Der Streit in Nordrhein-Westfalen (NRW) über den Schulbetrieb in der Coronavirus-Pandemie spitzt sich zu. Nach dem Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) fordert nun auch sein Duisburger Amts- und Parteikollege Sören Link, den am Montag begonnen Präsenz- und Wechselunterricht wieder auszusetzen.
"In Anbetracht der weiter steigenden Inzidenz wäre es absolut sinnvoll, die Schulen zum Schutz der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Familien, aber auch der Lehrkräfte wieder zu schließen und auf Distanzunterricht umzustellen", zitierte die Nachrichtenagentur DPA das Oberhaupt der 500.000-Einwohner-Stadt im Ruhrgebiet. Die gegenteilige Entscheidung der Landesregierung bezeichnete Link als "vollkommen unverständlich".
Streit über Schulschließungen in NRW
Zuvor hatte Dortmunds Bürgermeister die Schließung der Schulen gefordert: "Wir sind der festen Überzeugung, dass es in diesem Moment überhaupt keinen Sinn macht, die Schulen zu öffnen", sagte Thomas Westphal. Sorgen macht sich auch Thomas Eskirch (SPD), Oberbürgermeister von Bochum. Er sagte: "Nachgewiesene Infektionen an 29 Bochumer Schulen sind mehr als ein Alarmzeichen." In anderen Städten und Kreisen von NRW wächst die Beunruhigung ebenfalls.
Hintergrund für die Sorgen sind die steigenden Zahlen von Neuinfektionen mit dem Coronavirus und die damit verbundene Erhöhung der Sieben-Tage-Inzidenz (neue Ansteckungen auf 100.000 Einwohnerinnen/Einwohner binnen einer Woche). In Dortmund lag der Wert an diesem Mittwoch laut Robert-Koch-Institut bei 78, in Bochum bei 96,8 und in Duisburg gar bei 122,1 – überall mit steigender Tendenz.
Der Kampf gegen die Pandemie werde vor Ort gewonnen, hieß es in den vergangenen Monaten immer wieder. Doch im Falle der Schulen dürfen die Kommunen in NRW nicht selbst entscheiden, machte die Landesregierung nach dem Appell aus Dortmund klar. Sie stellt bei ihren Plänen für Lockerungen oder Verschärfungen der Infektionsschutzmaßnahmen grundsätzlich auf die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz ab. Sie lag am Mittwoch bei 85,1, ebenfalls mit steigender Tendenz. Bei der derzeitigen Infektionslage ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis in den Städten und im ganzen Land der Grenzwert von 100 überschritten wird.
Doch Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) lehnte den Dortmunder Antrag auf Schulschließungen ab. Sie kämen bei der derzeitigen Infektionslage in der Stadt "nicht infrage". Rückendeckung für Laumann gab es von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP). Laumann kritisierte, dass der Stadt offenbar keine anderen Maßnahmen einfielen.
Bloß: Wenn sich, auch über NRW hinaus, die Schulen mehr und mehr zu den Infektions-Hotspots entwickeln, dürften Maßnahmen in anderen Bereichen kaum Wirkung zeigen. Eine verschärfte Maskenpflicht in der Dortmunder Innenstadt wird beispielsweise niemanden beim Schulbesuch schützen, weder Lehrerinnen und Lehrer noch Schülerinnen und Schüler.
Ein Grundproblem in der Coronavirus-Pandemie bleibt
Und an den Schulen selbst erscheint der Handlungsspielraum weiterhin arg begrenzt; Länder und Kommunen schaffen es vielerorts nicht einmal, die geltenden Präventionsmaßnahmen des Robert-Koch-Instituts für Schulen eins-zu-eins umzusetzen. Das Grundproblem, dass in Zeiten dringend empfohlener Kontaktreduzierung das exakte Gegenteil – nämlich eine Zunahme der Kontakte – durch den Präsenzunterricht erfolgt, bleibt ohnehin bestehen.
Dem Widerspruch – Lockerungen einerseits, steigende Infektionszahlen andererseits – wollen Bund und Länder mit dem Dreiklang aus Testen, Impfungen und der sogenannten Notbremse begegnen, so sieht es die Vereinbarung von Anfang März vor. Doch inzwischen ist die Impfkampagne durch das zumindest vorübergehende Aus des Astrazeneca-Impfstoffs ins Stottern geraten, die "Notbremse" (also die Rücknahme von Lockerungen bei einem Übersteigen der 100er-Inzidenz, wobei der Umgang mit Schulen und Kitas laut Beschluss den Ländern überlassen bleibt) wird vielerorts ignoriert und mit den regelmäßigen Tests klappt es auch nicht so wie vorgesehen – auch in NRW nicht.
Es könne bis Anfang nächster Woche dauern, bis alle Schulen im Westen ihre Test-Kits erhalten hätten, räumte Schul-Staatssekretär Mathias Richter laut Westdeutschem Rundfunk ein. Ob dann tatsächlich alle 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler, immerhin sieben Tage nach der Rückkehr zum Präsenzunterricht und nur vier Tage vor Ferienbeginn, getestet werden können, ist jedoch alles andere als sicher. Das sind alles keine guten Voraussetzungen für einen halbwegs sicheren Schulbetrieb, meinen nicht nur die Oberbürgermeister aus Dortmund, Duisburg und Bochum. So hält die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft den Kurs der Landesregierung für ein "riskantes Manöver" angesichts der dritten Pandemie-Welle. Der Geschäftsführer des NRW-Städtetages NRW, Helmut Dedy, forderte: "Die Entscheidung, ob wegen hoher Infektionszahlen Schulen geschlossen werden müssen, müssen die Städte vor Ort treffen können."
"Spätestens Montag müssen die Schulen zubleiben"
Der Konflikt zwischen der Landesregierung von NRW und den Kommunen droht zu eskalieren; dem Ministerpräsidenten und seinem Gesundheitsminister könnte ihr kompromissloses Nein zu Schulschließungen viel Autorität und Vertrauen kosten.
Längst wird zwischen den Zeilen fast schon zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. "Es ist verständlich, wenn Eltern in Regionen mit einer hohen Inzidenz Bedenken haben, ihr Kind in die Schule zu schicken", teilte der Vorstand der Landeselternschaft der Gymnasien, Franz-Josef Kahlen, Medienberichten zufolge jüngst mit. Und die ersten Schulen boykottieren die Anordnung der Landesregierung, die Präsenzpflicht an den Schulen für alle Schülerinnen und Schüler beizubehalten, berichtete die "Rheinische Post". Auch Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal will offenbar nicht nachgeben. "Spätestens Montag müssen die Schulen zubleiben", sagte er dem Nachrichtensender "Welt".
Der Kampf gegen die Pandemie, er wird vor Ort geführt.
Quellen: Stadt Dortmund, Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link bei Facebook, Zahlen des Robert-Koch-Institut, Robert-Koch-Institut zu Präventionsmaßnahmen in Schulen, Regelungen für Schulen in Nordrhein-Westfalen, Bund-Länder-Beschluss, Westdeutscher Rundfunk, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, "Rheinische Post", Nachrichtenagentur DPA