Russische Invasion Russland greift Frontstadt im Donbass an – Moskau meldet Tote nach mutmaßlich ukrainischem Drohnenangriff

Kämpfe Ukraine
Ein ukrainischer Soldat feuert eine Panzerfaust auf russische Stellungen an der Frontlinie in der Nähe von Awdijiwka ab (Archivbild)
© LIBKOS / AP / DPA
Die Ukraine wird weiter von russischen Angriffen erschüttert. Auf einen Ort hat Moskau es nun besonders abgesehen. Präsident Selenskyj sammelt derweil weiter Unterstützung bei den Verbündeten.

Die russische Armee versucht eine der wichtigsten Bastionen der Ukraine im Donbass einzukesseln: die Industriestadt Awdijiwka in unmittelbarer Nähe von Donezk. Zwar berichtete der ukrainische Generalstab, die Sturmangriffe seien abgewehrt worden – 13 Attacken bei Awidijiwka selbst, 10 Attacken nahe dem etwas nördlich gelegenen Dorf Stepowe. Doch die von Flugzeugen, Artillerie und Dutzenden Panzern unterstützte Offensive ist die größte der russischen Armee seit Wochen. In der Nacht auf Donnerstag griff Russland den Süden und Osten der Ukraine zudem wieder mit zahlreichen Kampfdrohnen an, wie die ukrainische Luftwaffe mitteilte.

Präsident Wolodymyr Selenskyj brachte unterdessen von einem Besuch in Brüssel neue Zusagen für militärische Hilfe mit. "Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Stärkung unserer Luftverteidigung und den wichtigsten Instrumenten an der Front, Artillerie, Systemen mit hoher Reichweite", sagte der Staatschef in seiner Videobotschaft am Mittwochabend. Die Ukraine wehrt seit fast 20 Monaten eine russische Invasion ab. Am Donnerstag ist der 596. Kriegstag.

Offensive gegen Frontstadt Awdijiwka

Awdijiwka liegt nur gut 15 Kilometer von Donezk entfernt und ist seit 2014 Frontstadt, als im Osten die Kämpfe zwischen den von Moskau geführten Separatisten und der ukrainischen Armee begannen. Als Russland 2022 seine großangelegte Invasion begann, hatte die von einer großen Kokerei geprägte Stadt noch über 30.000 Einwohner. Nur ein paar hundert Menschen sollen trotz Beschuss noch dort ausharren. Die russische Offensive soll nach Einschätzung von Militärexperten Druck von anderen Frontabschnitten nehmen und ukrainische Kräfte binden.

Der Militärverwaltungschef von Awdijiwka, Witalij Barabasch, nannte die russischen Angriffe die schwersten seit Beginn der Invasion im Februar 2022. Dabei seien am Dienstag etwa 60 Panzer eingesetzt worden. Aktuell griffen russische Infanteriegruppen mit Unterstützung aus der Luft, aber ohne Panzertechnik an, sagte er dem Radiosender Donbass Realiji. Allein am Mittwoch seien 23 Raketen auf das Stadtgebiet abgefeuert worden. Russische Quellen berichteten von Geländegewinnen nördlich von Awdijiwka. Unabhängig ließen sich die Angaben zunächst nicht überprüfen.

Hilfe im Wert von 500 Millionen US-Dollar

Die Ukraine erhielt bei dem Treffen ihrer Unterstützerländer im sogenannten Ramstein-Format Hilfen im Wert von 500 Milliarden US-Dollar (471 Millionen Euro). Das sagte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umarow nach dem Treffen in Brüssel am Mittwoch. Auf der Liste stünden Flugabwehr, Munition, Hilfe für den kommenden Winter sowie Kampflugzeuge vom Typ F-16, sagte Umerow.

Selenskyj nahm bei dem nicht vorab angekündigten Besuch in Brüssel erstmals persönlich an einem Ramstein-Treffen der Verteidigungsminister teil. Er sprach mit US-Ressortchef Lloyd Austin, dem neuen US-Generalstabschef Charles Brown sowie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Neben Hilfspaketen aus den USA, Großbritannien und Finnland versprach Belgien die Lieferung von F-16.

"Es war also ein starker Tag!", sagte Selenskyj. "Belgien, ich danke euch! Allen Ramstein-Verbündeten: Danke! Den Vereinigten Staaten bin ich dankbar für ihre Führung und Unterstützung! Jeden Tag werden unsere Soldaten und unser ganzes Volk stärker." Die neuen Zusagen sind für das angegriffene Land wichtig, weil die Front der Unterstützer an einigen Stellen brüchig wird. So blockiert in den USA ein Haushaltsstreit die Finanzierung weiterer Hilfen für die Ukraine.

Ungewöhnlich war, dass der Selenskyj sich bei seiner Ansprache in einem Zug selbst filmte - mit Fahrgeräuschen im Hintergrund. Ausländische Politiker reisen derzeit aus Sicherheitsgründen nur mit dem Nachtzug nach Kiew. Es wird davon ausgegangen, dass auch Selenskyj bei seinen nicht vorab angekündigten Reisen ins Ausland und zurück Bahn fährt.

Nächtliche Luft- und Artillerieangriffe auf Teile der Ukraine

Die Warnungen vor den russischen Shahed-Drohnen, die im Kamikaze-Stil mit Sprengladungen auf ihr Ziel herabstürzen, betrafen in der Nacht zu Donnerstag viele ukrainische Gebiete. Explosionen wurden nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe aus den Gebieten Charkiw im Osten sowie Odessa und Cherson im Süden gemeldet. Zu möglichen Schäden gab es noch keine Angaben.

Umgekehrt meldete die russische Seite drei Todesopfer nach einem angeblichen ukrainischen Drohnenangriff in der Grenzregion Belgorod. Rettungskräfte hätten aus den Trümmern eines Hauses die Leichen einer Frau und eines Mannes sowie eines kleinen Kindes geborgen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow. Auch diese Angaben waren zunächst nicht überprüfbar.

In der im November 2022 von ukrainischen Truppen zurückeroberten Gebietshauptstadt Cherson schlugen am Mittwochabend nach Behördenangaben fortwährend russische Artilleriegeschosse ein. Dabei seien mehrere Hochhäuser beschädigt worden. Cherson liegt direkt am Strom Dnipro, dessen Südufer von russischen Truppen besetzt ist.

Früher am Tag hatte russischer Beschuss die Stadt Nikopol im Gebiet Dnipropetrowsk getroffen. Aus den Trümmern einer Schule bargen Rettungsmannschaften bis zum Abend vier Tote, wie der ukrainische Innenminister Ihor Klymenko mitteilte.

Putin zu erstem Auslandsbesuch in Kirgistan

Putin ist am Donnerstag in der zentralasiatischen Republik Kirgistan eingetroffen – es ist sein erster Auslandsbesuch in diesem Jahr. Es ist auch das erste Mal, dass der Kremlchef seit Erlass des Haftbefehls des Weltstrafgerichts in Den Haag Russland verlassen hat. In Kirgistan droht dem 71-Jährigen anders als in vielen anderen Ländern der Erde keine Festnahme wegen Kriegsverbrechen gegen die Ukraine. Bei seinem bis Freitag geplanten Aufenthalt in dem Land dürfte sich Putin einmal mehr auch zu seinem seit fast 600 Tagen andauernden Krieg gegen die Ukraine äußern.

Der Kremlchef plant eine Reihe bilateraler Treffen in Kirgistan und am Freitag auch die Teilnahme am Gipfel der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), in der frühere Sowjetrepubliken zusammenarbeiten. Putin will mit der Reise einmal mehr zeigen, dass er trotz der Sanktionen des Westens im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine international nicht isoliert ist.

Ziel seiner Reise ist auch, anderen Staaten wie China, der Türkei und der Europäischen Union im Ringen um Einfluss in Zentralasien nicht das Feld zu überlassen. Putin nimmt laut Kreml in Kant – rund 20 Kilometer östlich von Bischkek – auch an einer Zeremonie zum 20-jährigen Bestehen der dortigen russischen Luftwaffenbasis teil. In der kommenden Woche plant Putin laut Kreml auch eine China-Reise.

Experten hatten Russland bescheinigt, nach dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar vorigen Jahres in Regionen wie Zentralasien, aber auch im Südkaukasus an Einfluss verloren zu haben.

Für Putin stand am Donnerstag laut Kreml auch ein Treffen mit dem aserbaidschanischen Staatschef Ilham Aliyev in Bischkek auf dem Programm, nachdem die Ex-Sowjetrepublik sich mit einer umstrittenen Militäroperation die von Armeniern bewohnte Südkaukasusregion Berg-Karabach zurückgeholt hatte. Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan wird demnach nicht nach Kirgistan reisen.

DPA
cl

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