Krieg in Nahost Wut, Trauer und Krawall: Nach dem Raketeneinschlag in einer Klinik richtet sich der Zorn auf Israel – auch in Deutschland

Video: Offenbar Hunderte Tote bei Beschuss von Gaza-Klinik
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STORY: Beim Raketenbeschuss eines Krankenhausgeländes in Gaza-Stadt sind laut palästinensischen Angaben Hunderte Menschen getötet worden. Während die radikal-islamische Hamas Israel dafür verantwortlich machte, wies die israelische Regierung dies umgehend zurück. Vielmehr habe ein fehlgeschlagener Raketenangriff der palästinensischen Extremisten-Gruppe Islamischer Dschihad die Klinik am Dienstagabend getroffen. Deren Sprecher widersprach dieser Darstellung allerdings. Hamas-Chef Ismail Hanijeh warf den USA vor, hinter der Tat zu stehen und Israel zu decken. Der Angriff werde ein neuer Wendepunkt in dem Konflikt sein. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sprach von einem "entsetzlichen Massaker" und sagte nach Angaben aus seinem Umfeld ein für Mittwoch geplantes Treffen mit US-Präsident Joe Biden ab. Der Leiter des Zivilschutzes in Gaza sprach im Sender Al Dschasira von mindestens 300 Menschen, die bei dem Beschuss der Klinik getötet worden seien. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden mindestens 500 Personen getötet oder verletzt. Beide Behörden unterstehen der von der Hamas geführten Regierung. Die israelische Armee zweifelte die Zahl der palästinensischen Todesopfer bei dem Raketenangriff auf das Krankenhaus in Gaza-Stadt an. Es habe auch keinen direkten Treffer auf die Einrichtung gegeben, sagte der Sprecher der israelischen Armee, Admiral Daniel Hagari. Aufnahmen von Militärdrohnen zeigten "eine Art Treffer auf dem Parkplatz".
Nach dem Raketeneinschlag auf ein Krankenhaus im Gazastreifen geht das große Rätselraten los: Wer ist schuld an dem Tod Hunderter Zivilisten? In vielen muslimischen Ländern ist man sich sicher: Es kann nur Israel gewesen sein.

Der Beschuss eines Krankenhauses in Gaza mit mindestens 200 Toten hat weltweit Empörung hervorgerufen und in mehreren muslimischen Ländern heftige Proteste ausgelöst. Im Iran versammelten sich am frühen Mittwochmorgen hunderte Demonstranten vor der britischen und der französischen Botschaft in Teheran und forderten den "Tod Englands und Frankreichs", wie ein AFP-Korrespondent berichtete. Während Israel den Islamischen Dschihad für den Vorfall verantwortlich machte, wies die im Gazastreifen herrschende Hamas Israel die Schuld an dem Angriff zu.

Israel-Flagge
Die Wut auf Israel ist groß und reicht über den gesamten Globus: In Kolumbien verbrennen Menschen israelische und US-Flaggen
© Ivan Valencia / AP / DPA

Die Demonstranten in Teheran warfen Eier auf die französische Botschaft. Israel und die USA haben keine Botschaften in Teheran, da sie keine diplomatischen Beziehungen zum Iran unterhalten. Mehrere tausend Menschen kamen zudem auf einem zentralen Platz der iranischen Hauptstadt zusammen, um ihre Wut über den tödlichen Angriff zu manifestieren, wie ein AFP-Fotograf berichtete.

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi rief einen Tag der Trauer aus und erklärte laut der amtlichen Nachrichtenagentur Irna, dass "die Flammen der US-israelischen Bomben, die heute Abend auf die verletzten Palästinenser im Krankenhaus in Gaza abgeworfen wurden", die "Zionisten (...) verzehren werden". Teheran forderte zudem arabische Staaten, die Beziehungen zu Israel unterhalten, auf, diese abzubrechen.

Wut in Nahost-Region richtet sich geschlossen gegen Israel

Am Dienstag war das Krankenhaus Ahli Arab in der Innenstadt von Gaza von einem Raketeneinschlag getroffen worden. Das Gesundheitsministerium der Hamas meldete nach dem Angriff "zwischen 200 und 300" Tote. Israel machte den Islamischen Dschihad für den Beschuss verantwortlich und erklärte, er sei durch eine fehlgeleitete Rakete der Miliz verursacht worden.

Der Islamische Dschihad bezeichnete die Anschuldigung Israels als "Lüge", mit der das Land "seine Angriffe auf Krankenhäuser rechtfertigen" und "sich der Verantwortung für sein Verbrechen entziehen" wolle. Auch die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas machte Israel verantwortlich.

Die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz im Libanon verkündete am Mittwoch einen "Tag der Wut". Auch in der libanesischen Hauptstadt Beirut demonstrierten hunderte Menschen vor der US-Botschaft und skandierten "Tod für Amerika" und "Tod für Israel".

Auch Saudi-Arabien verurteilte das "abscheuliche Verbrechen" aufs Schärfste – und machte Israel dafür verantwortlich, wie aus einer Erklärung des saudischen Außenministeriums hervorging. Riad verurteile die "anhaltenden Angriffe der israelischen Besatzung" auf Zivilisten. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gaben Israel die Schuld. Marokko verurteilte die "Bombardierung" der Klinik "durch israelische Streitkräfte" ebenso "aufs Schärfste". Zivilisten müssten "von allen Parteien geschützt" werden. Auch Bahrain schloss sich der Kritik am "israelischen Bombenanschlag" an.

In Jordanien versuchten Demonstranten, die israelische Botschaft zu stürmen. Die Regierung sagte ein für Mittwoch geplantes Vierer-Gipfeltreffen mit US-Präsident Joe Biden in Amman ab. Ein solches Treffen werde stattfinden, "wenn die Entscheidung getroffen wurde, diesen Krieg zu beenden und den Massakern ein Ende zu setzen", erklärte der jordanische Außenminister Ayman Safadi. An dem Treffen sollten ursprünglich Biden, der jordanische König Abdullah II., der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi sowie Palästinenserpräsident Mahmud Abbas teilnehmen, um über die humanitäre Notlage der Zivilisten im Gazastreifen zu sprechen.

Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate riefen zu einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats am Mittwoch auf.

Im Westen herrscht allgemeine Bestürzung

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich "entsetzt" angesichts von hunderten getöteten Palästinensern und forderte einen sofortigen Waffenstillstand. Biden, der sich auf dem Weg zu einem Solidaritätsbesuch in Israel befand, zeigte sich "empört" und "betrübt" angesichts der "Explosion" in dem Krankenhaus und dem Verlust an Menschenleben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, es gebe "keine Rechtfertigung" dafür, Zivilisten ins Visier zu nehmen und ein Krankenhaus anzugreifen, und forderte auf X eine Aufklärung.

Auch das Auswärtige Amt in Berlin verurteilte den Angriff scharf. "Wir sind zutiefst schockiert angesichts der Berichte über hunderte Tote im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza. Zivile Ziele, insbesondere ein voll funktionstüchtiges Krankenhaus mit Patienten und medizinischem Personal, dürfen unter keinen Umständen angegriffen werden", hieß es auf X, ehemals Twitter. 

Gewaltsame Ausschreitungen in Deutschland

In Deutschland haben Unterstützer der Palästinenser vielerorts spontan protestiert, teils gewaltsam. In Berlin wurden dabei am Dienstagabend nach einer Pro-Palästina-Mahnwache am Brandenburger Tor nach Polizeiangaben Einsatzkräfte angegriffen. Die Polizei sprach von mehr als 300 Menschen, die sich dort versammelt hätten, ein dpa-Fotograf schätzte die Zahl auf rund 1000. Nach mehreren Lautsprecher-Aufforderungen, den Ort zu verlassen, wurde die unerlaubte Ansammlung aufgelöst.

Das nahe gelegene Holocaustmahnmal musste von Polizisten geschützt werden. Nach Medienberichten hatten Demonstranten versucht, dorthin zu gelangen, wurden aber daran gehindert. Die Polizei bestätigte das am Mittwochmorgen zunächst nicht.

Im Berliner Bezirk Neukölln gab es nach einem Aufruf zu einer nicht angemeldeten Pro-Palästina-Demonstration Ausschreitungen. Es hätten Barrikaden, E-Scooter und ein Kinderspielplatz gebrannt, teilte die Feuerwehr auf X, ehemals "Twitter", mit. Ihre Einsatzkräfte seien mit Pyrotechnik beschossen worden. Die Polizei wurden mit Steinen angegriffen. Zwei Polizisten mussten vom Rettungsdienst versorgt werden.

Auch in mehreren Städten Nordrhein-Westfalens gab es pro-palästinensische Kundgebungen mit insgesamt mehr als 500 Beteiligten. Die meisten kamen in Aachen mit 200 zusammen, wie die Polizei in der Nacht mitteilte. Jeweils rund 100 Menschen gingen in Dortmund, Düsseldorf und Essen auf die Straße, Köln meldete 30 Menschen. Die Kundgebungen verliefen friedlich, wie die Polizeileitstellen mitteilten. Einige Demonstranten hatten demnach palästinensische Flaggen und Kerzen dabei.

In Baden-Württemberg gab es in Stuttgart und Mannheim Kundgebungen mit 40 bis 60 Beteiligten. Vereinzelt seien palästinensische Flaggen gezeigt worden. Die Ansammlungen seien friedlich verlaufen, teilten die Polizeileitstellen mit.

Israel weist Vorwürfe mit Video zurück

Israels Militär mittlerweile hat Aufnahmen veröffentlicht, die beweisen sollen, dass eine fehlgeleitete palästinensische Rakete für den tödlichen Einschlag verantwortlich war. In dem Videozusammenschnitt werden Luftaufnahmen des Krankenhauses vor und nach dem tödlichen Vorfall verglichen. Es sei kein typischer Krater zu sehen, wie er sonst bei israelischen Luftangriffen entstehe.

Der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus sagte dem US-Sender CNN außerdem, das Militär habe Beweise vorliegen über ein von Israel abgehörtes Gespräch zwischen Hamas-Terroristen. Sie hätten gesagt: "Oh, da gab es offenbar eine Fehlfunktion oder eine Explosion einer Rakete, die im Gazastreifen gelandet ist." Zudem sei kurz vor dem Vorfall eine Salve von Raketen aus dem mittleren oder nördlichen Abschnitt des Gazastreifens in Richtung Israel abgefeuert worden. Diese sei auf Israels Radarsystem verzeichnet worden.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte: "Die ganze Welt sollte es wissen: Es waren barbarische Terroristen in Gaza, die das Krankenhaus in Gaza angegriffen haben." Israels Präsident Izchak Herzog kritisierte Medien, die in ihrer Berichterstattung Israel für den Raketeneinschlag verantwortlich machen. "Schande über die Medien, die die Lügen der Hamas und des Islamischen Dschihad schlucken und eine Blutverleumdung des 21. Jahrhunderts rund um den Globus verbreiten", schrieb Herzog auf X.

DPA · AFP
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