Manche hegten gegen die Ampel schon einen vorsichtigen "Gurkentruppen"-Verdacht, als es in der Koalition abermals gekracht hatte. Tatsächlich haben SPD, Grüne und FDP, die den größten Teil ihrer Regierungszeit eigentlich noch vor sich haben, schon einige energische Wortgefechte miteinander ausgetragen. Das fing bei Infektionsschutz und Tankrabatt an und hörte zuletzt bei Heizungs-Hammer und Haushalts-Hauen auf. Aber auf "Wildsau"-Niveau ist die politische Auseinandersetzung noch nicht angekommen.
Bislang packt niemand in der Ampel-Koalition vergleichbare Vokabeln wie "Gurkentruppe" oder "Wildsau" aus, wie sie einst innerhalb der "Wunschkoalition" aus Union und FDP ausgetauscht wurden, als ein lang andauernder Zoff um die Einführung einer Kopfpauschale eskalierte. Ebenso wenig wurde einem Koalitionspartner eine "Schmutzkampagne" vorgeworfen, wie es in der Großen Koalition der Fall war, als CDU und SPD über die Genese des "Tabubruchs von Thüringen" stritten.
Natürlich wird auch innerhalb der selbsternannten "Fortschrittskoalition" aus SPD, Grünen und FDP nicht mit Kritik gespart. Auffällig ist jedoch, wie häufig diese das gemeinsamen Projekt an sich adressiert – oder denjenigen, der es qua seines Amtes verantwortet: Bundeskanzler Olaf Scholz.
Zufriedenheit mit Ampel auf Rekordtief
"Die Scholz-SPD ist nicht mehr der natürliche Bündnispartner der Grünen", gab zuletzt Anton Hofreiter in der "Welt am Sonntag" zu Protokoll. Der Grünen-Abgeordnete und Vorsitzende des Europaausschusses hatte schon Scholz' Zurückhaltung in Sachen Waffenhilfe für die Ukraine moniert, auch im Schulterschluss mit Marie-Agnes Strack Zimmermann (FDP) und Michael Roth (SPD) – der den "Jungs und Mädels" daraufhin eine Ansage machte. Nun sieht Hofreiter das Verhältnis zu den Sozialdemokraten insgesamt angeschlagen.
Das stundenlange Ringen um die Klimapolitik im letzten Koalitionsausschuss hat offenkundig Spuren hinterlassen, insbesondere bei den Grünen, die sich seitdem einer unheilvollen Allianz aus Kanzler, SPD und FDP gegenüber wähnen. Bereits vor der Marathonsitzung hatte Vizekanzler Robert Habeck seinen Frust über die Ampel-Arbeit auf diesem Feld angemeldet und davor gewarnt, dass die Regierung ihr Vertrauen verspiele. "Die Ampel könnte auch besser regieren, als sie es tut", fand auch Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der mit Blick auf die Nachtsitzungen in Berlin hinterherschickte: "19-Stunden-Sitzungen zu machen, finde ich schon ein Zeichen von Führungsschwäche des Kanzlers." Es wurden dann um die 30 Stunden.
Immerhin die FDP – die ihr schlechtes Abschneiden bei den Landtagswahlen vor geraumer Zeit auf die Ampel-Beteiligung zurückführte (etwa hier und hier) – zeigt sich besänftigt. Auch sie hatte den Kanzler vor dem Koalitionsausschuss beschworen, mehr Führung zu zeigen und sich mehr um die Konflikte in der Koalition zu kümmern. Das hat er offenkundig getan, mit dem Ergebnis: Die Liberalen gelten als Punkt-Sieger – auf Kosten der Grünen.
Jedenfalls sei Scholz "ein absolut verlässlicher Bundeskanzler", wurde Präsidiumsmitglied Michael Theurer am Montag vom "Tagesspiegel" zitiert. "Er hat trotz einiger Widerstände sein Versprechen an uns, die Steuern zu senken, genauso gehalten wie sein Versprechen an die Grünen, aus der Kernkraft auszusteigen." Parteivize Wolfgang Kubicki, der eher dafür bekannt ist, gegen die Ampel und insbesondere die Grünen auszuteilen, sagte dem Blatt, dass die Ampel eine "erfolgreiche Koalition ohne gute Alternative" sei.
Die öffentliche Wahrnehmung sieht indes anders aus. Im aktuellen ARD-"Deutschlandtrend" befindet sich die Zufriedenheit mit der Ampel auf einem Rekordtief, demnach ist eine Mehrheit von 71 Prozent weniger bis gar nicht zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung, wohingegen nur 27 Prozent der Wahlberechtigten angaben, zufrieden oder gar sehr zufrieden zu sein. In einer Forsa-Umfrage im Auftrag der stern-Partner RTL und ntv sprechen sich erstmals mehr Menschen für CDU-Chef Friedrich Merz als für Olaf Scholz als Bundeskanzler aus. Auch bei der Sonntagsfrage kann die Union punkten.
Und der Koalitions-Knatsch reißt nicht ab, dabei ist spätestens seit Rolf Mützenich überliefert: "Selbstdarstellung hilft niemandem", wie der SPD-Fraktonsvorsitzende genervt über das Gerangel von Grünen und FDP zu Protokoll gab. Die SPD kritisiert die FDP-Blockade bei der Kindergrundsicherung, die FDP die Grünen-Blockade beim AKW-Weiterbetrieb, und die Grünen sind nach der gefühlten SPD-FDP-Blockade in Sachen Klimaschutz enttäuscht: "Mehr ist in dieser Koalition nicht möglich", so ein resignierter Habeck nach dem Koalitionsausschuss.
Die Stimmung bleibt angespannt, die ominösen Zwischentöne aus der Koalition über die Koalition sollten nicht zuletzt dem Kanzler zu denken geben, will er sein selbstgestecktes Ziel erreichen. "Natürlich trete ich an", sagte Scholz anlässlich des ersten Jahrestags der Ampel. Die Regierungskoalition solle bis zum Ende der Legislaturperiode so gut dastehen, dass sie erneut ein Mandat erhalten könne.
Ob die Strategie der "Scholz-SPD" als zurückhaltende Mittlerin und Moderatorin aufgeht, ist fraglich (mehr dazu lesen Sie hier). Zumindest haben alle Seiten den Wunsch formuliert, wieder ein einheitlicheres Bild abzugeben. "In einer Regierung ruckelt es auch mal. In Zukunft darf es gerne wieder weniger ruckeln", sagte etwa Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte, dass die Koalition wieder deutlich machen müsse, "dass sie an einem Strang zieht". Der SPD-Co-Vorsitzende Klingbeil appellierte: "Der öffentliche Streit der letzten Tage, das gegenseitige Vorhalten, das ist nicht das, was wir gerade brauchen, um das Land voranzubringen. Daran wird diese Koalition am Ende gemessen".
Die Aussagen fielen vor der Nachtsitzung im Kanzleramt.