Strategie US-Truppen meiden Nassirijah

Nach schweren Verlusten wollen die US-Offiziere vorerst nicht weiter um die Einnahme von Nassirijah kämpfen. Damit schlagen die alliierten Truppen die gleiche Strategie ein wie schon in Basra.

Nach den bisher schwersten Verlusten in den eigenen Reihen machen die US-Truppen erst einmal einen Bogen um die Stadt Nassirijah. Der hartnäckige Widerstand irakischer Soldaten hat die Militärplaner veranlasst, auf die ursprünglich geplante Einnahme der 370 Kilometer südöstlich von Bagdad am Euphrat gelegenen Stadt zunächst zu verzichten.

Der Finger liegt am Abzug

Nach den stundenlangen Kämpfen vom Sonntag machen die Marine-Infanteristen einen angespannten Eindruck, als sie sich am Montag an einem kühlen Morgen darauf vorbereiten, an der Stadt vorbei weiter in Richtung Bagdad ziehen. Ein Konvoi von hunderten Panzern und Militärfahrzeugen verstopft die Straße und wartet darauf, eine Ponton-Brücke über den Euphrat zu überqueren. Soldaten liegen auf beiden Seiten des Konvois im Sand. Die Läufe der Sturmgewehre in ihrer Hand zeigen in Richtung Wüste, der Finger liegt am Abzug. Auch die Panzer haben ihre Kanonen auf die Wüste gerichtet, jederzeit einen Angriff erwartend.

"Es wird ein langer Tag werden, denke ich", sagt einer der Soldaten. Er wirkt erschöpft. Viele Soldaten haben wegen des schnellen Vormarschs zu wenig geschlafen.

Nassirijah war nach dem Golfkrieg von 1991 eine Hochburg der schiitischen Rebellion gegen den irakischen Staatschef Saddam Hussein. Möglicherweise waren aus diesem Grund auch Einheiten der Republikanischen Garde in Nassirijah stationiert, die sich den Amerikanern am Wochenende entgegen stellten.

Tote auf beiden Seiten

Nach Angaben von US-Militärsprechern gab es zwei blutige Schlachten. Zuerst trafen die US-Truppen auf irakische Soldaten, die sich zu ergeben schienen. Stattdessen aber griffen sie plötzlich an. Damit habe ein "sehr erbitterter Kampf" begonnen, sagt der stellvertretende Kommandeur des US-Oberkommandos Mitte, Generalleutnant John Abizaid. Die US-Truppen zerstörten acht Panzer und mehrere Flugabwehrbatterien. Auf beiden Seiten gab es Tote. Die Amerikaner gaben ihre eigenen Verluste mit bis zu neun Toten und einer ungenannten Zahl von Verletzten an.

Die zweite Schlacht begann damit, dass ein amerikanischer Versorgungskonvoi von sechs Fahrzeugen eine falsche Richtung einschlug und auf gefährliches Gelände geriet. Der Konvoi wurde angegriffen. Die Fahrzeuge wurden zerstört, etwa zwölf Soldaten wurden vermisst. Das irakische Fernsehen zeigte fünf gefangen genommene Amerikaner und vier Leichen, bei denen es sich nach irakischer Darstellung um getötete US-Soldaten handeln soll. Vier verwundete Soldaten wurden von Marine-Infanteristen geborgen.

US-Offiziere erklären jetzt, dass sie vorerst nicht weiter um die Einnahme von Nassirijah kämpfen würden. Damit schlagen die alliierten Truppen die gleiche Strategie ein wie schon in Basra, wo ebenfalls auf eine Besetzung der Stadt verzichtet wurde.

Die Führung der US-Streitkräfte war bemüht, den Eindruck eines Rückschlags zu vermeiden. "Ich denke, wir stoßen schneller vor, als irgendjemand erwartet hat", sagt Generalmajor Daniel Leaf, der die Luftangriffe leitet. Aber die Kämpfe hielten den großen Konvoi bei Nassirijah auf. Und von der kuwaitischen Grenze rücken immer noch tausende von Truppen nach.

Vorderste Einheiten befinden sich bei Nadschaf

Die vordersten Einheiten befinden sich am vierten Tag des Einmarschs in der Nähe von Nadschaf, weniger als 160 Kilometer von Bagdad entfernt. Auf dem Weg dorthin beschießen Soldaten der 3. Infanteriedivision irakische Milizionäre. Etwa 100 von ihnen sollen getötet worden sein.

Die ganze Nacht über kommt es auf den Feldern bei Nadschaf zu Gefechten. Kleinere Gruppen von irakischen Soldaten nähern sich den US-Stellungen in Kleinlastwagen oder auch zu Fuß. Sie werden mit Panzern und Artillerie beschossen und wieder zurück getrieben. Als die irakischen Streitkräfte von Nadschaf aus Raketen auf die US-Truppen abfeuern, beginnen diese, auch die Heilige Stadt der Schiiten zu beschießen. Im Morgengrauen schlagen Raketen in Nadschaf ein, schwere Explosionen sind zu hören.

Am Rand von Nadschaf nähern sich 30 irakische Militärfahrzeuge den Stellungen der amerikanischen 2. Brigade. Deren Offiziere fordern Luftunterstützung an. Bald darauf werden die Iraker von B-52-Bombern und so genannten Erdkampfflugzeugen des Typs A-10 bombardiert.

Das Kriegsgeschehen ist für die alliierten Truppen bisher kaum kalkulierbar. In weiten Teilen im Süden stießen sie auf keinerlei Widerstand. An anderen Orten aber ist dieser weit heftiger als offenbar erwartet. In der südirakischen Hafenstadt Umm Kasr - nach amerikanischen und britischen Militärangaben schon seit Freitag unter alliierter Kontrolle - werden immer wieder neu aufflammende Kämpfe gemeldet.

Ellen Knickmeyer

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