Die schneidende Winterkälte in New York passte am Montag vollkommen zur Stimmung im Weltsicherheitsrat. Mit dem Bericht der Irak-Inspekteure schien die politische Atmosphäre des Kalten Krieges in die Vereinten Nationen zurückgekehrt zu sein, wenn auch mit etwas anderen Vorzeichen. Die Trennlinie zwischen Krieg und Frieden im Irak verläuft mitten durch das höchste UN- Entscheidungsgremium am East River. Die fünf Veto-Mächte sind in zwei Lager gespalten, mit den USA und Großbritannien auf der einen und Frankreich, Russland und China auf der anderen Seite.
Für die USA ist die Sache klar
Bereits kurz bevor die beiden obersten Waffenkontrolleure, Hans Blix und Mohammed el Baradei, darlegen konnten, warum sie mehr Zeit für die Erledigung ihres Auftrages brauchen, machten die USA noch einmal klar, dass sich die Inspektionen für sie längst erledigt haben. Washingtons UN-Botschafter John Negroponte trat ans Mikrofon vor dem Saal des Sicherheitsrates, um "vorab schon mal zu sagen, dass der Irak nicht mit den UN kooperiert hat". CNN berichtete parallel dazu aus gut informierten Kreisen, dass in Washington der Entwurf für eine weitere UN-Resolution so gut wie fertig sei, mit der das "Aus" für die Waffenkontrollen besiegelt werden solle.
"Präventivkrieg" ausprobieren
Wenn sie damit mangels Mehrheit im Rat nicht durchkommen, sind die USA offensichtlich entschlossen, ihre neue Doktrin des Präventivkrieges im Irak auszuprobieren. Ein Jahr nachdem US- Präsident George W. Bush Bagdad zum Bestandteil der "Achse des Böse" gezählt habe, seien die USA nun bereit, "ihre Doktrin vorbeugender Angriffe gegen feindliche Staaten und Terroristen in die Tat umzusetzen", schrieb die "New York Times". Diese Doktrin ist allerdings nach Überzeugung von Völkerrechtsexperten im UN- Hauptquartier mit der Gründungscharta der Vereinten Nationen kaum vereinbar. Nur bei einem nachweislich unmittelbar bevorstehenden feindlichen Angriff sieht sie einen solchen Präventivschlag als legal an.
Gnadenfrist bleibt
Eine Gnadenfrist soll der Frieden nach dem Willen des Weißen Hauses zwar noch bekommen. Aber nur für die paar Wochen, die noch gebraucht werden bis die US-Streitkräfte am Golf ihre volle Einsatzbereitschaft erreicht haben. Auf wesentlich mehr Zeit hatten die Waffeninspekteure gehofft. Immer wieder hatte Blix schon in den Wochen vor seinem Bericht darauf aufmerksam gemacht, dass der neuen Irak-Inspektionskommission UNMOVIC bei ihrer Schaffung durch die Resolution 1284 des Sicherheitsrates vom 17. Dezember 1999 ein ganz erheblich größerer Zeitrahmen vorgegeben war. Die Resolution 1441 vom 8. November 2002 hat diesen Zeitplan nach Überzeugung von Blix nicht ausgehebelt, wie dessen Sprecher Ewan Buchanan gegenüber der dpa bekräftigte.
Unbeantwortete Fragen
Blix gehe davon aus, dass beide Resolutionen gültig und im Zusammenhang zu sehen seien. "Es sei denn, er bekommt vom Sicherheitsrat andere Weisungen." Dafür gibt es in dem Gremium aber bislang keine Mehrheit. Trotz ihrer klaren Kritik, dass Bagdad immer noch Informationen zurückhalte und wesentliche Fragen nach dem Verbleib von größeren Beständen des Nervengases VX und des Milzbranderregers Anthrax und von tausenden Raketensprengköpfen sowie nach geheimen Dokumenten nicht beantwortet habe, wollen Blix und El Baradei weitermachen.
Ihre Inspektionsteams hätten die Aufträge des Sicherheitsrates in kürzerer Zeit erfüllt, als ursprünglich gedacht worden war, machten sie geltend. Vor allem aber verwiesen sie in den Konsultationen hinter den Kulissen darauf, dass die ersten 60 Tage der neuen Waffensuche noch nicht einmal ausreichen konnten, um die volle Operationsfähigkeit der Kontrolleure zu erreichen.
Die Kontrollen haben kaum begonnen
Für Insider ist dies absolut nicht verwunderlich. Erst zum 25. März - so der bisherige Auftrag nach Resolution 1284 - sollten sie überhaupt erst einen vollständigen Arbeitsplan vorlegen. Und erst seit wenigen Tagen verfügen die UN-Experten im Irak über Hubschrauber, mit denen sie überraschend an verdächtigen Orten auftauchen können. Auch Laboreinrichtungen zur sofortigen Analyse von verdächtigen Materialien sind noch nicht lange arbeitsfähig und müssten weiter vervollständigt werden. Mehr als 60 Experten befinden sich derzeit in Wien noch in der Ausbildung für den Irak-Einsatz.
Dass effektive Kontrollen, mindestens bis zum Ende Jahr andauern müssten, um zu eindeutigen Aussagen zu führen, hatten die Inspekteure bereits gleich nach Verabschiedung der Resolution 1441 Ende vergangenen Jahres deutlich gesagt. "Doch effektive Kontrollen würden nicht nur den Irak an weiterer Aufrüstung hindern", sagt ein hochrangiger westlicher UN-Diplomat. "Sie könnten auch zeigen, dass ein Präventivkrieg jeder vernünftigen Grundlage entbehrt. Das weiß man wohl auch in Washington."