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Waffenhilfe für Ukraine Erst Panzer, nun Jets? Was hinter der Kampfflugzeug-Debatte stecken könnte

ampfjet vom Typ MiG-29
Ein Kampfjet vom Typ MiG-29
© RADOSLAW JOZWIAK / AFP
Nach der Lieferzusage für Kampfpanzer nimmt eine Debatte um Kampfjets westlicher Bauart an Fahrt auf – und einige Verbündete zeigen sich dafür empfänglich. Warum?

Ist nach dem Kampfpanzer vor dem Kampfjet? Die Ukraine hat nach der Zusage für die Lieferung von Kampfpanzern aus Ländern wie den USA und Deutschland seine Forderung erneuert, auch mit Kampfflugzeugen westlicher Bauart ausgestattet zu werden – und einige Verbündete zeigen sich zumindest empfänglich für eine Diskussion darüber. 

Kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs wurde die Lieferung von Kampfjets noch kategorisch ausgeschlossen. Im März vergangenen Jahres hatte sich die US-Regierung gegen einen entsprechenden Vorstoß Polens gestellt und vor einer "erheblichen russischen Reaktion" gewarnt, wie Pentagon-Sprecher John Kirby seinerzeit sagte. Das Thema war damit vorerst vom Tisch.

Nun wolle man das Anliegen aus Kiew "sorgfältig diskutieren", sagte Jon Finer, der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, am Donnerstag zu MSNBC. "Wir haben keine bestimmten Systeme von vornherein ausgeschlossen oder zugesagt". Man werde die Unterstützung danach ausrichten, was die Ukraine brauche.

Auch Frankreich will sich "alle Türen offen lassen", wie der der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Thomas Gassilloud, vom "Guardian" zitiert wurde. Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra hatte schon vergangene Woche gesagt, es gebe "keine Tabus" bei der militärischen Unterstützung. Sein Land stehe etwaigen Anfragen "aufgeschlossen" gegenüber. In Polen wäre man zu einer Lieferung von Kampfflugzeugen im Kollektiv der Nato bereit

Dass die Unterstützerländer tatsächlich eine Lieferung von Kampfflugzeugen in die Ukraine erwägen, bedeuten die vorsichtigen Äußerungen indes nicht – eine explizite Absage jedoch ebenso wenig. Dem könnten mehrere Überlegungen zugrunde liegen.

Die roten Linien

Im Kriegsverlauf haben sich einst rote Linien bei der Militärhilfe schon mehrmals verschoben – und könnten es wieder tun. Washington habe Kiew signalisiert, dass die Lieferung von Flugzeugen "vorerst ein No-Go" seien, zitierte "Politico" einen Diplomaten aus Nordeuropa, der jedoch hinzufügte: "Da gibt es eine rote Linie – aber letzten Sommer hatten wir eine rote Linie bei den Himars (Mehrfachraketenwerfern), und das bewegte sich. Dann waren es Kampfpanzer, und das bewegte sich." 

Nicht zuletzt Kiew erhofft sich, dass zumindest Bewegung in die Debatte kommt. "Die nächste große Hürde werden die Kampfjets sein", sagte Yuriy Sak, ein Berater des ukrainischen Verteidigungsministers, zur Nachrichtenagentur Reuters. "Wenn wir sie (moderne westliche Kampfjets) bekommen, bedeutet das einen immensen Vorteil auf dem Schlachtfeld".

Das ist eine Überzeugung, die Militärstrategen wie Justin Bronk durchaus teilen. Der Forscher des RUSI-Thinktanks in London mahnt jedoch auf Twitter, dass auch westliche Kampfflugzeuge einem hohen Risiko durch russische Boden-Luft-Raketen ausgesetzt seien und Logistik, Personal und Ausbildung bedürften. "Die Frage ist, sollte dies jetzt Priorität haben oder warten?"

Die schrittweise Erhöhung der ukrainischen Kampfkraft – oder die Neubewertung von roten Linien – verfolgt eine Strategie, die von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als "den Frosch kochen" beschrieben wurde.

In dem Artikel wird Joe Bidens Vorgehensweise skizziert – der wohl auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) folgt –, erstens keine Waffen zu liefern, mit der die Ukraine Russland angreifen könnte, und zweitens die ukrainische Armee immer nur schrittweise besser zu bewaffnen, damit sich der russische Präsident Putin jedes Mal neu fragen muss, ob er die Bedrohung durch die gestiegene ukrainische Schlagkraft so groß einschätzt, dass er deswegen die xdirekte Konfrontation mit dem Westen suchen und den Krieg ausweiten würde.

"Amerikanische Regierungsvertreter nannten dieses Vorgehen einmal 'den Frosch kochen' – in Anlehnung an die Geschichte eines Frosches, der sofort aus dem Topf hüpft, wenn man ihn in kochendes Wasser setzt, nicht aber, wenn das Wasser nur langsam erhitzt wird."

Die Lieferung von Kampfpanzern hat die Temperatur erhöht, wie die ersten Reaktionen aus Moskau zeigen. Die Lieferung von Kampfjets würden das auch, stellten sie abermals eine neue Qualität der Waffenhilfe dar. Und es ist zu erwarten, dass eine solche Debatte noch hitziger geführt werden würde als beim zähen Tauziehen um den Panzerpakt.  

So hat Deutschland solcherlei Lieferungen bereits ausgeschlossen. "Dass es nicht um Kampfflugzeuge geht, habe ich ja sehr früh klargestellt und mache das auch hier", sagte Bundeskanzler Scholz am Mittwoch im Bundestag. Das hätten er und US-Präsident Biden schon in der Diskussion um Flugverbotszonen über der Ukraine deutlich gemacht, die zu Beginn des Krieges aufkam. "Das werden wir nicht tun", habe er seinerzeit gesagt. "An dieser Haltung hat sich gar nichts geändert und wird sich auch nichts ändern." 

Das Signal an Moskau

Ob es zu einem Konsens kommen könnte, die Ukraine auch mit westlichen Kampfflugzeugen auszustatten, bleibt abzuwarten. Die offenbar gewünschten Jets der vierten Generation, wie etwa der F-16 der USA, kämen wegen der organisatorischen Hürden möglicherweise erstmal nicht in Frage. Stattdessen könnte die Ukraine aber Flugzeuge sowjetischer Bauart erhalten, ähnlich wie bei den frühen Panzerlieferungen. Mit jenem Vorstoß, Jets vom Typ MiG-26 zu liefern, war Polen kurz nach Kriegsbeginn gescheitert. 

Dass einige westliche Unterstützerländer die öffentliche Debatte um die Lieferungen von Kampfjets zumindest laufen lassen – obwohl erst die Panzer-Entscheidung getroffen wurde – könnte daher noch einen weiteren Grund haben. 

Einerseits soll die Lieferung der Kampfpanzer der Ukraine ermöglichen, sich gegen die russischen Invasoren zu verteidigen, andererseits wollen die westlichen Verbündeten das Signal an Moskau aussenden, dass die militärische Unterstützung für das Land nicht versiegt – und man Kiew so lange zur Seite steht, wie es nötig ist. 

"Die Botschaft, die mit dem, was wir die ganze Zeit getan haben in den letzten Monaten und jetzt auch wieder tun, sorgfältig abgewogen, sorgfältig abgestimmt, ist, dass Putin (der russische Präsident) nicht darauf rechnen kann, dass die Unterstützung für die Ukraine nachlässt", sagte Bundeskanzler Scholz im ZDF-Interview mit Blick auf die die Lieferung des Leopard-Kampfpanzers.

Ähnlich äußerte sich US-Präsident Biden, als er die Abgabe des Abrams-Kampfpanzers ankündigte. "Die Panzer sind keine offensive Gefahr für Russland, es gibt keine Gefahr einer Offensive auf russisches Territorium. Wenn die russischen Truppen sich nach Russland zurückziehen, wo sie hingehören, dann wäre dieser Krieg heute zu Ende."

In anderen Worten: Man lässt bei der Militärhilfe für die Ukraine nicht nach – wird Putin das zu heiß, kann er die russischen Truppen ja jederzeit zurückziehen. Dass die schiere Option von Kampfjets für die Ukraine von einigen Unterstützerländern nicht öffentlich abgeräumt wird, könnte daher Kalkül sein – dürfte der Kriegstreiber aus dem Kreml die Äußerungen doch aufmerksam verfolgen. 

Quellen:  "Politico", Reuters, CNN, "Financial Times", n-tv, Bundestag (Plenarprotokoll), Deutschlandfunk, Redaktionsnetzwerk Deutschland, "Spiegel", MSNBC, "Guardian", "NL Times", "Tagesspiegel"

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