Tag der Menschenrechte "Im Iran wird systematisch gefoltert"

Im Iran wurden in diesem Jahr mehr als 300 Menschen zum Tode verurteilt. Im Interview mit stern.de kritisiert Amnesty-Chefin Monika Lüke aber auch Länder wie Tschechien und Italien. Hier würden Roma diskriminiert.

Frau Lüke, im neuen Bericht zu Menschenrechten finden sich alte Bekannte, in denen sich die Lage noch weiter verschlimmert hat wie China und Iran. Was passiert dort?
In beiden Staaten war 2009 kein gutes Jahr für Menschenrechte. In China etwa, gab zahlreiche Gedenktage: der 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, der 50. Jahrestag des Aufstands in Tibet sowie der 20. Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platzes. Die Behörden nutzten diese Anlässe gezielt zur massiven Unterdrückung der Opposition. So wurden Regimegegner aus Städte geschafft, sie wurden in Verwaltungshaft genommen, sprich: ohne richterliches Urteil eingesperrt. Auch Juristen und Anwälte wurden gezielt drangsaliert, etwa durch Entzug ihrer Lizenz. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse, auf der China das Gastland war, wurden Autoren daran gehindert nach Deutschland zu reisen.

Viele Menschen hatten ja vor allem vor den Olympischen Spielen 2008 gehofft, dass sich die Menschenrechtslage in China verbessern würde. Hat die Hoffnung getrügt?
Die Olympischen Spiele haben die in die gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Trotz oder weil die Welt nach China geblickt hat, wurden Oppositionelle aus der Öffentlichkeit gedrängt und teilweise in Geheimgefängnisse gesteckt. In China überwachen 30.000 Menschen Tag und Nacht das Internet und versuchen zu verhindern, dass Oppositionelle wie Künstler, Anwälte und Menschenrechtler Nachrichten aus dem Land verschicken können. Die Welt soll kein Bild bekommen, wie es in China wirklich zugeht.

Im Iran sind erst jetzt wieder oppositionelle Studenten auf die Straße gegangen. Und trotz massiver Internet- und Mobilfunksperren ist es einigen Demonstranten gelungen, Bilder und Videos rauszuschicken.
Es ist ganz erstaunlich, wie die Menschen im Iran es schaffen, trotz dieser Blockaden Informationen aus dem Land zu bekommen. In Sachen Internetzensur befindet sich Iran auf den Fußspuren Chinas. Erst vor zwei Wochen wurde eine Internet-Polizei eingerichtet, die unter anderem das Netz zensiert. Dennoch haben wir gehört, dass erst am Montag wieder 200 Menschen festgenommen wurden.

Sind die umstrittenen Wahlen im Sommer und die anschließenden Demonstrationen Schuld an der sich verschlechternden Menschenrechtslage?
Ja. China mag Weltmeister bei der Gesamtzahl von Hinrichtungen sein, doch Iran belegt seit diesem Jahr den ersten Platz, was den Anteil der Hinrichtungen gemessen an der Bevölkerung betrifft. Rund 340 Menschen kamen dort im vergangenen Jahr durch die Todesstrafe ums Leben, dieses Jahr werden es wohl etwas mehr sein. Allein in den vergangenen zwei Wochen wurden wieder fünf Todesurteile verhängt, aufgrund von Geständnissen, die unter Folter erpresst wurden. Nach unseren Recherchen wird in den dortigen Gefängnissen systematisch gefoltert, Frauen werden systematisch vergewaltigt. Uns sind Fälle von Menschen bekannt, die nach ihrer Festnahme erst einmal ärztlich behandelt werden mussten, bevor sie ins Gefängnis kommen, weil sie sonst unmittelbar gestorben wären. Auch die Nobelpreisträgerin Schirin Ebadi ist ins Visier des Staates gerückt, ihr hat man das Konto gepfändet. Die Lage dort ist verheerend.

In ihrem Bericht werden auch Staaten wie Mexiko und Thailand genannt, die bisher als eher harmlos galten.
Die mexikanische Regierung ist offiziell eine Freundin der Menschenrechte, die sie regional auch fördert. Der Staat selbst aber bekommt sie immer weniger in den Griff, was auch am eskalierenden Drogenkrieg liegt. In den vergangenen Jahren sind 14.000 Menschen allein im Zusammenhang mit dem Drogenkrieg gewaltsam ums Leben gekommen. Dafür ist die Regierung zwar nur in wenigen Fällen direkt verantwortlich - aber es gelingt ihr eben auch nicht, die Menschen zu schützen. Es gibt Städte in dem Land, in denen man sich als Frau nicht einmal tagsüber auf die Straße trauen kann, und der Staat tut nichts. Im Gegenteil. Viele Verbrechen von Militärs und Polizei bleiben ungesühnt. Zudem nehmen die Beschwerden über Menschenrechtsbeschwerden in letzter Zeit deutlich zu.

Was ist mit den beliebten Urlaubsländern wie Thailand?
Dort hat sich die Menschenrechtslage deutlich verschlechtert. Schuld daran ist unter anderem das Gesetz, das den König vor Beleidigung schützt. Es wird gnadenlos missbraucht, um aus- und inländische Journalisten zu verhaften. Seit August wird zudem wieder die Todesstrafe angewendet. Daneben sind uns Fälle bekannt, dass die Vertreter von muslimischen Minderheiten gefoltert werden, wenn sie für ihre Belange eintreten.

Sie kritisieren auch die EU-Länder Tschechien und Italien wegen ihres Umgangs mit den Roma. Was genau werfen sie den Regierungen vor?
In Tschechien werden Roma-Kinder in Sonderklassen geschickt. Sie haben daher überhaupt keine Chance auf gleiche Bildung wie der Rest des Landes. Zudem leben sie teilweise in ghettoähnlichen Zuständen, was nach dem Menschenrechtsverständnis der Europäischen Union nicht sein dürfte. In Italien wurden in diesem Jahr Roma in Mailand und Rom über Nacht aus ihren Wohnungen vertrieben - ohne, dass ihnen eine ordentliche Ausweichmöglichkeit zur Verfügung gestellt wurde. Das ist eine klare Menschenrechtsverletzung. Außerdem hat die italienische Regierung jüngst ein Gesetz verabschiedet, dass den Zugang der Roma zu Sozialleistungen behindert.

Monika Lüke

Monika Lüke ist Chefin von Amnesty International Deutschland. Die 40-Jährige führt seit April 2009 die Sektion, zuvor hatte sie für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit gearbeitet.

Niels Kruse