Streit um Flugzeug-Abschuss Merkel soll sich Jung zur Brust nehmen

Störrisch beharrt Verteidigungsminister Jung darauf, dass er im Fall der Fälle auch einen voll besetzten Flieger abschießen lassen darf. Kritiker erwarten von den Piloten die Befehlsverweigerung - und fordern ein Machtwort von Kanzlerin Angela Merkel.

Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse angesichts der Forderungen von Franz Josef Jung klar Stellung beziehen, forderte die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Dienstag im WDR. Den Abschuss einer Passagiermaschine mit Unschuldigen an Bord, die für einen Terroranschlag missbraucht werden soll, könne es legal "nie geben". Die FDP habe dazu eine aktuelle Stunde im Bundestag beantragt. Jung hatte erklärt, er würde den Befehl zum Abschuss im Extremfall geben, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies für unzulässig erklärt hat. Leutheusser-Schnarrenberger sagte, Jung müsse sich an das Verfassungsurteil halten, auch wenn es ihm politisch nicht gefalle. Jung könne das Urteil nicht einfach "wegdrücken". Die frühere Bundesjustizministerin forderte Bundeswehr-Piloten zum Widerstand auf. "Ich rate generell den Piloten, dass sie einen rechtswidrigen Befehl - und das wäre der Abschuss eines Flugzeugs mit Passagieren und Terroristen an Bord - nicht befolgen dürfen", sagte die FPD-Politikerin. Damit würden sie gegen das Soldatengesetz verstoßen und müssten sich vor Gericht verantworten.

Auch Beck übt Kritik

Auch SPD-Parteichef Kurt Beck hatte Jung zur Revision seiner Position aufgefordert. "Wenn jetzt eine Seite versucht, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umzuinterpretieren, dann haben wir eine schwierige Situation", sagte Beck in Berlin. Man müsse auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagen, dass Vorkehrungen für die Sicherheit der Bürger im rechtsstaatlichen Rahmen und im Sinne der Verfassung erfolgen müssten.

Jung selbst wies die Kritik an seinem Vorstoß zurück, von Terroristen entführte Flugzeuge notfalls von Bundeswehrmaschinen abschießen zu lassen. "Die Kritik ist völlig unberechtigt", sagte er am Montagabend in Potsdam der Deutschen Presse-Agentur dpa. "Ich argumentiere auf der Basis des Bundesverfassungsgerichts."

"Jung befindet sich auf Irrweg"

Der Chef des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, sieht keine Möglichkeit, eine juristische Grundlage dafür zu schaffen, dass für Terroranschläge entführte Passagiermaschinen abgeschossen werden könnten. "Dieser Fall lässt sich verfassungsrechtlich nicht lösen", sagte Gertz der "Berliner Zeitung". Jung befinde sich "auf einem absoluten Irrweg". Piloten machten sich strafbar, wenn sie einen vom Recht nicht gedeckten Befehl zum Abschuss einer von Terroristen entführten Maschine ausführten, warnte Gertz. Bundeswehrverband und Jetpiloten hatten die Abfangjäger am Montag zur Befehlsverweigerung aufgerufen, falls Jung den Feuerbefehl geben sollte.

Nach einem Bericht der "Leipziger Volkszeitung" hat das Verteidigungsministerium schon jetzt dafür gesorgt, dass keiner der zuständigen Militärpiloten einen Befehl zu einem solchen Abschuss verweigern würde. Als Piloten für die Alarmrotten zur Luftraum- Überwachung kämen nur Offiziere zum Einsatz, "die im Fall eines übergesetzlichen Notstandes zur hundertprozentigen Befehlsausübung bereit sind", sagte ein deutscher Offizier aus einer der für Deutschland zuständigen NATO-Luftverteidigungseinsatzzentralen. Eine Befehlsverweigerung sei damit "nicht vorstellbar".

Nach einem Bericht der "Passauer Neue Presse" will die CDU-Führung in den kommenden Monaten verstärkt auf das Thema Innere Sicherheit setzen. Parteivize Roland Koch habe am Montag im CDU- Präsidium gefordert, die Partei dürfe sich das Thema nicht mehr aus der Hand nehmen lassen, berichtet die Zeitung unter Berufung auf Teilnehmerkreise. Koch und andere CDU-Spitzen hätten Jungs Äußerungen verteidigt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe die Kritik von SPD und Opposition an Jung zurückgewiesen.

FDP-Chef Guido Westerwelle warf der Union eine "parteipolitisch motivierte Kampagne" in der Sicherheitspolitik vor. Sie wolle mit immer neuen Vorschlägen "ein solches Maß an Verunsicherung in der Bevölkerung streuen, dass man die politischen Daueranliegen der Union durchsetzen kann", sagte Westerwelle am Montagabend im Sender N24. Der Grünen-Rechtspolitiker Jerzy Montag sagte der "Thüringer Allgemeinen" , Jungs Vorstoß reihe sich in eine Vielzahl von Äußerungen Schäubles ein. Merkel habe die Aufgabe, bei einer solchen zentralen Frage "das Ruder in die Hand zu nehmen und den Minister auf die Verfassungslinie zu bringen, oder zu entlassen".

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