Er tut es also tatsächlich: Chinas Staatschef Xi Jinping wird diese Woche nach Moskau reisen, um seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin zu besuchen. In Aussicht gestellt hatte der Kreml die kontroverse Visite schon vor Wochen, doch bislang fehlte die Bestätigung der chinesischen Seite – und im Westen wollten viele nicht recht glauben, dass Xi den Schritt wirklich gehen würde, dem international isolierten Kriegstreiber Putin die Ehre eines Staatsbesuchs zu erweisen, während russische Panzer durch die Ukraine rollen. Vergangene Woche aber meldete dann auch das chinesische Außenministerium, Xi trete eine "Reise der Freundschaft" nach Moskau an.
Die blumige Umschreibung weckt Erinnerungen an Putins letzten Besuch in Peking, bei dem er und Xi im Februar vor gut einem Jahr eine russisch-chinesische "Freundschaft ohne Grenzen" beschworen – keine drei Wochen vor Russlands Einmarsch in die Ukraine. Seitdem hat die westliche Welt bang gerätselt, wie weit Xi in seiner "Freundschaft" zu Putin tatsächlich gehen würde. Doch Chinas Strategie blieb in erster Linie eine des Lavierens: Das Land rang sich nie zu einer klaren Verurteilung der russischen Invasion durch, stellte sich aber auch nie explizit hinter Moskau. Stattdessen verfolgte Peking im Ukraine-Krieg stets den eigenen Vorteil: China profitierte von vergünstigten Gas- und Öllieferungen aus Russland, chinesische Unternehmen wiederum verkauften Waren nach Russland, die dort wegen der westlichen Sanktionen nicht mehr importiert werden konnten. Bei Smartphones etwa liegt der chinesische Marktanteil in Russland seit dem sanktionsbedingten Rückzug von Apple und Samsung inzwischen bei 95 Prozent.
Chinas lavierende Position
Implizit freilich ließ Chinas Parteiführung durchaus erkennen, auf welcher Seite der Frontlinie ihre Sympathien liegen. Peking bekräftigte rund um den Globus die russische Propagandaerzählung vom aufgezwungenen Krieg, den das Land führen müsse, um sich gegen die Ausdehnung der Nato und die imperialen Gelüste der USA zur Wehr zu setzen. In vielen Schwellenländern des globalen Südens fand China mit dieser Interpretation der Kriegslage durchaus Gehör – und verstand es, die eigene Rolle geschickt als globales Gegengewicht zu den USA zu verkaufen.
Auch Xis Moskau-Visite wird China der Welt wohl in diesem Licht präsentieren. Schon im Januar legte Peking mit viel diplomatischem Tamtam einen "Friedensplan" für die Ukraine vor, der jedoch kaum konkrete Vorstöße enthielt und im Wesentlichen beide Seiten zum Einstellen der kriegerischen Handlungen aufforderte – was für die Ukraine de facto auf eine Anerkennung der russischen Geländeeroberungen hinausliefe. Dass der Plan international weitgehend ignoriert wurde, macht es Peking um so leichter, sich selbst als friedensstiftende Kraft darzustellen, deren wohlwollende Vermittlungsbemühungen lediglich am Widerstand des Westens scheitern.
Xi als Friedensstifter
Ähnlich dürfte Xi nun auch seine "Reise der Freundschaft" verkaufen wollen. Aus inoffiziellen Quellen hieß es bereits, Chinas Staatschef wolle dieser Tage auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefonieren. Damit ließe sich die Moskau-Reise dann als friedensstiftende Mission darstellen, unternommen mit dem Ziel, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Ähnliches ist Peking zuletzt schließlich auch mit den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien gelungen, die auf chinesische Vermittlung vor den Augen einer verblüfften Weltöffentlichkeit ihre Streitigkeiten beilegten.
Doch im Falle des Ukraine-Kriegs wirkt eine chinesisch vermittelte Einigung unwahrscheinlich. In Kiew dürfte man zwar ans Telefon gehen, wenn Xi anruft, aber als ehrlicher, unparteiischer Makler kann sich Chinas Staatschef in der Ukraine schwerlich präsentieren. Zudem gibt es im Ukraine-Krieg nach wie vor keine gangbare Verhandlungslösung, die für Kiew nicht auf erzwungene Gebietsabtretungen hinausliefe – oder aber auf einen russischen Rückzug und damit eine komplette Niederlage für Moskau. Keins von beiden wird Peking den Kontrahenten schmackhaft machen können.
Unheimliche Allianz
In erster Linie wird es bei dem Treffen also doch um russisch-chinesische Geschäftsinteressen gehen – und um die Stärkung einer geopolitischen Allianz, an der China offenbar gegen alle westlichen Widerstände festzuhalten gedenkt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch das Timing der Visite. Gerade erst hat sich Xi beim Nationalen Volkskongress in Peking eine dritte Amtszeit als Präsident und als Oberbefehlshaber der chinesischen Streitkräfte gesichert. Seine erste Auslandsreise in dieser Funktion führt ihn nun ausgerechnet nach Moskau.
Kein Zufall dürfte allerdings auch das Timing einer anderen, parallelen Entwicklung sein: Unmittelbar nach der Ankündigung von Xis Moskau-Visite erließ der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin. Der russische Staatschef ist damit nun ein international zur Fahndung ausgeschriebener Kriegsverbrecher. Das rückt Xis Besuch noch einmal in ein ganz anderes Licht. Zwar erkennt China – genau wie Russland und die USA – die Autorität des niederländischen Gerichtshofs formell nicht an. Trotzdem sendet der Haftbefehl ein klares Signal an Peking: Wenn Xi in Moskau neben seinem "Freund" Putin Platz nimmt, befindet er sich zumindest aus Sicht der westlichen Öffentlichkeit in schlechtester Gesellschaft.