Ein bin Laden hat nicht nur ein Leben. Osama, zum Beispiel, war oft für tot erklärt worden. Dahingeschieden an einem Nierenleiden oder an einer Typhusinfektion, mutmaßten Beobachter jahrelang. Doch bevor er am 2. Mai 2011 von einer US-Eliteeinheit auf seinem Anwesen in Abbottabad, Pakistan getötet wurde, war er kerngesund gewesen.
Bei dem Angriff der Navy Seals befand sich auch seine jüngste Frau im Haus sowie eine seiner Töchter. Und glaubte man der Berichterstattung direkt nach der Aktion "Speer des Neptuns", auch bin Ladens Lieblingssohn Hamsa. Der damals etwa 20-Jährige sei ebenfalls dabei gestorben, hieß es. Doch das war ein Irrtum. Hamsa bin Laden lebt. Und ist möglicherweise dabei, das Erbe seines Vaters fortzusetzen: den "Heiligen Krieg" gegen den Westen.
Osama bin Laden-Sohn fordert Befreiung Jerusalems
Erst vor wenigen Tagen wurde eine Audiobotschaft des Bin-Laden-Sohnes bekannt, in der er, mittlerweile 25 Jahre alt, alle Dschihadisten im Nahen Osten zur Einigkeit aufruft und den Heiligen Krieg gegen die USA und ihre Verbündeten fordert, um "Jerusalem zu befreien". So übersetzt die Washingtoner "Site Intelligence Group" die Ansprache. Bin Laden, Audiobotschaft, Dschihad, Kampf gegen Amerika - Schlagworte, die klingen wie ein Echo aus der Vergangenheit. Oder wie der verzweifelte Versuch, der einst berüchtigten Terrororganisation neues Leben einzuhauchen.
Nachdem der Islamische Staat (IS), einst gegründet unter dem Namen "al Kaida im Irak", mit seinem Terrorfeldzug Erfolg um Erfolg feierte, war es um das Mutter-Netzwerk ruhiger geworden. Der letzte spektakuläre Anschlag im Namen von al Kaida war die Attacke auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Januar 2015. Doch seit einigen Monaten schwächelt der IS, neuesten Schätzungen zufolge soll die Terrormiliz fast die Hälfte ihres Herrschaftsgebiets in Syrien und im Irak wieder verloren haben. Möglicherweise versucht al Kaida nun die Gunst der Stunde zu nutzen, um sich wieder als wichtigste Organisation der radikalen Islamisten zu profilieren. Und wer wäre als Führungsperson besser geeignet als der Sohn des legendären Osama bin Laden?
"Vom Status seines Vaters ist Hamsa bin Laden noch weit entfernt, allerdings wurde er schon von klein auf systematisch darauf vorbereitet, eines Tages in dessen Fußstapfen zu treten", sagte der al-Kaida-Experte von CNN, Peter Bergen, dem TV-Sender. Osama bin Laden hat ihn schon früh mit der Dschihadismus-Ideologie indoktriniert und er ist vollkommen davon überzeugt", so Bergen. "Das macht ihn so gefährlich".
Hamsa bin Laden schon als Kind ein Kämpfer?
Viel ist über den jungen Mann bislang nicht bekannt. Seine Mutter Khairiah heiratete Osama 1985, er selbst kam wahrscheinlich 1991 im saudi-arabischen Riad zur Welt, einige Quellen sprechen auch von 1989 als Geburtsjahr. Schon im zarten Alter von zehn Jahren inszenierte ihn sein Vater als "Krieger": Aus dem November 2001 ist ein Video bekannt, in dem der kleine Hamsa mit den Überresten eines abgeschossenen US-Hubschraubers zu sehen ist. In den Jahren danach tauchen immer wieder Bilder oder Videos auf, die Hamsa bin Laden im "heldenhaften" Einsatz für al Kaida zeigen. Die britische Zeitung "The Sun" veröffentlichte im Sommer 2008 ein Gedicht des jungen Mannes, in dem er die Zerstörung von Amerika, Großbritannien, Frankreich und Dänemark preist.
Seine neueste Audiobotschaft ist bereits die zweite in nur einem Jahr. Zuletzt wandte er sich im August 2015 an seine Gefolgschaft. "Er scheint eine immer größere Rolle in Propaganda-Angelegenheiten zu spielen, außerdem ist er deutlich jünger als die Mehrheit der verbliebenen al-Kaida-Führer, die alle zwischen 50 und 60 Jahre alt sind, so Peter Bergen. Andere Dschihadismus-Experten glauben ebenfalls nicht, dass er schon eine große Nummer bei der Terrororganisation ist. Aber dass er eine werden könnte: "Er gehört zur neuen Generation der Dschihadisten-Führer", glaubt Thomas Joscelyn vom "Long War Journal".
Ausbildung im Terrorcamp
Diese Einschätzung deckt sich mit den wenigen Informationen, die Sicherheitskreise über bin Laden jr. haben. So war er wohl nur deswegen nicht unter den Opfern des US-Einsatzes in Abbottabad 2011, weil er kurz vorher in ein Terrorausbildungcamp abgereist war, dort habe er Unterlagen zufolge auch eine Schulung für den Umgang mit Sprengstoffen erhalten, so Thomas Joscelyn.
Vermutlich ist es kein Zufall, dass die neueste Bin-Laden-Botschaft nur einen Tag später veröffentlicht wurde, nachdem Aiman al Sawahiri, die aktuelle Nummer eins der Terrororganisation, ebenfalls eine Nachricht an die Gefolgschaft geschickt hat. Darin lobt er die "Arbeit" der al-Nusra-Front in Syrien. Sie fühlen sich dem al-Kaida-Netzwerk zugehörig und kämpfen in dem Bürgerkriegsland sowohl gegen das dortige Assad-Regime als auch die Freie Syrische Armee. Wie auch bin Laden jr. appellierte al Sawahiri an die Einigkeit der Dschihadisten, die eine Frage von Leben oder Tod der Bewegung sei. Andreas Krieg vom Londoner Kings College sagte der Zeitung "The Independent", die beiden Botschaften seien Teil des Versuchs, neben dem IS nicht als zu leise zu erscheinen.