"Wir sind dankbar für die Gebete und guten Wünsche der Nation für seinen weiteren Schutz während des Wahlkampfes", sagte Pressesprecher Bryan Griffin am Dienstag. Sein Chef, der der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden will, hatte gerade einen Autounfall, blieb aber unverletzt.
Die vier Fahrzeuge seiner VIP-Kolonne hatten auf der Interstate 75 in Tennessee abrupt bremsen müssen und krachten dabei gegeneinander. Klassischer Auffahrunfall. Nun ist es lange her, dass der Gouverneur von Florida so dicht an seinen Vordermann herankam.
Denn: Politisch läuft es bei Ron DeSantis nicht. So gar nicht. Lange galt der 44-Jährige als die beste (weil einzige) rechte Alternative zu Ex-Präsident Donald Trump. Mitte Februar, lagen die beiden in den Umfragen noch Kopf an Kopf – da hatte der DeSantis noch nicht einmal offiziell seinen Hut in den Ring geworfen. Fünf Monate später hat Trump seinen mutmaßlich schärfsten Konkurrenten abgehängt, ja geradezu überrundet: Fast 37 Prozentpunkte trennen die beiden inzwischen.
Wie das passiert ist? Vier Gründe.
1. Ron DeSantis scheut sich, Donald Trump anzugreifen
"Für den würde ich mir keine Chancen ausrechnen", verhöhnte Trump am Freitag vor Hunderten Konservativen in Des Moines seinen früheren Günstling. Hier, in der Hauptstadt von Iowa, trafen erstmals vor den parteiinternen Vorwahlen die Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner direkt aufeinander.
Die Sticheleien waren nichts Neues. Trump tritt gerne nach unten. Schließlich ist über ihm auch niemand. Interessant war vielmehr, wie DeSantis konterte: nämlich gar nicht. Dabei böte kaum jemand mehr Angriffsfläche als der rechte Spitzenreiter: sexuelle Belästigung, illegale Schweigegeldzahlungen, Finanzbetrügereien, Wahlmanipulation, Anstiftung zum Aufruhr – die Liste seiner mutmaßlichen Verfehlungen ist schier endlos:
Trump wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt – diese juristischen Probleme hat er noch am Hals

Die heute 79-jährige Carroll hatte Trump beschuldigt, sie im Frühjahr 1996 in der Umkleidekabine des New Yorker Luxus-Kaufhauses Bergdorf Goodman vergewaltigt zu haben. Öffentlich machte die langjährige Kolumnistin des Magazins "Elle" ihren Vorwurf erst 2019, als Trump Präsident war. Trump bezichtigte Carroll der Lüge und erklärte, sie sei nicht sein "Typ".
Strafrechtlich waren die Vorwürfe verjährt, doch zivilrechtlich konnte Carroll gegen den Milliardär vorgehen, und so verklagte Carroll Trump in New York wegen Verleumdung und im vergangenen November in einer zweiten Klage wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung selbst sowie erneut wegen Verleumdung. Sie verlangte Schmerzensgeld und Schadenersatz in nicht genannter Höhe. Weil es sich um einen Zivilprozess und nicht um ein Strafverfahren handelte, drohte Trump keine Gefängnisstrafe.
Für die Geschworenen war der Fall offenbar klar: Nach weniger als dreistündigen Beratungen sprachen sie Carroll fünf Millionen Dollar (rund 4,5 Millionen Euro) zu – zwei Millionen Dollar wegen sexuellen Missbrauchs und drei Millionen Dollar wegen Verleumdung. Ihr Urteil sei für alle Frauen, die ähnliches erlebt hätten, sagte die Autorin nach der Entscheidung. Es gehe ihr nicht um das Geld. Sie habe ihren Namen reinwaschen wollen. Und sie hätte Trump gerne im Zeugenstand vor Gericht gesehen.
Trumps Anwalt Joe Tacopina kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Er verwies unter anderem darauf, dass Carroll Trump stets Vergewaltigung zur Last gelegt habe, die Geschworenen aber lediglich sexuellen Missbrauch anerkannt hätten. Trump selbst reagierte erbost auf den Ausgang des Zivilprozesses. "Dieses Urteil ist eine Schande, eine Fortsetzung der größten Hexenjagd aller Zeiten", wetterte der 76-jährige auf seiner Onlineplattform Truth Social. Mit Blick auf Carroll erklärte Trump: "Ich habe überhaupt keine Ahnung, wer diese Frau ist."
Vor dem Urteil hatte der Ex-Präsident fälschlicherweise behauptet, er habe sich in dem Verfahren nicht "verteidigen" dürfen. Trump war dem Prozess aus eigenen Stücken ferngeblieben, zu einem Erscheinen vor Gericht war er nicht verpflichtet. Trump war während des Prozesses sogar zu einem Golfplatz in Schottland gereist, der ihm gehört.
Die Verführung mag groß sein. Nur traut sich kein Mitbewerber, die Elefantenherde im Raum anzusprechen, auch DeSantis nicht. Denn Kritik am Angeklagten hieße, sich auf die Seite der Anklage zu stellen. Und die ist der Feind. Dass die "linken" Demokraten das Justizsystem als Wahlkampfwaffe, als Werkzeug für ihre politische "Hexenjad" missbrauchen, das gehört für jeden republikanischen Kandidaten zur Pflichtagenda. Wer etwas anderes behauptet, outet sich aus Sicht erzkonservativer Wähler als Teil der korrupten Elite – ein politischer Suizid.
Das ist das DeSantis-Dilemma: Attackiert er Trump, vergrault er dessen Wähler, auf die er selbst schielt. Lässt er es bleiben, bekommt er sie auch nicht.
2. Floridas Gouverneur unterscheidet sich inhaltlich kaum vom Ex-Präsidenten
Wenn DeSantis doch einmal zu einem zaghaften Schlag ausholt, kann es peinlich werden. So auch Ende Juni. Zum Ende des Pride-Month in den USA warf der Kulturkämpfer aus Florida dem Ostküsten-Milliardär in einem Anti-LGBTQ-Spot vor, woke zu sein. Ganz recht. Weil Trump einst nichts dagegen einzuwenden gehabt habe, dass Transfrauen Herrentoiletten benutzen und an Schönheitswettbewerben teilnehmen könnten, sei er ein "Pionier bei der Einführung der Gender-Ideologie". Die Attacke triefte vor Verzweiflung. DeSantis' Team löschte das Video alsbald. Die Posse offenbart die zweite große Schwäche des Gouverneurs: In Wahrheit unterscheidet er sich inhaltlich kaum von seinem Gegner. Unentschlossene Wähler fragen sich zwangsläufig: Warum den Abklatsch nehmen, wenn das Original zu haben ist?
"Trump mit Hirn", so lautete ein gängiger Spitzname für DeSantis. Gemeint war, dass der Ex-Navy nicht nur redet, sondern auch tut. In seinem Heimatstaat macht er Nägel mit Köpfen: Er ging gegen Abtreibungen vor, senkte die Hürde für Todesstrafen, etablierte das schärfste Einwanderungsgesetz des Landes (der stern berichtete). Gleichzeitig ficht er einen radikalen Kulturkampf gegen alles, was auch nur bunt schimmert. Die Idee: Florida als Petrischale – wer DeSantis wählt, weiß, was er bekommt. "Make America Florida", so der Schlachtruf.
Das große Aber: All diese Themen sind auch Trump nicht fremd – viele davon hat er überhaupt erst "great" gemacht. DeSantis mag verbissener sein als sein artverwandtes Pendant. Nur reicht das nicht, um in dessen Stammwählerschaft zu wildern.
Sein bisher vermutlich bestes Verkaufsargument war im Vergleich zu Trump das Versprechen der "Wählbarkeit". Er pries den Konservativen Trumps rechtes Erfolgsrezept ohne Nebenwirkungen an. Dessen Sympathisanten sollten dieselbe Politik abzüglich eines Staatsoberhaupts zum Fremdschämen bekommen. Dumm nur, dass die Wähler nicht nur die Ware, sondern auch den Verkäufer lieben – nicht trotz, sondern wegen seiner Marotten. Trumpismus ohne Trump funktioniert offenbar nicht.
3. Zu wenig Charisma und zu viel Arroganz
DeSantis – das C steht für Charme. Das dritte Manko des einstigen konservativen Shootingstars ist seine mangelnde Fähigkleit, Menschen in seinen Bann zu ziehen. Donald Trump ist exzentrisch, laut, aggressiv. Er bedient sich der Kleinkind-Rhetorik, die stumpf, aber unstreitbar fesselnd ist. Doch, wenn der Mann aus Florida mit den toten Augen seine Reden schwingt, wirkt das beizeiten wie ein Theaterstück. Als folge er penibel Schritt für Schritt dem Handbuch "Wie ich ein konservatives Publikum begeistern kann".
Ein wunder Punkt, den bislang seine Geheimwaffe auszugleichen versuchte: seine Ehefrau Casey. Wie das US-Magazin "Politico" schrieb, habe es sich Casey zur Aufgabe gemacht, ihren Mann, "den Roboter zu vermenschlichen". Wo der Gouverneur auf seinem Kreuzzug kalt und berechnend wirkt, verleiht Casey seinen Worten die nötige Wärme. Beispielsweise, als sie in einem mit reichlich Superlativen gespickten Wahlclip im vergangenen Jahr mit stockender Stimme erklärte, wie sehr sie ihr Mann während ihrer Brustkrebserkrankung unterstützt habe, was für ein herausragender Vater er sei. So fungiert sie auch immer wieder als eine Art Pressesprecherin, die Rons rigoroses Auftreten für die Menge "ins Weiche" übersetzt.
Das Problem: Zwar betonen die DeSantis gerne ihren "Tellerwäscher"-Werdegang. Zu spüren ist davon allerdings wenig. Obwohl es eigentlich Trump ist, der mit dem Silberlöffel im Mund geboren wurde, ist es das Ehepaar aus dem Süden, das im Direktvergleich wie ein Aristokratenpaar rüberkommt. Und spätestens seit Donald Trump verabscheuen die Konservativen nichts mehr als "die da oben".
4. Haushalten beim Stimmenfang: Wahlkampf verbrennt Spendengelder
Nun wettern vor allem republikanische Kandidaten gerne gegen eine angeblich korrupte Washingtoner Elite. Die Ironie: Um in die Hauptstadt, geschweige denn ins Oval Office zu kommen, müssen sie selbst eine tiefe Brieftasche mitbringen.
Denn die Wahlkampfmaschine läuft nur mit einem Treibstoff: viel Geld. Einem Bericht der Bundeswahlkommission (FEC) zufolge (der stern berichtete) kann Donald Trump auf die prallste Kriegskasse unter allen rechten Bewerbern zurückgreifen. Allein 22,5 Millionen Dollar "cash on hand", also sofort verfügbares Geld, hat der 77-Jährige in griffbereit. Überraschung: Auf Platz zwei folgt Tim Scott – dessen Umfragewerte im niedrigen einstelligen Bereich herumdümpeln.
Und was ist mit der "echten" Konkurrenz? Zwar soll DeSantis allein in den ersten 24 Stunden nach Ankündigung seiner Kandidatur mehr als acht Millionen Dollar zusammengekratzt haben. Allerdings nahm der Landesfürst bisher nicht nur reichlich ein, er gab auch reichlich aus – mehr als acht Millionen Dollar in sieben Wochen. Sollten seine Umfragewerte auf Talfahrt bleiben, wird er den Gürtel enger schnallen müssen. Denn die Risikobereitschaft der Großspender ist endlich.
So oder so: Nicht nur DeSantis' Kampagne braucht einen Reboot. Er muss auch besser haushalten. Doch satt Wahlkampfreisen per Privatjet spart der Mann des Volkes lieber am Personal. Frei nach dem Motto "always change a loosing team" feuerte er diese Woche 38 Angestellte, ein Drittel seines Wahlkampfteams. Vielleicht ist weniger am Ende mehr, Trump zumindest kam bisher mit deutlich weniger Mitarbeitern aus.
Ob es DeSantis bis zu den republikanischen Vorwahlen Mitte Januar aus dem Feld der Beinahe-Konkurrenz schafft, ist fraglich. Womöglich war der Crash auf der Interstate 75 auch symbolisch. Bei einem Autounfall können die meisten leider nicht wegsehen. Bei Ron DeSantis offenbar schon.