Waffenruhe Syrien erwacht aus der Angststarre

In Syrien schweigen die Waffen. Die Menschen nutzen die Atempause: volle Cafés, spielende Kinder, entspannte Zeitungsleser. Solche Bilder waren lange Zeit kaum zu sehen. Doch wird die Ruhe andauern?

Syrien atmet auf. Seit dem Morgengrauen - dem Beginn der Waffenruhe - ist die Hauptstadt Damaskus zu neuem Leben erwacht. Menschen saßen am Donnerstag in Cafés, besuchten Märkte, lasen am Straßenrand Zeitung und diskutierten die jüngsten Ereignisse. Auch in den Protesthochburgen kehrte zaghaft Normalität ein. "Einige Kinder haben Fußball gespielt", berichtete aus Homs der Aktivist Omar Homsi. "Ein Anblick, den ich seit Langem vermisst habe."

"Syrien erlebt einen seltenen Moment der Ruhe", kommentierte der UN-Sonderbeauftragten Kofi Annan in New York die Lage. Sowohl Opposition wie Regierung hätten nun aber die Pflicht, den Sechs-Punkte-Plan vollständig umzusetzen. Dieser sieht unter anderem die Aufnahme eines politischen Dialogs vor.

"Das habe ich seit Monaten nicht gesehen"

Über ein Jahr lang beherrschte die blutige Unterdrückung der regierungsfeindlichen Proteste Syrien. Nun hoffen die Menschen, dass die Waffenruhe den Weg für ein Ende des Blutvergießens bereiten wird. Mehr als 9000 Menschen wurden nach UN-Angaben bislang getötet.

"Seit Sonnenaufgang war ich wach, habe BBC geschaut und darauf gewartet, dass die Feuerpause umgesetzt wird", sagte Nadra Sabagha der Deutschen Presse-Agentur. "Für mich als Mutter war das Leben im vergangenen Jahr von Angst bestimmt", berichtete sie aus Damaskus. "Ich war stets von der Sorge getrieben, dass eine Bombe auf dem Schulweg meiner Kinder explodieren und sie verletzen könnte."

Auch das geschäftige Treiben rund um den beliebten Hamidija-Markt in Damaskus schien am Donnerstag wieder Normalität einzuläuten. "In den vergangenen Monaten pflegten die Kunden ihre Einkäufe auf dem Markt nicht am Morgen zu erledigen. Heute sieht es anders aus", sagt Ladenbesitzer Abu Mohammed. "Die Menschen lächeln, das habe ich seit Monaten nicht mehr gesehen."

Bei mindestens drei Bombenanschlägen in der Gegend rund um den Markt starben in diesem Jahr etwa 90 Menschen. "Die Leute haben zuletzt diese Gegend gemieden. Sie hatten Angst vor neuen Anschlägen", erzählte Abu Mohammed.

"Ich konnte mit meiner Familie auf dem Balkon sitzen"

In den Vororten von Damaskus waren die Menschen noch etwas vorsichtiger, berichteten Augenzeugen. Bis vor Kurzem hatten sich dort Regierungstruppen heftige Kämpfe mit der Opposition geliefert. "Die Menschen sind noch immer vorsichtig. Aber immerhin konnten sie heute Morgen in Bäckereien gehen und Brot kaufen - ohne Angst, dabei von einem Scharfschützen erschossen zu werden", sagte der Aktivist Haitham al Abdullah.

In Arbeen, einem Vorort von Damaskus, saßen die Einwohner zum ersten Mal seit vielen Monaten auf ihren Balkonen und tranken Kaffee. "Heute konnte ich erstmals mit meiner Familie auf dem Balkon sitzen und die Sonne genießen. Bisher hatten wir uns in einem Zimmer des Hauses eingesperrt, aus Angst, dass Scharfschützen der Regierung uns erschießen könnten", zitierte Abdullah einen Bewohner namens Hanadi.

Bei aller Erleichterung, bleiben aber Zweifel. Viele Syrer fragen sich, ob der Waffenstillstand dem Land dauerhaft Ruhe bringen wird. "Wird er andauern? Oder bietet er beiden Seiten bloß eine Verschnaufpause?", fragt Rami Abdel Rahman, Leiter der in London ansässigen syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. "Die kommenden Tage werden eine Antwort bringen und zeigen, wie sich die Dinge in Syrien entwickeln werden."

Auch der Syrische Nationalrat zeigte sich skeptisch. Er rief die Syrer zu Demonstrationen auf, um die Versprechen der Regierung zu testen. "Wir rufen das Volk auf, zu demonstrieren und sich zu äußern, denn das ist ein absolutes Recht", sagte Ratschef Burhan Ghaliun. Sollte dies nicht möglich sein, habe die Waffenruhe "keinerlei Bedeutung". Die Freie Syrische Armee äußerte ihre Entschlossenheit, die Vereinbarungen einzuhalten. Die Oppositionsstreitkräfte würden die Waffenruhe zu "einhundert Prozent" achten, hieß es.

Der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig erklärte, wichtig bleibe ein fundamentaler politischer Wandel - der sei noch nicht zu erkennen. Syriens Präsident Baschar al-Assad habe zu oft taktisch gespielt.

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Weedah Hamzah, DPA/mad