Noch lange stand Barack Obama in der Halle, in der er gerade seine Kampfeslust wieder gefunden hatte. Er sprach mit den Leuten, die vorher noch die Fragen gestellt hatten in dieser Bürgerrunde für die beiden Präsidentschaftskandidaten. Obama lachte mit ihnen, ließ sich gemeinsam fotografieren. Michelle, seine Frau, musste auf ihn warten. Es schien so, als würde er nicht genug davon bekommen können. Als würde er, dieser kühle, distanzierte Mann, diesen Moment wirklich sehr genießen. Mitt Romney war da schon längst weg.
Sieger bleiben, Verlierer verziehen sich. Das ist halt so, im Sport und auch in der Politik. Bei der ersten Debatte in Denver, die Obama so versemmelt hatte, als er so lustlos wirkte, verschwand er schnell von der Bühne; dort war es Romney, der nicht weg wollte und sich lange von seiner Familie feiern ließ.
Zwischen diesen zwei Fernsehduellen hatte Obama viel von seinem Vorsprung in den Umfragen verloren, Mitt Romney kam ihm immer näher. Im Obama-Lager zitterten sie vor diesem Abend: Ein weiterer schwacher Auftritt, und der amtierende Präsident würde die Wahl verlieren. Sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney ist ein Streber, er gilt als stark in Debatten, weil er sich akribisch vorbereitet und diesen Schlagabtausch liebt. Obama dagegen hält solche Duelle für politische Spielereien, beim ersten Aufeinandertreffen hatten sie ihn so angewidert, dass er immer weniger sagte und am Ende Romney die Bühne fast ganz alleine überließ. An diesem Abend aber ließ Obama von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er aus seiner Lethargie erwacht war. Mit schnellen Schritten eilte er zur Begrüßung auf Romney zu.
Mitt Romney hat es sich zu einfach gemacht
Romney war da noch zu selbstsicher, um zu bemerken, dass er es dieses Mal mit einem hochmotivierten Obama zu tun hatte. Romney fing zunächst auch gut an. Wenn er zu den 82 Ausgewählten sprach, die in der Sport- und Ausstellungshalle der Hofstra Universität in Hempstead ihre Fragen stellen durfte, wandte er sich ihnen zu, sprach sie mit ihren Namen an und lächelte dabei. Manchmal wirkte er den Bürgern dabei näher als Barack Obama, der zeitweise sprach, als habe er eine Zuhörerschaft von Tausenden vor sich. Doch im Laufe der Debatte wurde Romney nervöser, sein Mund schmaler, das Lächeln versteinert. Er unterbrach immer wieder Candy Crowley, die resolute Moderatorin, und beharrte darauf, die Worte des Präsidenten kommentieren zu dürfen. Er vergaß dabei manchmal, die eigentlichen Fragen zu beantworten. Er kam ins Stolpern und ins Schlingern, nicht dramatisch, aber dramatisch genug, um am Ende als Verlierer aus diesem Duell hervor zu gehen.
Mitt Romney hatte es sich zu einfach gemacht. Er dachte wohl: Was beim letzten Mal gelang, würde auch diesmal klappen. Und so präsentierte er wieder seine fünf Punkte, mit denen er das Land voran bringen will. Und so beschwor er wieder die heimische Ölförderung und seine Erfahrung im harten Wirtschaftsleben. Dabei vergaß er, dass die Wähler gerne auch ein paar neue Erkenntnisse gewonnen hätten. Zum Beispiel endlich eine Antwort auf die Frage, wie Steuererleichterungen, Reduzierung der Schulden und eine Erhöhung des Militärhaushalts gegenfinanziert werden sollten. Oder wie in den nächsten Jahren die versprochenen zwölf Millionen Jobs entstehen sollen. Der Mitt Romney aus der zweiten Debatte blieb so diffus wie der Mitt Romney aus der ersten Debatte. Nur diesmal hatte er einen Gegner, der präziser, klarer und lebendiger war. Der Romney hart attackierte, mit präzisen Schlägen, wie ein Boxer, der gerade einen ziemlich guten Lauf hat.
Es ging an diesem Abend für Obama um sehr viel, um so viel, dass er sich ganz anders gab, als die Amerikaner ihn bisher kannten. Barack Obama zeigte plötzlich Lust an der Attacke. Wenn Romney etwas sagte, was er vorher im Wahlkampf ganz anders gesagt hatte, fuhr Obama ihm dazwischen: "Das ist nicht wahr, Governor Romney!" Immer wieder bezichtigte der Präsident seinen Herausforderer der Lüge.
Obama beherrschte den Ring
Manchmal ermahnte er seinen Gegner mit erhobenem Zeigefinger, wie ein Lehrer sah er dann aus, der einen Schüler beim Schummeln ertappt. Und Mitt Romney lächelte verlegen. Wenn Obama sprach, klang seine Stimme dieses Mal kraftvoller und lauter. Obama lächelte fast vor jeder Frage, als wisse er genau, was er zu antworten habe. Er war selbstsicher. Dieses Mal beherrschte er den Ring, nicht Romney.
Der Moderator und Schauspieler Bill Maher, ein Freund und Kritiker Obamas, twitterte kurz nach dieser Szene: "Welcome back, Black Ninja."
Gefährlich nahe kamen sich die beiden, als sie über die Energiepolitik stritten, und die Frage, ob in den vergangenen vier Jahren mehr Erdöl gefördert wurde als zuvor (Obama) oder weniger (Romney). Romney sagte: "Das ist wahr!" Obama entgegnete: "Das ist nicht wahr!" Mehrmals wiederholten sie ihren Schlagabtausch und schlichen um den anderen herum, wie Boxer in der Lauerstellung. Obama nahm bald die Rolle des Angreifers ein, Romney sah sich in der Defensive und kam aus ihr nicht mehr heraus: Sein niedriger Steuersatz bei 20 Millionen Dollar Jahreseinkommen, seine Tätigkeit bei Bain Capital, der Firma, die viele Jobs von amerikanischen Firmen nach Übersee verlagert hatte. Wenn sich Romney nicht souverän fühlt, macht er Fehler. Und so erzählte er, als es um die Frage der Frauenförderung ging: Als er Personal für seine Regierung in Massachusetts gesucht habe, habe er seine Mitarbeiter angewiesen, gezielt nach Frauen zu suchen. Seine Helfer hätten ihm daraufhin einen "Ordner voller Frauen" gebracht. Dieser Fauxpas wurde in Minuten zum großen Lacher im Internet und auf Twitter.
Der Republikaner schaffte es nicht einmal, die einfachsten Vorlagen ins Tor zu befördern. Der Anschlag auf die US-Botschaft in Libyen und seine Bewertung entwickelt sich gerade zum politischen Desaster für die Obama-Regierung. Romney versuchte, daraus Kapital zu schlagen. Am Ende aber musste er sich von der Moderatorin korrigieren lassen und zusehen, wie das Publikum für Obama klatschte, obwohl Klatschen eigentlich verboten war bei dieser Debatte.
Wut und Entsetzen auf Romneys Gesicht
Am Ende schließlich lieferte Romney seinem Gegner sogar die beste Steilvorlage, die sich dieser wünschen konnte. Er erinnerte selbst an jenes "47 Prozent"-Zitat, das ihm im Wahlkampf schon so sehr geschadet hatte. "Ich kümmere mich um 100 Prozent der Amerikaner", sagte Romney und vernahm sogleich Obamas Konter: "Ich glaube, der Governeur ist ein netter Mensch. Aber er bezeichnete 47 Prozent der Amerikaner als Opfer. Denken Sie, über wen er da sprach." In diesem Moment konnte man auf Romneys Gesicht Wut und Entsetzen sehen, er konnte nicht mehr antworten. Obama lächelte dagegen befreit. Gewinnen fühlt sich einfach gut an.
Obama hat mit diesem Sieg Romneys Lauf gestoppt, ob er die Wahl am 6. November damit gewinnt, ist damit aber noch nicht gesagt. Am kommenden Montag findet die letzte der Präsidenten-Debatten statt.
In Hempstead versuchten Romneys Berater im so genannten Spin Room, wo am Ende der Debatte die Berater beider Parteien bereit stehen, um den Journalisten ihre Einschätzung einzuhämmern, die Schwächen ihres Kandidaten in Stärken zu verwandeln. "Die Wähler mögen keinen Präsidenten, der einmal kaum wahrnehmbar ist und das nächste Mal wie Kai aus der Kiste springt", sagte Romneys Berater Stuart Stevens über Barack Obamas Auftritt. "Mitt Romney hat heute Kontinuität und Zuverlässigkeit gezeigt." Gleich daneben stand ein strahlender Charles Schumer, der demokratische Senator für New York. "Ich hatte ja erwartet, dass der Präsident heute gut sein würde", sagte er den Journalisten. "Aber er war ja sogar besser." Obamas Pressesprecherin Jen Psaki erzählte, sie habe gleich nach den ersten Minuten vor Freude geschrien: "Das war der Mann, den die Amerikaner vor vier Jahren gewählt haben. Er ist wieder da."