das alles zusammen hat man selten als führender Sozialdemokrat. Alles in allem: ein Gewinn. Vielleicht sollte sich Gabriel öfter mal in die Wüste schicken.
stern-Autor Andreas Hoidn-Borchers begleitet Sigmar Gabriel bei seiner Tour durch den Nahen Osten. Wenn Sie noch mehr Eindrücke von ihm lesen wollen, folgen Sie ihm auf Twitter: @ahborchers.