Ultrarechter Minister Der Geisel-Deal sorgt in Israel und weltweit für Erleichterung. Nur beim rechten Minister Itamar Ben-Gvir nicht

Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit in Israel
Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit in Israel
© DPA
Den großen Kampf gegen die Hamas hält Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit, für wichtiger, als das Leben einzelner Geiseln zu retten. Es ist nicht das erste Mal, dass der Rechtsausleger für Empörung sorgt. 

In der Nacht, in der die israelische Regierung über den Geiseldeal entscheidet, steht eine Frau, die in Israel traurige Berühmtheit erlangt hat, vor dem Verteidigungsministerium: Hadas Kalderon. "Handelt, als wären das eure Kinder!", ruft sie durch ein Megafon hinauf zum Regierungsgebäude. Kalderons gesamte Familie wurde von der Hamas aus dem Kibbuz Nir Oz entführt, die 16-jährige Tochter, der 12-jährige Sohn und der Vater der Kinder. In Israel kennt fast jeder ihren Namen, ihre Geschichte. 

Sechs Stunden verhandeln die Politiker, dann treffen sie die Entscheidung: 35 von ihnen stimmen für eine vorübergehende Feuerpause in Gaza und einen Gefangenenaustausch, um die Geiseln zurück nach Hause zu holen. 

Drei allerdings stimmen dagegen. Sie gehören der rechtsextremen Partei "Otzma Yehudit" um Itamar Ben-Gvir an, dem Minister für Nationale Sicherheit.

Auch Minister der ebenfalls rechtsextremen Partei "Religiöser Zionismus" wollten zuerst gegen das Abkommen stimmen. Was sie umgestimmt hat: Der Versuch, die Hamas zu zerstören, soll nach der viertägigen Waffenruhe fortgesetzt werden.

Demonstranten wie Hadas Kalderon sind fassungslos über die Gegenstimmen der Minister. Und stellen die Frage: Hätten die Minister anders entschieden, wenn die Geiseln aus dem konservativ-religiösen Spektrum stammten? Die Entführten aus den Kibbuzim sind zum großen Teil aus linkeren Kreisen, solchen, die immer wieder den Austausch mit den arabischen Nachbarn gesucht haben.

Ben-Gvir wettert gegen den Geisel-Deal

Finanzminister Bezalel Smotrich, Partei "Religiöser Zionismus", ist einer derjenigen, die zunächst gegen den Deal stimmen wollten. Nun hat er auf dem Kurznachrichtendienst X geschrieben: "Es ist kein Geheimnis, dass wir vor der Kabinettsdiskussion anders dachten". Nun sei er der Meinung, dass "die Rückführung der Geiseln die Ziele des Krieges voranbringen würde". Die Politik stehe hinter der Armee und sei überzeugt, dass die Soldaten "die Hamas-Nazis in Gaza vernichten und die Sicherheit und nationale Würde der Bürger Israels wiederherstellen werden".

Ben-Gvir dagegen kritisiert den Geisel-Deal weiter: Auf X bezeichnet er ihn als "gefährlichen Präzedenzfall", der Fehler der Vergangenheit wiederhole. Damit spielt er auf das Gilad-Shalit-Abkommen von 2011 an, bei dem mehr als 1000 palästinensische Gefangene im Gegenzug für einen IDF-Soldaten freigelassen wurden. 

Ben-Gvir schreibt: "Die Hamas wollte diesen Waffenstillstand mehr als alles andere. Sie wollte auch die Frauen und Kinder in der ersten Phase 'loswerden', weil sie internationalen Druck aufbauen." Dass nicht alle Frauen und Kinder zusammen freikommen, sei außerdem unmoralisch. Gleichzeitig habe die Hamas zu viele ihrer Forderungen durchsetzen können, darunter den Bezug von Treibstoff, die Freilassung von Gefangenen und die Unterbrechung von Angriffen der israelischen Streitkräfte. 

Itamar Ben-Gvir hatte schon in den vergangenen Wochen signalisiert, dass die Befreiung der Geiseln weiter unten auf seiner Agenda stehen dürfte als das Vorgehen gegen Terroristen. Erst am Montag sorgte er für viel Kritik, als er Familien von Geiseln gegen sich aufbrachte.

Politiker hatten Familienmitglieder von Entführten zum Gespräch geladen. Eigentlich, so die Idee, um ihre Fragen zu beantworten und ihren Geschichten zu lauschen. Ausgerechnet in diesen Tagen aber schlug Ben-Gvir ein neues Gesetz vor, die Todesstrafe für Terroristen nämlich. Genauer: Laut dem Entwurf soll mit dem Tode bestraft werden, "wer absichtlich oder aus Gleichgültigkeit den Tod eines israelischen Bürgers verursacht, wenn die Tat aus einer rassistischen Motivation erfolgt oder aus Feindseligkeit gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe" mit dem Ziel, "dem Staat Israel zu schaden oder der Wiedergeburt des jüdischen Volkes in seinem Heimatland". Im besetzten Westjordanland sollten demnach Militärgerichte befähigt werden, mit einer einfachen Mehrheit Todesurteile auszusprechen.

Die Wut der Angehörigen: "Itamar Ben-Gvir – du hast keine Grenzen"

Die Angehörigen der Geiseln reagierten geschockt: Dass das Parlament ausgerechnet jetzt darüber diskutiere, "gefährdet das Leben unserer geliebten Menschen noch über das bestehende Risiko hinaus, und das, ohne irgendeinen öffentlichen Zweck zu erfüllen", hieß es in einer Erklärung der Familien.

Am Montagabend erreichte die Wut der Familien ihren Höhepunkt, als ausgerechnet Itamar Ben-Gvir auf einen jungen Angehörigen zuging und ihn umarmte und sich dabei fotografieren ließ. Obwohl dieser klar sagte, dass er das nicht wolle. Nach dem Treffen schrieb Gil Dickmann auf X: "Ich habe es dir gesagt: Umarme mich nicht. Du hast mich trotzdem umarmt. Ich habe es dir gesagt: Bring unsere Lieben nicht in Gefahr. Trotzdem bist du ein Risiko eingegangen. Alles für das Bild. Itamar Ben-Gvir – du hast keine Grenzen. Jeder sieht, dass du einen Zirkus über dem Blut unserer Familien veranstaltest."

Schon in der Vergangenheit ist Ben-Gvirs Partei immer wieder mit radikalen Forderungen aufgefallen. Parteifreund Amichai Elijahu, der Minister für Kulturerbe, wurde Anfang November in einem Radiointerview gefragt, ob man eine Atombombe auf den Gazastreifen werfen sollte. "Ja, das wäre eine Möglichkeit", sagte er. "Wir sollten schauen, was ihnen Angst macht und abschreckt. Denn zu drohen, sie zu töten, reicht nicht. Sie haben keine Angst vor dem Tod." Ministerpräsident Benjamin Netanyahu schloss Elijahu vorerst von den Kabinettssitzungen aus. "Was Minister Elijahu sagte, war falsch, realitätsfremd und spiegelt auch nicht unsere Politik wider. Ich habe ihn zurechtgewiesen und bestraft. Sollte er es wieder tun, wird er nicht mehr Teil der Regierung sein."