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Deutschland und USA Scholz, Biden und das turbulente Tauziehen bis zum Panzerpakt

US-Präsident Joe Biden (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz 
US-Präsident Joe Biden (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz 
© Martin Meissner/ / Picture Alliance
Deutschland und die USA liefern Kampfpanzer an die Ukraine, nun also doch. Keine weiteren Fragen, außer: Wer hat nun nachgegeben, Bundeskanzler Scholz oder Präsident Biden? 

War da was? Auch Joe Biden will offenbar den Eindruck zerstreuen, dass es diplomatische Schwerstarbeit war, was er am Mittwoch im Weißen Haus ankündigt. Es ist nicht weniger als eine abrupte Kehrtwende seiner Regierung: Die USA werden der Ukraine den Abrams-Kampfpanzer liefern, nun also doch, und auf den Panzergeleitzug aufspringen. Nur Stunden zuvor hatte die Bundesregierung bekannt gegeben, dass Leopard-Panzer aus Deutschland geliefert werden sollen. Plötzlich ist möglich, was vor wenigen Tagen noch unmöglich schien. 

Beim Abrams handele es sich um "sehr kompliziertes" Rüstungsgut, hieß es nur eine Woche zuvor aus Washington, das weder einfach zu warten noch zu betreiben sei und der Ukraine damit von keinem raschen Nutzen sein würden. Die USA lehnten eine Lieferung daher indirekt ab – nur soll Bundeskanzler Olaf Scholz diese zur Bedingung gemacht haben, um grünes Licht für die Abgabe des Leopard an Kiew zu geben. 

Hat der US-Präsident also nachgegeben? 

In seiner Ankündigung bedankte sich Biden bei Scholz für dessen "Führungsstärke" und "sein unerschütterliches Engagement" bei der Unterstützung der Ukraine. Deutschland habe sich wirklich starkgemacht, der Bundeskanzler sei eine starke Stimme für die Einheit und ein enger Freund.

Er sei aber, antwortete Biden auf die Nachfrage einer Journalistin nach dem Sinneswandel, von Deutschland "nicht gezwungen" worden, seine Meinung zu ändern. "Wir wollten sicherstellen, dass wir alle zusammen sind. Das wollten wir die ganze Zeit tun. Und genau das tun wir gerade", so Biden.

Also ist der Bundeskanzler eingeknickt?

Im Gegenteil. Scholz hat sich nicht beirren lassen, so sieht er das jedenfalls. Wenige Stunden vor Bidens Auftritt machte der Kanzler im Bundestag deutlich, dass er mit seiner abwartenden Politik bei den Panzerlieferungen vieles "richtig" gemacht habe. Es sei "richtig, dass wir eng abgestimmt mit unseren internationalen Partnern die Ukraine unterstützen." Es sei "richtig und mit voller Absicht geschehen, dass wir uns Stück für Stück vorgearbeitet haben". Und es "war richtig und ist richtig, dass wir uns nicht haben treiben lassen."

Ob das Verhältnis zu den USA durch den Panzerpakt nach Scholz-Prinzip gelitten haben könnte? Die Beziehungen seien "auf einem so guten Niveau sind wie schon wahrscheinlich ganz lange nicht mehr", versicherte der Kanzler, der Biden einen "sehr fähigen, sehr orientierten" Politiker und "wirklich guten Partner" nannte.

Es herrscht große Harmonie und Einigkeit, hier wurde niemand getrieben, gedrängt, oder unter Zugzwang gesetzt – so wollen es Biden und Scholz offensichtlich verstanden wissen. Die vergangenen Wochen konnten ein anderes Bild vermitteln. Die "Süddeutsche Zeitung" will sogar von heftigen Wortgefechten zwischen Washington und Berlin auf Kabinettsebene erfahren haben, was die Bundesregierung deutlich dementierte. Verhakt hatten sich die Partnerstaaten aber offenkundig. 

"Deutschland ist das Land, das vorne ansteht"

Denn bei aller betonter Einigkeit: Schon wer nun das Heft des Handels in die Hand genommen hat, ist offensichtlich umstritten. Noch am Mittwoch deutete sich ein sachtes Ringen und die Deutungshoheit an. "Die heutige Ankündigung baut auf der harten Arbeit und dem Engagement von Ländern auf der ganzen Welt auf, angeführt von den Vereinigten Staaten von Amerika", sagte Biden. "Deutschland ist das Land, das vorne ansteht", meinte hingegen Scholz am Abend im ZDF-Interview

In der Öffentlichkeit war hingegen der Eindruck entstanden, dass Deutschland zögert und zaudert. Über Wochen ließ der Kanzler die Panzerdiskussion laufen. Die Kritik wurde immer lauter. Der britische Historiker Timothy Garton Ash verbreitete auf Twitter den Begriff "scholzen", der seiner Definition folgend "das Kommunizieren guter Absichten" beschreibt, "nur um jeden erdenklichen Grund zu nutzen/zu finden/zu erfinden, um dieselben zu verzögern oder zu verhindern". Internationale Partner fühlten sich hingehalten, drohten zuletzt offen damit, die Leopard-Panzer ohne die notwendige Exportgenehmigung aus Berlin zu liefern. Und nicht zuletzt stiegen Scholz auch die eigenen Koalitionäre immer forscher aufs Dach

Aber der Kanzler ließ das alles an sich abperlen. Seine Losung: keine Alleingänge, auch Kampfpanzer nur im internationalen Schulterschluss, damit die Risiken für Deutschland nicht "in eine falsche Richtung wachsen". Scholz hat offenkundig darauf beharrt, dass die Atommacht USA sich ebenfalls einbringt, um Deutschland als Herstellungsland des Leopard-Panzers nicht zu sehr zu exponieren.

Das setzte wiederum die USA unter Zugzwang. Biden "wusste, dass Deutschland nur Leopard-Panzer liefern würde, wenn wir Abrams-Panzer liefern würden", zitierte "Politico" einen US-Offiziellen, "und die Einheit der Alliierten ist ihm das Wichtigste." Also habe ihm Verteidigungsminister Lloyd Austin einen Vorschlag unterbreitet, wie das geschehen könnte. 

Denn auch Austin, so schildert es die "New York Times", sei nach dem ernüchternden Treffen der Unterstützerländer in Ramstein der Überzeugung gewesen, dass die Deutschen tatsächlich nur im Einklang mit den Amerikanern liefern würden. Demnach soll er zu Beratern gesagt haben, dass er keinen Sinn darin sehe, einen "Bruch" in der Nato oder einen Riss mit Deutschland darüber zu riskieren. Schließlich habe er Präsident Biden die Lieferung der Abrams-Kampfpanzer empfohlen, trotz der angeblich technischen Probleme bei der Logistik. 

"Es scheint, dass das Problem die ganze Zeit ein politisches und kein militärisches war", sagte Evelyn Farkas, einst im Pentagon für die Ukraine-Politik in der Obama-Regierung zuständig, zur "New York Times". "Und unsere Militärführer hätten den Abrams schon vor langer Zeit grünes Licht geben sollen, um die Deutschen zu bestärken, dass die kollektive Sicherheit siegen würde."

Abrams-Panzer, damit sich Berlin bewegt?

Nun wollen die USA genau 31 Abrams-Kampfpanzer liefern, was der Größe eines ukrainischen Panzerbataillons entspricht. Das sind mehr als eine Handvoll des "leistungsfähigsten Panzer der Welt", wie Biden das schwere Gerät nannte. Und möglicherweise auch ein Signal, von wegen: Die Lieferung ist mehr als nur ein bloßes Entgegenkommen für Deutschland. Zuvor hatte etwa der Republikaner Michael McCaul, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, gefordert, "nur einen" Abrams-Panzer zu schicken, damit sich Berlin bewegt. "Deutschland wartet darauf, dass wir die Führung übernehmen", sagte er, "dann liefern sie auch den Leopard".

Auch vor diesem Hintergrund ist in US-Medien von einer "Kehrtwende" Bidens zu lesen, hatte seine Regierung zwar nie vollends ausgeschlossen, der Ukraine auch irgendwann Kampfpanzer zu liefern – jedoch abermals und öffentlich betont, dass es nicht der richtige Zeitpunkt sei, die 70-Tonnen-Panzer zu schicken. Nun sollen die ukrainischen Streitkräfte ein ganzes Bataillon erhalten. 

Einige Details müssen noch ausgearbeitet werden, hieß es am Mittwoch. Zumal die Lieferung in die Ukraine "einige Zeit in Anspruch nehmen" werde, wie Biden sagte. US-Medien zufolge könnten das Monate sein. Doch der Knoten ist gelöst, der Panzerpakt beschlossene Sache.

Laut CNN habe Biden am Mittwoch telefonisch mit Scholz, der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Rishi Sunak gesprochen, um über die weitere militärische Unterstützung der Ukraine zu beraten. Biden sei danach zu dem Schluss gekommen, dass die Aufrechterhaltung der Einheit innerhalb der westlichen Allianz entscheidend sei – was offensichtlich die Lieferung der Abrams-Panzer gerechtfertigt hat, entgegen der zuvor geäußerten Skepsis.

Ob das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA unter dieser Episode tatsächlich gelitten hat, und wie sehr, ist noch nicht geklärt. Es war jedenfalls ein langer und mutmaßlich auch quälender Weg zur Entscheidung. Das zähe Ringen hat allerdings auch gezeigt, dass sich Scholz und Biden zusammenraufen können. Denn darin sind sie sich einig, wie beide betonten: Als Verbündete müssen sie geschlossen zusammenstehen.  

Quellen:  "Süddeutsche Zeitung", "Politico", Bundestag (Plenarprotokoll), "Axios", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "New York Times", "Tagesschau", ZDF, ABC News, CNN

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