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4. Integrationsgipfel in Berlin Wie Herr Küçük die Kanzlerin ärgerte

Eigentlich sollten alle sagen, wie dufte der Integrationsgipfel war. Aber dann griff Herr Küçük die Lieblingskampfvokabel der Union auf: Multikulti. Da war es mit der Harmonie schon wieder vorbei.
Eine Beobachtung von Lutz Kinkel

Bilder. Bilder sind ganz wichtig. Deswegen weist die Kanzlerin mit einer sanften Berührung Kenan Küçük den Platz neben sich an. Innenminister Thomas de Mazière muss sich bei der Pressekonferenz auf den Stuhl links außen setzen. An diesem Tag, kurz nach dem Integrationsgipfel im Kanzleramt, sieht es einfach besser aus, wenn Angela Merkel einen Vertreter der Migranten an ihrer Seite hat. Wirkt so integrativ.

Doch Kenan Küçük ist ein eigensinniger Mann. Nachdem auf dem Podium alle gesprochen haben, die Kanzlerin, die Staatsministerin, der Innenminister und der Ministerpräsident, und alle zu erkennen gegeben haben, was für eine feine Sache so ein Integrationsgipfel ist, darf auch Küçük reden. "Multikulti ist gescheitert, das hat man in den letzten Tagen immer wieder zu hören oder zu lesen bekommen", sagt er. "Aber meine Damen und Herrn - die multikulturelle Gesellschaft ist die Realität, ist die Zukunft." Angela Merkel versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Aber sie weiß in dieser Sekunde, dass es vielleicht doch nicht so schlau war, Küçük, den Geschäftsführer des multikulturellen Forums e.V., mit aufs Podium zu nehmen. Vor wenigen Tagen noch hatte sie Multikulti für gescheitert erklärt. Zuvor hatte CSU-Chef Horst Seehofer gesagt, Multikulti sei "tot".

Die Sache mit den Ölprinzen

Es ist plötzlich ziemlich leise im Publikum und von einer seitlichen Sitzposition aus ist zu erkennen, dass Kenan Küçük nicht die Absicht hat, es bei dieser Anmerkung bewenden zu lassen. Er hat Notizzettel in der Hand, und zwar mehrere. Küçük redet weiter, sagt, dass die Diskussion über Integration in Deutschland einseitig geführt werde, dass das Thema zu sehr auf den Aspekt der Sprache reduziert werde, dass es gelingen müsse, Klischees und Stereotypen zu überwinden. "Deutschland ist ein Einwanderungsland, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren", sagt Küçük und rempelt damit ein zweites Mal die Kanzlerin an. Sie versucht noch immer, gute Miene zu machen. Aber ihr Sprecher Steffen Seibert reckt schon den Hals, um zu eruieren, wie viele Seiten Küçük um Gottes Willen noch vortragen will.

Mehr als 100 Vertreter von Verbänden, Glaubensgemeinschaften, Initativen, Politik und Gewerkschaften waren zum 4. Nationalen Integrationsgipfel im Kanzleramt geladen gewesen. Vertreter der Migranten gehen gerne hin, weil allein der Ort und die Anwesenheit der Kanzlerin eine Geste des Respekts ist. Dieses Jahr war die Stimmung jedoch nicht allzu gut, berichteten Teilnehmer stern.de. Die ressentimentgeladenen Töne der Sarrazine der Republik, allen voran Horst Seehofers, wurden als Rückschlag bewertet. Auch dass Innenminister Thomas de Mazière und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier spaßhaft die Vokabel "Ölprinzen" für arabische Jugendliche verwendeten, hob die Laune nicht. Überhaupt seien in der Debatte weniger die Migranten zu Wort gekommen als vielmehr Deutsche, die über ihre Erfahrungen mit Migranten berichteten. Und, natürlich: die zuständigen Minister.

Immer auf einem "guten Weg"

Es standen viele Fragen im Raum, zum Beispiel jene, wie Innenminister de Mazierè auf die Zahl von 10 bis 15 Prozent integrationsunwilliger Einwanderer kommt, obwohl endlos lange Wartelisten für die Integrationskurse existieren. Wie mit dem Familiennachzug künftig verfahren werden soll. Mit den Aufenthaltserlaubnissen. Mit dem kommunalen Wahlrecht für Ausländer. Aber es gab keine konkreten Antworten. Von dem Gipfel seien keine neuen Impulse ausgegangen, teilte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) mit. Josef Winkler, stellvertretender Fraktionschef der Grünen, schrieb in einer Stellungnahme, die Ministerien hätten ohnehin nur vorgelegt, was schon bekannt gewesen sei, die abschließende Aussprache habe nur 25 Minuten gedauert. "Solche Integrationsgipfel braucht kein Mensch."

Dass Wowereit und Winkler, beide Teilnehmer des Gipfels, enttäuscht waren, ist ihnen nicht zu verdenken. Schon auf dem zweiten Integrationsgipfel 2007 legte die Bundesregierung einen Integrationsplan mit mehr als 400 Maßnahmen und Selbstverpflichtungen vor. Das offizielle Ergebnis des diesjährigen Gipfels war, dass nun ein "Aktionsplan" erstellt werden soll, wie der Integrationsplan umzusetzen sei. Im Jahr 2011, zum 5. Nationalen Integrationsgipfel, soll der Aktionsplan stehen. Und dann soll alles anders und vieles besser werden oder so ähnlich. Die Redewendung "Wir sind auf einem guten Weg" erfreute sich dieses Jahr besonders großer Beliebtheit unter den Regierungsmitgliedern.

Was ist eigentlich Multikulti?

Nachdem Küçük auf der Pressekonferenz im Kanzleramt zum Ende gekommen ist, sind ein paar Nachfragen gestattet. Eine richtet sich an Angela Merkel. Was sie denn nun eigentlich mit Multikulti meine? Die Kanzlerin sagt, damit sei die Vorstellung gemeint, dass Menschen verschiedener Nationalitäten in Deutschland einfach so friedlich nebeneinander leben könnten. Die Probleme mit der Integration hätten aber gezeigt, dass sich die Politik engagieren müsse. Seit 2005 werde nun getan, was in den vorangegangenen 30 Jahren verschlafen wurde. Daraus ergibt sich, das sagt die Kanzlerin aber nicht, eine sehr simple politische Auslegung zu ihren Gunsten: Multikulti, das waren Rot-Grün und die Vorgängerregierungen. Integration, das bin ich.

Seltsam nur, dass nach fünf Jahren Amtszeit Merkel eine Ausländer-Debatte geführt wird, die nicht wenige an die 80er Jahre erinnert.

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