Wahl in Chile Frauenpower im Andenstaat

Eine Frau mit allen "erdenklichen Sünden": Michelle Bachelet ist Sozialistin, Atheistin, geschieden und allein erziehend. Sie überlebte Pinochets Folterkeller, war Verteidigungs- und Gesundheitsministerin. Nun ist sie neues Staatsoberhaupt Chiles.

Unter dem chilenischen Militärregime von Augusto Pinochet wurde sie ins Gefängnis gesteckt und misshandelt. Nach ihrer Haftentlassung lebte sie zeitweise in der damaligen DDR. Später, als Medizinstudentin in Santiago, behandelte sie Folteropfer. Als Verteidigungsministerin gewann die Sozialistin dann das Herz auch konservativer Generäle. Und nun steht Michelle Bachelet an der Spitze des lateinamerikanischen Landes. "Als ich mich zur Kandidatur für die Präsidentschaft entschlossen habe, habe ich eine große Verantwortung auf mich genommen", sagt die 54-jährige Kinderärztin selbst. " Und ich habe mich gefragt, ob ich das will, ob ich mich dazu überhaupt in der Lage fühle. Ich bin eine ernsthafte Frau."

Im Wahlkampf hat die allein erziehende Mutter von drei Kindern ferner betont, sie sei eine ganz normale chilenische Hausfrau, die gleichzeitig einer Arbeit nachgehe: "Jeden Tag bringe ich meine Tochter zur Schule und gehe im Supermarkt einkaufen." Doch natürlich ist Bachelets Karriere alles andere als normal verlaufen. Ihr vielleicht erstaunlichster Erfolg war, dass sie als Verteidigungsministerin selbst Pinochet-treue Generäle für sich einnehmen konnte. Dadurch gelang es ihr, das nach 17 Jahren Militärherrschaft tief sitzende Misstrauen zwischen Streitkräften und Zivilgesellschaft abzubauen. Aber anfangs habe sie es mit den konservativen Militärs nicht leicht gehabt, sagte sie selbst in einem Interview: "Ich bin eine Frau, lebe von meinem Mann getrennt, bin Sozialistin und nicht religiös - alle erdenklichen Sünden auf einmal."

Opfer der Militärherrschaft

Bachelet stammt selbst aus einer Offiziersfamilie, doch ihr Vater Alberto, ein General, stand aus Sicht der einstigen Junta auf der falschen Seite. Er war gegen Pinochet und wurde nach dessen Putsch gegen die sozialistische Regierung von Salvador Allende 1973 inhaftiert und gefoltert. Er starb im Gefängnis an einem Herzinfarkt, den seine Tochter auf die Misshandlungen zurückführt. Auch die damals 22-jährige Bachelet und ihre Mutter landeten im Gefängnis. Fünf Tage verbrachten sie mit verbundenen Augen und ohne Essen in einer Zelle mit weiteren Frauen, die vergewaltigt wurden. Bachelet selbst will keine Details aus dieser Zeit preisgeben. Sie sagt lediglich, sie und ihre Mutter seien "körperlich misshandelt" worden. Zugleich aber betont sie, dass sie keine Rachegedanken hege. Ihr sei auf Grund ihres politischen Verständnisses klar, warum das damals alles passiert sei.

Die guten Verbindungen der Familie ermöglichten es den beiden Frauen schließlich, ins Exil zu gehen - zunächst nach Australien, später in die damalige DDR. Dort lernte Bachelet ihren Ehemann kennen, ebenfalls Exilchilene, mit dem sie zwei Kinder hat. Nach der Rückkehr nach Chile trennten sich die beiden. Später bekam Bachelet noch ein drittes Kind von einem anderen Partner. Die neue Präsidentin verbrachte fünf Jahre im Exil. Zurück in Santiago absolvierte sie ein Medizinstudium und wurde Kinderärztin. Zugleich schloss sie sich der damals im Untergrund tätigen Sozialistischen Partei an.

Das "Bachelet-Phänomen"

Nach dem Ende der Diktatur und dem Wahlsieg des Oppositionsbündnisses 1990 stieg sie rasch zu einer der bekanntesten Politikerinnen Chiles auf. Nachdem 1990 der Sozialist Ricardo Lagos die Präsidentschaft gewonnen hatte, wurde Bachelet zunächst Gesundheitsministerin und 2002 dann Verteidigungsministerin. Sie schien dafür qualifiziert, weil sie auch einen Universitätskurs in militärisch strategischen Studien mit Bravour absolviert hatte. Und in der Tat konnte sie die Skeptiker von ihren Fähigkeiten überzeugen und ebenso das Volk für sich gewinnen.

Vielfach ist in Chile vom "Bachelet-Phänomen" die Rede. Dennoch war sie sich im Wahlkampf wohl darüber im Klaren, dass sie kritischer beobachtet wurde als die männlichen Kandidaten. Auf die Frage eines Reporters, ob sie noch einmal heiraten wolle, antwortete sie denn auch: "Sie würden mich das bestimmt nicht fragen, wenn ich ein Mann wäre." Dann aber fügte sie hinzu: "Ich habe jetzt nicht einmal Zeit, darüber nachzudenken. Die nächsten Jahre werden ganz meiner Arbeit gewidmet sein."

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Eduardo Gallardo/AP