Die politische Debatte wird ja derzeit häufig von Schlagworten bestimmt, die – gerade sozialmedial – sofort zu hysterischen Reaktionen führen, ohne dass immer oder gar jedem so genau klar wäre, worum es eigentlich genau geht. Meist fehlt aber auch die Zeit und noch mehr der Wille, sich irgendwie genauer, womöglich ernsthafter damit zu befassen.
So ist das natürlich auch bei Juso-Chef Kevin Kühnert, der jetzt dafür angefeindet wird, dass er Positionen vertritt, die auch das SPD-Grundsatzprogramm gut findet (und die er in der Sendung nochmals verteidigte). Zum Klimawandel hat er in jenem "Zeit"-Interview zwar nichts gesagt, trotzdem ist er bei Anne Will zu genau diesem Thema ("Streit um CO2-Steuer – wer zahlt für den Klimaschutz?") eingeladen. Wahrscheinlich weil es einerseits nahe lag, ihn einzuladen, andererseits das Thema der Sendung aber eben schon vorher feststand. Um eine mögliche CO2-Steuer etwa auf Heizöl, Diesel und Benzin sollte es gehen, und da ist es schon wieder, das nächste Schlagwort.
Wer hat diskutiert?
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Parteivorsitzende
Kevin Kühnert (SPD), Bundesvorsitzender der Jusos
Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
Ioannis Sakkaros, Initiator der Gelbwesten-Proteste in Stuttgart
Wie lief die Diskussion?
Michael Kretschmer will vor allem "Ruhe in die Diskussion bringen". Schließlich sind ja jetzt der Atom- und der Kohleausstieg beschlossen, da müsse man doch jetzt wirklich "nicht gleich das Nächste machen", findet er. Und überhaupt sollen doch jetzt erstmal die anderen Länder in der Welt was fürs Klima tun. Der Konservative ist ein Mann, der "Vernunft und Augenmaß" für sich in Anspruch nimmt, vor allem aber den Eindruck vermittelt, dass die Sache mit dem Klimawandel doch noch reichlich Zeit hat. Weswegen er auch gegen eine CO2-Steuer ist. Und für einen europaweiten Zertifikate-Handel mit CO2-Emmissionen. So eine Steuer "belaste einseitig", sagt er, vor allem die Deutschen und die Geringverdiener.
SPD und Grüne in der Runde, die eine solche Steuer propagieren, rechnen immer wieder vor, dass eben jene BürgerInnen das Geld für diese CO2-Abgabe an anderer Stelle ja auch wieder zurück bekämen. Doch nicht nur Ioannis Sakkarros ist das skeptisch. Und wie die von Rot-Grünen versprochene "Lenkungswirkung" der Steuer am Ende genau funktioniert, kann an diesem Abend so genau keiner erklären.
Das kann aber auch daran liegen, dass die Debatte sehr hitzig ist, und kaum einer in der Runde dazu neigt, andere ausreden zu lassen. Zwar versucht Maja Göpel, für etwas Klarheit zu sorgen: "Wir sollten aufhören, Rauchbomben in den Raum zu werfen." Denn schließlich seien sich der Zertifikate-Handel und die CO2-Steuer als Instrumente ja am Ende sehr ähnlich, wiewohl sie meist als Gegensatz diskutiert werden. Der Einwurf, dass so ein Zertifikate-Handel der Industrie keine Effekte auf die Preise für die Verbraucher habe, sei "fadenscheinig", sagt Göpel. Aber solche Fakten verwirren in einer Debatte um Schlagworte nur.
Der besondere Moment
Natürlich ist das alles auch immer ein Streit um Worte. In diesem Fall: um das böse R-Wort. Als neben Jungsozialist Kühnert nicht nur Grünen-Politikerin Baerbock einen "radikalen Wechsel" in der Ökonomie verlangt, sondern auch die angenehm ruhige und kompetente Wissenschaftlern in der Runde ein "radikal anderes Wirtschaften" fordert und eine "Decarbonisierung" als, ja: "radikales Ziel" ausgibt, da platzt dem CDU-Politiker Kretschmer der Kragen. Er will das böse R-Wort nicht mehr hören! Weil: "Diese ganze Radikale macht Angst!" Das wiederum wäre, angesichts des Klimawandels, ganz in Greta Thunbergs Sinne.
Stichwort "radikal": So wurde der Juso-Chef in den vergangenen Tagen oftmals gelabelt, nachdem er in einem Interview etwa über die "Kollektivierung" von Unternehmen wie BMW sinnierte. Auf die "Systemfrage" angesprochen, sagt CDU-Politiker Kretschmer zu Will: "Wir haben genügend Populisten, die die Stimmung anheizen." Kühnert selbst kann die Aufregung um seine durchaus umstrittenen Sozialismusthesen offenbar nur bedingt nachvollziehen – auch jene aus der eigenen Partei. "Ich glaube nicht, dass ich der SPD damit geschadet habe", sagt er Will. Die Politik sollte nicht jede Debatte immer nur nach dem parteitaktischen Vorteil ausrichten. "Das wird uns doch andauernd vorgeworfen, dass wir immer nur gieren auf die nächsten Umfragen, aber gar nicht die großen Fragen der Zeit diskutieren."
Die Erkenntnisse
- Bis 2030 müssten 50 Prozent der CO2-Emmissionen reduziert werden, verglichen mit 2010, um die Klimaziele noch einzuhalten. Derzeit steigen sie aber.
- SPD und CDU/CSU haben in ihrem Koalitionsvertrag eine "CO2-Bepreisung" vereinbart, was Raum für Zertifikate-Handel oder eine CO2-Steuer lässt, wie sie etwa die Schweiz oder Schweden haben. Allerdings sieht der Koalitionsvertrag auch vor, dass die Steuerbelastung der BürgerInnen nicht steigen soll.
- Ottmar Edenhofer, Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat das Modell einer CO2-Steuer vorgerechnet, bei dem eine vierköpfige Familie mit 45.000 Euro Einkommen zwar 266 Euro zahlt, aber noch mehr zurück bekommt. Unklar bleibt, ob sie mit dem gesparten Geld etwa eine Flugreise macht.
- 85 Prozent der Deutschen wissen laut einer ARD-Umfrage, dass sie wegen des Klimawandels ihr Verhalten ändern müssen – zugleich sind aber nur 34 Prozent für eine CO2-Steuer. Nicht nur bei SPD-und Unions-AnhängerInnen wird sie mehrheitlich abgelehnt, auch bei den Grünen-SympathisantInnen hat sie viele GegnerInnen.
Das Fazit
Irgendwie muss das mit dieser CO2-Steuer und dem Zertifikate-Handel und diesem Klimawandel noch viel besser erklärt werden, findet selbst Anne Will am Schluss.