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Hessen "Die ganze Zeit am Rande der Illegalität": Eine Lehrerin erzählt, was an Schulen alles schiefläuft

Eine Schulklasse und die Lehrerin mit Mund-Nase-Schutzmasken
Unterricht mit Masken: Mimik ist auf beiden Seiten kaum noch erkennbar (Symbolbild)
© izusek / Getty Images
Eine Lehrerin aus Hessen ist genervt von den Wischiwaschi-Regelungen des Bundeslandes in puncto Präsenzpflicht und digitalem Unterricht. Montag beginnt die Schule – und nichts lässt sich planen.

Eine hessische Lehrerin, Mitte 30, selbst Mutter von zwei Kindern, hätte sich den Einstieg ins neue Jahr anders gewünscht. Sie kennt die Schüler ihrer fünften Klasse fast nur mit Maske und soll die Kinder nun entweder in der Schule oder digital unterrichten. Wer in die Klasse kommt und wer zu Hause bleibt, entscheidet nicht der Kultusminister, sondern bestimmen die Eltern. Planen lässt sich der Unterricht, der für alle gleich ausfallen soll, so kaum. Oder eigentlich gar nicht. Der stern hat mit ihr gesprochen. Sie möchte anonym bleiben, um kein Disziplinarverfahren wegen öffentlicher Meinungsäußerung zu riskieren.

In Hessen beginnt am Montag wieder die Schule und Sie haben sozusagen zwei Baustellen. Einerseits sind Sie Lehrerin, andererseits haben Sie auch selbst Kinder. Was bedeutet das konkret für Sie? 
Das ist super schwierig. Zunächst einmal sind meine Kinder im Kindergartenalter. Das heißt, ich muss zwar kein Homeschooling organisieren, aber wir sind in Hessen wirklich in einer besonderen Situation. Mittwochnachmittag wurden erst die konkreten Regelungen veröffentlicht, die ab Montag gelten: Unsere Kindergärten sind grundsätzlich offen, allerdings mit der dringenden Empfehlung an die Eltern, dass sie ihre Kinder, wann immer möglich, bitte schön zu Hause betreuen. 
In der Schule ist es so, dass für die Jahrgänge 1 bis 6 die Präsenzpflicht ausgesetzt ist. Aber, wie unser Kultusminister gesagt hat, sowohl in der Schule als auch digital die gleichen Inhalte gemacht werden sollen. Ich selbst bin Klassenlehrerin einer fünften Klasse. Ich habe noch keine Ahnung, welche und wie viele Schüler am Montag in die Schule kommen und wie viele zu Hause bleiben werden. Das heißt, die Schule muss jetzt innerhalb von zwei Werktagen am Konzept arbeiten oder erst mal bei den Eltern erfragen, welche Kinder überhaupt kommen werden und daraufhin einen Einsatzplan für die Lehrer machen.
Und wir Lehrer müssen auf der einen Seite Präsenzunterricht machen für die Abschlussklassen sowie die Fünft- und Sechstklässler, die in die Schule kommen, aber auf der anderen auch alle anderen Klassen digital entsprechend versorgen. Und ich soll meine Kinder nach Möglichkeit zu Hause betreuen. Das ist wirklich ein großes großes Dilemma.
Ich fühle eine große Verantwortung, zum Beispiel auch den Erziehern gegenüber. Ich könnte meine Kinder theoretisch zu Hause betreuen, wenn ich da bin. Aber jeder, der schon von zu Hause mit Kindern gearbeitet hat, weiß, dass es nahezu unmöglich ist, dann sinnvoll zu arbeiten. Und dementsprechend tendiere ich natürlich dazu, meine Kinder in den Kindergarten zu bringen. Aber wenn ich das mache, warum soll das jemand anderes nicht machen, der auch von zu Hause aus arbeiten soll? Und schon sind die Kindergärten wieder voll und haben wir wieder Kontakte von 50, 60 Personen pro Tag.

In meinem Freundeskreis war es schon in der Weihnachtszeit ein Thema, dass ein zweiter harter Lockdown bis zum 10. Januar sicherlich nicht ausreichen wird. Hätte man das ganze nicht besser vorbereiten können? 
Mit Sicherheit. Dann hätten wir als Schule, als Lehrer, aber auch Bescheid wissen müssen. Ich finde es halt wieder unfassbar knapp, am Mittwoch davon zu erfahren, bevor es am Montag losgehen soll. Mittwochnachmittag, wohlgemerkt. Hätte man das vor Weihnachten gesagt, dann hätte die Schule schon deutlich früher Möglichkeiten gehabt, bei den Eltern den Bedarf abzufragen und zum Beispiel Stundenpläne zu erstellen: welche Lehrer wann kommen und die Schüler im Präsenzunterricht betreuen und welche an welchen Tagen zu Hause arbeiten. 

Wie ist die digitale Situation an Ihrer Schule?
Ich bin zu Hause, was die digitale Ausstattung angeht, auf alle Fälle besser aufgestellt. Ich bin jetzt gerade in der Schule, weil ich hier Sachen habe, die ich nur über die Schulrechner bekomme. Das heißt, ich sitze hier tatsächlich gerade mit meinem Laptop und einem Schulcomputer und arbeite parallel, weil ich manche Sachen auf meinem Rechner und andere auf dem Schulrechner habe. Es macht mir das Leben viel leichter, wenn ich meine Schüler vor mir sitzen habe. Das ist deutlich angenehmer für alle, aber in der aktuellen Situation keine Alternative.

Hätte die Schule im Dezember nicht sagen müssen oder können: Wir machen schon mal einen Notfallplan, wenn es mit Corona so weitergeht, wie es im Moment aussieht?
Wir haben Pläne, wir haben Konzepte, die aber entsprechend der Vorgaben angepasst werden müssen. Aus Elternsicht argumentiert: Ich habe darauf gewartet, was für Ansagen kommen. Und die kamen jetzt: Die Schule ist für 5.- und 6.-Klässler grundsätzlich offen – mit der dringenden Empfehlung, die Schüler nicht hinzuschicken. Vor den Winterferien waren das nur drei Tage in Hessen. Da kam fast keiner. Da hatten wir zwei oder drei Schüler pro Klasse in der Notbetreuung. Aber in den nächsten drei Wochen ist damit zu rechnen, dass deutlich mehr Kinder kommen werden. Und von dieser Regelung waren wir alle überrascht, weil sie so unverbindlich ist. Theoretisch können alle in die Schule und dann haben wir volle Klassen hier. Aber das wissen wir noch nicht. Und wenn ich weiß, dass alle Kinder kommen, dann kann ich Präsenzunterricht machen. Aber das muss erst erfragt werden, dann können die Stundenpläne entsprechend angepasst werden. Dementsprechend konnte man dafür gar keine sinnvollen Konzepte in der Tasche haben. 

Halten Sie das für einen grundsätzlichen Fehler, dass die Bundesländer die Schulfragen individuell entscheiden? Hätte es geholfen, wenn Angela Merkel gesagt hätte: "So, jetzt reicht's. Wir haben in 2020 gesehen, dass es so nicht funktioniert. Wir müssen eine landesweite Lösung finden."
Das sehe ich ein bisschen differenzierter. Auf der einen Seite finde ich diesen Föderalismus schwierig. Ich hätte es begrüßt, wenn es anhand von Inzidenzwerten bundesweite Lösungen gäbe. Wenn Mecklenburg-Vorpommern eine Inzidenz von etwa 60 hat, aber Sachsen eine von 300, 400, 500, dann müssen da nicht die gleichen Dinge gefahren werden. Aber eine verbindliche bundesweite Stufenregelung, die wird ja eigentlich schon seit einem Dreivierteljahr gewünscht, hätte geholfen. Es gibt ja die Idee zu sagen: Inzidenzwert unter 50 – alle sind im Präsenzunterricht, bis 100 im Wechselunterricht und ab 100 im Distanzunterricht. Damit könnte man eher planen als mit so halbgaren Lösungen wie: Die Schulen sind offen und wer möchte, kann hin und wer kann, bleibt zu Hause. Und dann wird von Woche zu Woche neu entschieden, wer kommt und wer nicht. 

Was glauben Sie, warum sich bislang nicht nach den Inzidenzwerten gerichtet wird? 
Ich habe keine Ahnung. Aus Muttersicht sehe ich auch den großen Betreuungsaspekt. Wir haben hier Kinder, die sind von morgens halb acht bis 17 Uhr an der Schule. Da sind sie gut aufgehoben, dort ist es warm und trocken, es gibt etwas zu essen, zu trinken und eine Toilette. Und sie sind sinnvoll beschäftigt. Viele Eltern arbeiten ja auch. Es gibt genug Eltern, die mir sehr, sehr leid tun, weil sie zum Beispiel in Kurzarbeit sind und mit Einkommensverlusten zu kämpfen haben. Die sind aber deswegen vielleicht mehr zu Hause und könnten ihre Kinder betreuen. Aber andere Eltern haben diese Möglichkeit nicht. Und die Kinder sind dann eben den ganzen Tag in der Schule und die brauchen Erwachsene, die nach ihnen gucken, ein Dach überm Kopf und ein warmes Essen am Mittag. Und diesen Aspekt, den leistet Schule ja auch. Wir hatten hier Inzidenzwerte von über 200 und haben mit vollen Klassen mit der ganzen Schule unterrichtet, das halte ich für fahrlässig.

Und dann tragen alle Kinder Masken und alle Fenster sind auf?
Genau. Aber was heißt, alle Kinder haben Masken auf? Es gilt dann eine offizielle Maskenpflicht, aber ich habe 30 Prozent des Tages damit verbracht, den Kindern zu sagen: "Ziehst du bitte wieder die Maske auf? Setz sie bitte wieder richtig auf! Wir müssen jetzt aber lüften. Ja, ich weiß, dass es kalt ist. Dann zieh doch deine Jacke an." Aber wir sollen ja klatschen und Kniebeugen machen. 

Vom Homeschooling sind in den allermeisten Fällen Mütter betroffen. Wenn Sie als Lehrerin jetzt wieder in der Schule präsent sein müssen, heißt das zwangsläufig, dass Ihre Kinder dann in den Kindergarten gehen?
Ich kann sie ja nicht mitnehmen. 

Wie kommen Ihre Fünftklässler mit digitalem Unterricht zurecht?
Ich habe mit ihnen immer mal im Präsenzunterricht unsere Plattform aufgerufen und hatte dort Übungsaufgaben bereitgestellt. Wir haben ein paar Sachen ausprobiert, wie man da rankommt, was es für Formate gibt und wie man Ergebnisse hochlädt. Das habe ich in Erwartung eines weiteren Lockdowns mal gemacht. Aber ich kann keinen individuellen IT-Support leisten, weil ich nicht weiß, was die Kinder für Geräte zur Verfügung haben, ob sie ein iPad, ein Android-Tablet, einen PC oder ein Laptop haben. Welchen PDF-Reader nutzen sie? Welche Office-Programme? Und wenn mir einer sagt, er kommt an etwas nicht heran, dann weiß ich nicht, über welchen Browser er es geöffnet hat. Da sind auf alle Fälle auch die Eltern gefragt, ich kann einfach nichts dagegen machen. Deswegen war ich im Frühjahr sehr dankbar, dass meine Kinder alle in 7. Klasse und älter waren und das hinbekommen haben. Und jetzt hatten wir nur diese drei Tage vor den Ferien. Und dabei muss man ganz ehrlich sagen: In diesen drei Tagen vor den Weihnachtsferien passiert auch im Präsenzunterricht nicht allzu viel. Da werden Wichtelgeschenke verteilt, Adventsfeiern gemacht und Weihnachtsfilme geguckt oder so. Und deswegen habe ich mir da auch nicht allzu viel Stress gemacht. Was ich gemacht habe, war, die Kinder zu einer Videokonferenz einzuladen, um auszutesten, wie sie reagieren und wie das funktioniert. Da habe ich super viel gelernt, nämlich, wie anders ich eine Videokonferenz mit Fünfklässlern organisieren muss, weil ich mindestens die Hälfte der Zeit damit verbracht habe, meinen Bildschirm zu teilen und ihnen zu zeigen: Hier stellst du dein Mikro aus und hier stellst du es ein. Hier stellst du ein, ob du 3, 9 oder 30 Kinder siehst. Du hörst immer noch nichts? Hast du deinen Lautsprecher angemacht? Du hörst immer noch nichts? Ja. Ich weiß von hier aus leider nicht, warum du nichts hörst, sorry. Du bist zweimal drin? Ja, komm, ich schmeiße dich einmal raus. Du siehst XY nicht? Dann guck doch mal hier. Hier kannst du einstellen, dass du alle Kinder siehst und nicht nur die voreingestellten 9.
Ich habe verschiedenes ausprobiert. Ich hatte parallel auf unserer Lernplattform Inhalte bereitgestellt und habe gesagt: "Kopiert mal den Link in die Browser-Leiste." Klappt nicht, habe ich gelernt. Jetzt weiß ich, dass nicht alle das so einfach hinbekommen. Das heißt, ich habe gelernt, dass ich andere Anweisungen geben muss als bei Mittel- oder Oberstufenschülern. Aber Übung diesbezüglich habe ich dadurch noch nicht. Ich weiß auch immer noch nicht, ob es so weit kommt, weil ich nicht weiß, wer von den Fünftklässlern kommen und wer nicht kommen wird. 

Lana pflegt jahrelang ihren kranken Vater - und muss dann die Schule abbrechen.

Sie können ja rein physisch gar nicht parallel Präsenzunterricht machen und digital unterrichten. Heißt das, Sie sind von 9 bis 17 Uhr in der Schule und machen dann für die Kinder, die zu Hause bleiben, abends Unterricht? Oder wie soll das laufen? 
Keine Ahnung. Bei den Vorgaben, die von unserem Kultusministerium kamen, war mein erster Gedanke: Mir fällt nichts ein, wie man das umsetzen kann. Fünf- und Sechstklässler können möglicherweise in den Präsenzunterricht kommen. Abschlussklassen müssen in den Präsenzunterricht kommen. Wenn ich jetzt, je nachdem, wie mein Stundenplan aussieht, eine Abschlussklasse habe, bedeutet dies ja, dass ich definitiv in den Präsenzunterricht kommen werde. Dann ist Unterricht nach dem alten, regulären Stundenplan. Das heißt, mittwochs dritte, vierte Stunde Mathe-Leistungskurs oder sowas. Oder wird dann ein neuer Stundenplan erstellt, sodass ich nicht jeden Tag für meine ein, zwei Präsenzstunden in die Schule muss? 
Ich habe das im Frühjahr beim Distanzunterricht in der Regel so gemacht, dass ich Wochenaufgaben erstellt und diese einmal die Woche bereitgestellt habe oder auch zweimal die Woche, je nachdem, wie ich das mit den Klassen vereinbart hatte. Und ich war in einer Art Sprechstunde verfügbar, aber da waren wir auch alle zu Hause.
Bis wir dann auch wieder in dieses Wechselmodell kamen mit halben Klassen. Ich kann nicht parallel online etwas betreuen und im Präsenzunterricht sein. Und ich kann von der Schule aus auch keine Videokonferenz leisten. Man könnte ja sagen, ich habe jetzt eine Freistunde, in der Zeit kümmere ich mich um die Schüler zu Hause. Aber erstens können wir nicht aus allen Klassenräumen streamen, dafür fehlt uns die Ausrüstung, und zweitens machen das unsere Internetleitungen nicht mit. Wir haben kein Wlan in der Schule, sodass ich mit meinem privaten Laptop ins Internet könnte. Wir haben weder Kameras noch Headsets, um die Schulcomputer entsprechend auszurüsten. 

Wäre das nicht ein Minimum gewesen, das man hätte lernen können? Dass man die Lehrer zumindest mit Sticks ausrüstet, sodass sie in der Schule ins Internet gehen können?
Ja, das sollte man meinen. Allerdings haben wir hier eine unfassbare Bürokratie, gerade wenn es um Schule geht. Wir können so etwas beantragen, dann wird vom Schulträger über den Antrag entschieden, dann wird er vielleicht genehmigt oder auch nicht. Es gibt den Vorsatz, alle Schulen mit Wlan auszurüsten, aber da gibt es einen Stufenplan und die Schulen, die bisher noch am wenigsten digital ausgerüstet sind, kommen als erste dran. Und da wir relativ gut ausgerüstet sind, kommen wir recht spät dran. Die Schule darf aber auch nicht sagen: Wir haben das Geld vom Förderverein, wir schaffen das jetzt privat an und rüsten unsere Lehrer aus. 

Warum nicht? Verstehe ich nicht.
Keine Ahnung. Ich auch nicht. Ich darf eigentlich mit meinem privaten Rechner auch nicht diese sensiblen Daten verarbeiten. Ich kann es nicht von der Schule aus und darf es nicht mit meinem privaten Gerät – und arbeite dementsprechend die ganze Zeit am Rande der Illegalität.

Was kann man da tun?
Sie glauben nicht, wie viele Anträge wir gestellt haben. Aber dann haben wir eine Deadline, bis wann der Antrag gestellt werden muss. Und dann gibt's einen Bearbeitungszeitraum. Dann müssen solche Sachen auch ausgeschrieben werden in öffentlichen Bereichen. Und dann geht's irgendwann durch.

Das klingt "typisch deutsch".
Ich hatte im Frühjahr auch gehofft, dass jetzt mal ein bisschen Zug reinkommt, gerade bei der Ausstattung, weil Schule und Bildung wieder einen anderen Stellenwert bekommen würden. Schön wär's gewesen, wenn die Bürokratie mal ein bisschen runtergefahren worden wäre. Wir dürfen ja noch nicht mal einen Nagel in irgendeine Wand hämmern, weil wir dann einen Eingriff in ein öffentliches Gebäude gemacht haben. Das muss ja immer alles über einen vom Schulträger beauftragten Handwerker gemacht werden. Und so ähnlich ist es auch mit der Ausstattung.
Wir könnten natürlich auch vom Schulbudget 30 Laptops kaufen, aber was machen wir dann mit 30 Laptops? Wer kümmert sich um die Software? Sind das jetzt private? Werden sie den Lehrern vermietet oder den Schülern? Wer kümmert sich darum? Wer ist für die Administration und für die Wartung und sowas zuständig? Das sind ja immer alles solche Rattenschwänze. 
In Bezug auf Administration und IT-Support haben wir niemanden an der Schule. Wir haben Kollegen, die das freiwillig machen, weil sie kleine Cracks sind und das privat machen. Aber wenn ich ein Software-Problem mit meinem Computer habe, dann habe ich niemanden, den ich anrufen kann. Ich habe meine privaten Freunde, die mir als Privatmensch Support geben. Aber ich hab niemanden, dem ich sagen kann: Programm X läuft nicht, bringst du mir das bitte in Ordnung?

Stehen Sie mit allen Eltern Ihrer fünften Klasse in regelmäßigem Kontakt? Bekommen sie von Ihnen einmal pro Woche eine E-Mail mit einem Update oder so etwas?
Bisher nicht. Aber wir waren ja auch die ganze Zeit im Präsenzunterricht. In ganz vielen Fällen weiß ich, dass die Eltern auch Zugang zu der Lernplattform haben und da reingucken.

Und wie war das mit Ihrer siebten Klasse im ersten Lockdown? 
Da hatte ich eigentlich keinen Kontakt mit den Eltern. Also, ich habe vereinzelt bei Schülern, von denen ich nichts gehört hatte, mal eine E-Mail geschrieben oder angerufen und habe sie darüber informiert. "In den letzten drei Wochen hat Ihr Kind keine einzige der geforderten Aufgaben abgegeben", oder so. "Brauchen Sie irgendwo Unterstützung? Wo hapert es? Ist es die Technik? Ist es die Zeit? Ist es der Arbeitsaufwand?"
Das ist allerdings schulspezifisch. Wir haben eine sehr bildungsnahe Klientel. Da wurde in den allermeisten Fällen auf so etwas reagiert. Aber in Hessen wurde auch direkt gesagt, dass alles, was im Homeschooling passiert, nicht bewertet wird. Die Schüler hatten daher keinen extrinsischen Druck. Das heißt also, wenn die nichts gemacht haben, hat es für mich Arbeit bedeutet, weil ich dann darüber informiert habe, dass nichts gemacht wurde. Aber ich durfte mir nicht eintragen: Hausaufgaben nicht gemacht. Alles war ganz klar. Zunächst einmal hieß es, dass wir nur wiederholend arbeiten, nichts Neues machen dürfen. Damit den Schülern kein Nachteil entsteht, durfte nichts bewertet werden. Das heißt, ich hatte wirklich Schüler, die haben vom 16. März bis zum 16. Juli nichts, aber auch gar nichts gemacht. Null. Und ich habe denen eine 2 im Zeugnis gegeben, weil sie in der ersten Arbeit eine 2 geschrieben und in den sechs Wochen, die wir im Winter hatten, ganz ordentlich mitgearbeitet hatten. 

In manchen Ländern wird derzeit mehr Geld in Bildungsfernsehen investiert. Hätte Deutschland diese Zeit nutzen müssen, um die Rundfunkgebühren auch in Fernseh-Unterricht zu investieren? 
Das hätte mich sehr gefreut, da habe ich auch schon ein paar Mal drüber nachgedacht. Ich habe das im Frühjahr irgendwo gelesen. Ich glaube in Mexiko gibt es einen Kanal, auf dem den ganzen Tag über Bildungsinhalte laufen. Es gibt ja wirklich gute Programme und es gibt auch die Experten. Leute wie Ranga Yogeshwar, die machen das ja richtig, richtig klasse. Das hätte ich sehr begrüßt, wenn man etwa sagt: Dritte Programme senden morgens von 10 bis 12 Uhr – ich weiß gar nicht, was da sonst läuft, "Traumschiff" oder so – so etwas wie Quarks und Co. oder auch andere Inhalte. Vielleicht mal ein bisschen Mathe, mal ein bisschen Englisch oder sowas. Alles besser als "Berlin – Tag & Nacht". 

Gibt es noch etwas, das Sie loswerden möchten?
Wissen Sie, ich gebe mir Mühe. Ich bin mit Sicherheit keine Koryphäe, was Online-Unterricht angeht. Ich denke, ich bin da gutes Mittelfeld – vom Alter her und von dem, was ich mache. Aber ich finde, es wird so viel auf den Lehrern herumgehackt. Zum Teil zu Recht. Aber ich habe bislang zu selten gelesen, dass ein Vollzeitlehrer rund 250 Schüler betreut. Wenn man jedem Schüler fünf Minuten individuelle Zeit pro Woche widmet, sind das schon rund 21 Stunden. In dieser Zeit muss man es schaffen, E-Mails zu beantworten, Aufgaben zu lesen, Aufgaben zu korrigieren, zu kommentieren, zurückzugeben. Und dann heißt es: "Wir haben nur einmal pro Woche Aufgaben bekommen." Oder: "Es gab maximal eine Videokonferenz pro Woche." Oder: "Im Grunde gab es kein Feedback." Und dann habe ich 21 Stunden gearbeitet und noch keine Videokonferenz gehalten, noch kein Elterngespräch geführt, noch nichts vorbereitet, noch keine Arbeitsblätter erstellt. Der Lehrer kommt mit dem Korrigieren, Kommentieren und Feedbackgeben überhaupt nicht mehr hinterher. 

Was könnte da helfen?
Man kann nichts ändern, aber man kann versuchen, auch mal diese Perspektive einzunehmen, wenn man zu Hause sitzt und frustriert ist, dass von den Lehrern jetzt wieder nur eine Wochenplan-Aufgabe gekommen ist und nur einmal das kurze Feedback "Gut gemacht". Das ist, individuell betrachtet, für den Schüler, der zu Hause sitzt, wenig. Das finde ich auch. Aber es ist aus meiner Perspektive von einem Lehrer, der 250 Schüler betreut und 250 Aufgabenblätter und Sachen liest und korrigiert, nahezu nicht leistbar. Dann ist es halt in dem einen Fall wirklich nur ein Daumen-hoch oder "Gut gemacht" und im anderen ein ausführlicher Kommentar. Da müssen wir als Lehrer gucken, dass man das ein bisschen variiert, mal die eine Klasse, mal die andere. 

Trotzdem, wenn ich mich jetzt mal ans andere Ende setze, an so einen Schüler-Schreibtisch, hätte ich emotional auch das Gefühl, ich verhungere hier gerade etwas. 
Ja, genau, das ist halt wirklich das Problem. Deswegen versuche ich mit meinen Schülern mindestens einmal die Woche in Kontakt zu treten – über eine Videosprechstunde oder einen Kommentar oder sowas. Aber es kommt auch noch vieles hinzu, das man nicht sieht: Zeugniskonferenzen stehen an. Ich muss Elterngespräche führen. Wir müssen Beratungsgespräche führen, wenn es irgendwo eng wird in der Oberstufe, soll wiederholt werden? Ich schreibe Empfehlungsschreiben für Schüler, die ins Ausland wollen. Wir haben Projekte, Klassenfahrten, die umgeplant, storniert, überhaupt geplant werden wollen oder müssen. Das sind ja auch Sachen, die noch gemacht werden, die man aber von außen gar nicht auf dem Zettel hat. 

Hat sich Ihre Fünfte denn auch ohne Klassenfahrt, Wandertag oder Museumsbesuch ganz gut gefunden?
Nun ja, ich denke schon, dass die Klasse sich ganz gut gefunden hat, untereinander und auch mit mir. Ich muss sagen, wir tragen seit Beginn des Schuljahres Maske. Ich auf alle Fälle, die Schüler erst nicht verpflichtend, dann irgendwann doch. Das heißt, ich kenne meine Schüler zum Teil noch gar nicht so richtig vom Gesicht her. Ich meine, ich kann sie natürlich unterscheiden. Ich erkenne sie auch mit ihrer Maske. Aber es geht so viel von der Mimik verloren, auch bei mir. Die Schüler kennen mich wirklich nur mit Maske. Ich habe zwar nicht den Eindruck, dass es besonders viele negative Konsequenzen hat, aber es erschwert natürlich des Unterrichtsgeschehen ungemein. Gerade aus meiner Perspektive läuft super viel über die nonverbale Kommunikation. Ich kann ja mit einem bösen oder einem aufmunternden Blick immer noch super viel erreichen, ohne dass ein Wort gesprochen wird. Oder man sieht am Mund, ob ich einen Witz gemacht oder ob ich das jetzt wirklich ernst gemeint habe. Da geht wirklich viel verloren. Aber es läuft trotzdem, und es läuft auch gut. Und ich würde sagen, ich habe ein gutes Verhältnis zu den Schülern, die Klasse hat sich untereinander gefunden und es haben sich Freundschaften entwickelt.

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