Drohender Krieg Was will Putin wirklich? stern-Expertin erklärt den Russland-Ukraine-Konflikt

Russland-Ukraine-Konflikt: Wladimir Putin
Russland-Ukraine-Konflikt: Wladimir Putin
© Alexei Nikolsky/ / Picture Alliance
Sehen Sie im Video: Was will Putin wirklich? stern-Expertin Bettina Sengling erklärt den Russland-Ukraine-Konflikt.
















Ich halte eine Invasion in die gesamte Ukraine, einschließlich Kiew oder einschließlich sogar der Westukraine, halte ich von meinem Gefühl her für sehr unwahrscheinlich. Die Aggression geht eindeutig von einer Seite aus. Die Ukraine ist jetzt quasi wie eine Geisel, der jemand eine Pistole an die Schläfe setzt.
Worum geht es genau bei dem Ukraine-Russland-Konflikt?
Um das Grundproblem zu verstehen, müsste man mal einmal auf die Karte gucken und man wird erkennen, dass die Ukraine quasi zwischen Russland auf der einen Seite liegt und auf der anderen Seite eben Polen, einem EU-Land und sie zwar quasi so ein bisschen zerrissen ist. Man weiß nicht genau, wo es hingeht. Lange Jahre gehörte die Ukraine zu dem Sowjetreich und war quasi Moskau untergeordnet. Die Zentralregierung war also in Moskau. Jetzt, nach der Unabhängigkeit der Ukraine, hat die Ukraine gesagt, so lange Zeit haben wir zu Moskau gehört, wir wollen jetzt mal, wir sind jetzt eigenständig, wir wollen was Eigenes und wir orientieren uns anders. Wir orientieren uns an der EU, weil uns dieses Modell letztendlich auch attraktiver vorkommt. Wir gucken unseren Nachbarn Polen an und stellen fest, oh, die hatten ja in manchen Jahren fünf bis sechs Prozent wirtschaftliches Wachstum. Das läuft alles gut, die haben die Reisefreiheit. Das ist etwas ganz anderes, als wenn wir uns Moskau anschließen, einem wirtschaftlich und auch gesellschaftlich nicht besonders erfolgreiche Modell. Wir möchten zur EU. Dann gab es ein Assoziierungsabkommen im Jahr 2013, das der damalige Präsident unterzeichnen wollte und hat es dann unter Druck Moskaus abgelehnt und hat gesagt Ich unterzeichne das jetzt nicht. Wir haben hier Partner, wir sind noch zu schwach und wir haben ja Partner im Osten und an denen orientieren wir uns. Und dann sind die Menschen in der Ukraine auf die Straße gegangen und haben jetzt in der Kurzfassung eine Revolution angezettelt, 2014 den Präsidenten aus dem Amt gejagt und gesagt, so, wir wollen jetzt zur EU. Und es gab eine Übergangsregierung, die gesagt hat, okay, wir unterzeichnen das jetzt mit der EU. Und Russland hat dann gesagt, so stellt ihr euch das also vor. Alles klar, haben wir verstanden und haben dann als allererstes die Krim annektiert und im zweiten Schritt diesen Konflikt in der Ostukraine angezettelt.
Warum droht der Konflikt gerade jetzt wieder zu eskalieren?
Für die Eskalation ist natürlich nur eine Seite in diesem Fall wirklich zuständig. Und das ist Russland, weil Russland jetzt 100000 Soldaten an den Grenzen der Ukraine zusammen zieht und damit ein Drohpotenzial aufbaut, was sie gleichzeitig abstreiten. Was aber absurd ist, denn wenn da so viel Militär steht, dann ist das natürlich schon per se ein Drohpotenzial. Also die Aggression geht eindeutig von einer Seite aus. Russland fühlt sich zurzeit sehr stark. Aus Sicht des Kremls hatte er ein sehr positives Jahr im vergangenen Jahr. Alles läuft irgendwie so, wie er sich das vorstellt. Die Parlamentswahlen sind aus seiner Sicht gut gelaufen. Die gesamte Opposition ist unterdrückt, aus dem Land gejagt oder mundtot gemacht. 
Welche Strategie verfolgt Russlands Präsident Putin genau?
Russlands Ziel ist es, langfristig die Ukraine wieder unterzuordnen und am allerliebsten unter einer prorussischen Regierung. Oder als anderen Schritt eben überall Leute, die zumindest verhindern, dass sich die Ukraine komplett in den Westen dreht. Man weiß eben nicht genau, ob er jetzt droht oder ob er es wirklich machen will. Man weiß es nicht. Die große Strategie scheint inzwischen über die Ukraine hinauszugehen. Die Ukraine ist jetzt quasi wie eine Geisel, der jemand eine Pistole an die Schläfe setzt und erpresst werden soll. Der Westen. Denn Putin hatte sich jetzt noch viel mehr ausgedacht. Er möchte jetzt quasi die Schmach der zusammengebrochenen Sowjetunion und der gesamten Nachtzeit dieses Umbruchs wiedergutmachen und möchte jetzt von der NATO die Versicherung haben, dass die NATO sich nicht mehr weit erweitert um weitere Mitglieder, um weitere Länder, weil sie möchte, dass die NATO ihre gesamte Präsenz abzieht in den Ländern, die in der Nähe Russlands sind, also in Osteuropa. Also er möchte quasi eine Neuordnung Europas. Und die Ukraine ist in diesem Fall die Geisel.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Putin eine Invasion in der Ukraine plant?
Ich halte eine Invasion in die gesamte Ukraine, einschließlich Kiew oder einschließlich sogar der Westukraine halte ich von meinem Gefühl her für sehr unwahrscheinlich, weil ich mich einfach frage, was bringt Ihnen das? Die Ukraine ist mental ja schon verloren. Die kriegt er jetzt mit Panzern nicht mehr. Was anderes ist es, dass er diesen Druck so weit aufgebaut hat, jetzt da rauszukommen, ohne irgendwas zu eskalieren, ist auch schwierig. Also entweder er macht ja irgendwas anderes, Cyber-Attacken, oder er lässt es lokal in der Ostukraine noch mal eskalieren. Zum Beispiel gibt es immer noch die Variante, dass er einen Landstreifen zur besetzten Krim erobern könnte. Wenn man sich das auf der Karte anguckt, die zwei Städte erobern hauptsächlich.
Inwieweit sollte die Ukraine ihre Forderungen aufgeben, in die NATO aufgenommen zu werden?
Das würde gar nichts ändern, weil die NATO die Ukraine sowieso zurzeit gar nicht aufnehmen kann. Dafür hat Russland gesorgt. Die haben ja diesen Krieg angezettelt in der Ostukraine um Donezk und Lugansk und haben dort Separatisten. Also haben dafür gesorgt, dass diese Separatisten Gebiete lossagen. Wenn ein Land einen solchen bewaffneten ungelösten territorialen Konflikt hat, darf die, also da kann die NATO dieses Land gar nicht aufnehmen, so dass diese Nato-Mitgliedschaft der Ukraine sowieso zurzeit überhaupt nicht zur Debatte steht. Und dass weiß Russland natürlich auch. Dafür hat es gesorgt, indem es diesen Konflikt hergestellt hat.
Welche Rolle spielen die USA und Joe Biden in dem Konflikt?
Russland denkt, dass der Westen total schwach ist, zerstritten, mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen hat. Europa beschäftigt ist mit der gesamten Pandemie. Die neue Regierung in Deutschland noch nicht richtig etabliert. Er denkt, es ist gerade ein Moment der Schwäche auf der gesamten Westfront sozusagen. Und das ist auch ein Grund, warum Putin denkt, so jetzt oder nie. Und von Biden wünscht er sich natürlich, dass es so ist wie früher im Kalten Krieg. Die Großmächte USA und Russland setzen sich zusammen und teilen die Welt unter einander auf, haben quasi diese beiden Pole, respektieren sich beide als diejenigen, die die Welt-Geschicke bestimmen.
Ist eine friedliche Lösung des Konflikts noch möglich?
Russland ist derjenige, der diesen Konflikt eskaliert hat, der jetzt einfach diese Massen an Militär an diese Grenze gezogen hat. Und Russland muss die halt wieder abziehen bzw. muss sie abziehen und da vor allen Dingen nicht mit diesen, mit diesem ganzen Militär in die Ukraine einfallen. Und das hängt jetzt, das hängt jetzt von Russland ab, was in den was, was sich eben Putin vorgenommen hat, wie er reagiert, wenn der Westen jetzt nicht auf seine Forderungen eingeht. Das wissen wir alle nicht. Die Forderungen sind so, dass Putin gewusst haben muss, dass der Westen sie nicht annehmen kann. Weil natürlich kann die NATO nicht sagen, okay Russland schreibt uns eben vor, wie wir jetzt unsere Erweiterungspolitik oder unsere Mitglieder-Politik betreiben. Das kann die NATO nicht annehmen. Insofern müssen wir jetzt abwarten, was Putin macht. 
Worum geht es im Ukraine-Konflikt wirklich? Rückt Putin bei einem Angriff bis nach Kiew vor? stern-Auslandsreporterin Bettina Sengling erklärt im Interview die wichtigsten Fragen zur jüngsten Eskalation zwischen Russland und "dem Westen".

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos