UN-Sitz für Deutschland Realität verdrängt ein altes Thema

Außenminister Steinmeier erwähnte bei seiner Rede vor der UN das einst zentrale außenpolitische Anliegen Deutschlands nur verschlüsselt: einen Sitz im Sicherheitsrat. Die Thema Naher Osten beherrschte alles.

Es ist gerade ein Jahr her. Da war ein ständiger deutscher Sitz im Weltsicherheitsrat noch ein zentrales außenpolitisches Anliegen der Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder. Bei der diesjährigen UN-Vollversammlung in New York flocht Außenminister Frank Walter Steinmeier das Projekt in seiner Grundsatzrede nur noch verhalten ein.

Am Samstag kehrte der Minister nach vier Tagen intensiver Gespräche nach Berlin zurück. "Die Reform der Vereinten Nationen - nicht nur des Sicherheitsrats - darf deshalb nicht nur weiter auf der Tagesordnung stehen, sie muss auch konkrete Fortschritte machen", mahnte der deutsche Chefdiplomat. Aber keine Rede davon, dass das Gremium derzeit noch immer die geopolitische Lage nach den Zweiten Weltkrieg widerspiegelt.

Nicht, dass die diesjährige Vollversammlung keine gravierenden Themen gehabt hätte. Das Krisenpotenzial des iranischen Atomprogramms durchzog die Debatten der Vollversammlung. Dazu kam der Auftritt des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der die Stellung der Supermacht USA moralisch in Zweifel zog und damit auf seine Weise eine Reform der Vereinten Nationen verlangte. Dabei versäumte er nicht, die Existenz Israels erneut anzugreifen. Die Gründung des jüdischen Staates mit Unterstützung der Vereinten Nationen nannte er eine "große Tragödie fast ohne Parallele in der Geschichte".

Der Venezolaner Hugo Chavez, der vergangene Woche Ahmadinedschad bei dessen Anreise nach New York zwei Tage lang in Caracas bewirtet hatte, machte dazu den Klassenkasper: Er verglich US-Präsident George W. Bush mit dem Teufel. Und er bekreuzigte sich, als er feststellte, dass das Rednerpult nach Schwefel stinke. Gekicher und vereinzelter Beifall im Plenum waren sein Lohn.

Die Wahl dämpfte die Courage Am 21. September vergangenen Jahres trat Deutschland in der Vollversammlung noch anders auf. Allerdings zerschmetterte schon damals das Ergebnis der vorgezogenen Bundestagswahl alle Blütenträume. Erst hieß es, Schröder selbst wolle vor dem Gremium für die Erweiterung des Sicherheitsrats um vier permanente Sitze kämpfen, wie er es zuvor schon einmal getan hatte. Dann kam am 18. September die Wahl, aus der Schröder nur als zweiter Sieger hervorging. Sein Außenminister, Vizekanzler Joschka Fischer, sprach aber auch nicht. Der Grünenpolitiker, der die Folgen des Wahlergebnisses offenkundig flinker und realistischer einschätzte als sein damaliger Chef, schickte den inzwischen zum Botschafter in Washington avancierten Staatssekretär Klaus Scharioth vor.

Das in politischen Stürmen erprobte Schlachtross warnte den Sicherheitsrat vor Autoritätsverlust als Folge einer gescheiterten Reform der Vereinten Nationen. Scharioth sagte, der Vorschlag Deutschlands und dreier weiterer Länder auf Erweiterung des höchsten Exekutivorgans sei der "einzige Vorschlag, der eine umfassende Reform des Sicherheitsrats und seiner Arbeitsmethode enthält". Der Satz ist ein Jahr später so wahr, wie er damals war. Allerdings ist eines der drei Länder, die die Initiative aktiv mittrugen, unter Ermutigung der USA zwischenzeitlich eigene Wege gegangen. Seit neuestem macht Japan aber wieder mit.

Die Gruppe der Vier (G-4) aus Deutschland, Japan, Indien und Brasilien strebte ständige Sitze jeweils für sich selbst und für zwei afrikanische Staaten an. Das krankte schon seinerzeit daran, dass sich die Afrikaner nicht einigen konnten, welche Staaten die beiden Sitze einnehmen sollten. Das hat sich vor allem auf Betreiben Algeriens bis heute nicht geändert. Zielvorstellung noch im Koalitionsvertrag Daneben schlug die G-4 vier zusätzliche wechselnde Mitglieder vor. Unter den wechselnden Mitgliedern in der gegenwärtigen Form des Sicherheitsrats zieht übrigens nächstes Jahr Venezuela ein. Schröders Nachfolgerin Angela Merkel äußerte sich bisher zurückhaltend zu dem Thema. Im Koalitionsvertrag heißt es dennoch: "Eine VN-Reform ohne Reform des Sicherheitsrats wäre unvollständig. Deutschland bleibt bereit, auch mit der Übernahme eines ständigen Sitzes mehr Verantwortung zu übernehmen."

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Frieder Reimold/AP