Abhöraffäre "Sind Sie Sam?"

stern-Reporter gerieten ins Visier allzu neugieriger Ermittler. Eine Abhöraffäre, die eine neue Debatte um den Schutz von Quellen auslöst.

Der Protest kannte keine Partei grenzen, er kam von der Opposition wie aus dem Regierungslager. Für Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) war es "ein ganz großer Skandal". Der SPD-Innenexperte Sebastian Edathy meldete sich ebenso mit Kritik zu Wort wie Siegfried Kauder (CDU), der Vorsitzende des Geheimdienst-Untersuchungsausschusses in Berlin.

Zielscheibe der Angriffe war die Staatsanwaltschaft in München. Die hatte von Januar bis Juni alle Telefone von Manfred Gnjidic, dem Rechtsanwalt des Neu-Ulmer CIA-Entführungsopfers Khaled el-Masri, überwachen lassen. Angeblich sollte der Lauschangriff Anrufe "aus dem Kreis der für die Straftaten verantwortlichen Personen" auffangen, so hat es die bayerische Justizmi-nisterin Beate Merk jedenfalls bisher behauptet. Doch vergangene Woche enthüllten die "Süddeutsche Zeitung" und der stern, dass fast ausschließlich Journalisten von der Abhöraktion betroffen waren - vor allem zwei Redakteure des stern.

Von den fünf Telefonaten des Anwalts, die die Ermittler nicht nur aufzeichneten, sondern auch zu den Akten nahmen, waren drei mit stern-Reportern geführt worden. Außerdem ist ein Telefonat zwischen el-Masri und seinem Anwalt, sowie ein Anruf und eine SMS von ZDF-Journalisten protokolliert worden. Die abgehörten Anrufer waren also nicht irgendwelche Kidnapper, sondern im Gegenteil Reporter, die in dem Entführungsfall recherchierten.

Als Katja Gloger, stern-Korrespondentin in Washington, und der Berliner stern-Reporter Hans-Martin Tillack im März mit Gnjidic sprachen, verfolgten sie die Spur eines verdächtigen CIA-Mannes - des ehemaligen Hamburger US-Konsuls Thomas V.

In geheimen Dokumenten hatten die stern-Redakteure Belege dafür gefunden, dass deutsche Sicherheitsbehörden ihn verdächtigten, unter dem Namen "Sam" el-Masri in Afghanistan vernommen zu haben. Tillack recherchierte in einer US-Datenbank die Privatadresse von Thomas V. in McLean, nicht weit vom CIA-Hauptquartier in Virginia. Gloger klingelte eines Samstagmorgens an der Haustür des mutmaßlichen Geheimdienstlers und fragte ihn: "Sind Sie Sam?" Anschließend sprach sie mit Gnjidic, um ein Interview mit el-Masri zu arrangieren.

Für den CIA-Mann Thomas V. interessierten sich freilich auch der Münchner Staatsanwalt Martin Hofmann und seine Ermittler vom Polizeipräsidium Schwaben. Sie wollten offenkundig nicht warten, bis der stern Ende April über seine Recherchen zum Thema "Sam" berichtete. Stattdessen nutzten sie die Journalisten als Hilfssheriffs wider Willen und hörten ihre Gespräche mit dem Opfer-Anwalt ab.

Zu allem Überfluss unterfütterten die bayerischen Behörden die Lauschattacke mit einer Begründung, die in Zukunft dazu führen könnte, dass Journalisten "jederzeit" abgehört werden können - so fürchtet jedenfalls Gnjidics-Anwalt Thilo Pfordte. Gnjidic war als sogenannter Nachrichtenmittler belauscht worden. Dieser Begriff passe auch auf recherchierende Reporter, warnte Pfordte im Text einer Verfassungsbeschwerde, die er im September einreichte. Es wäre "geradezu katastrophal", so der Jurist, wenn ein Journalist ständig "mit der Überwachung seiner Telefonanschlüsse rechnen müsste" - weil ja immer irgendein potenzieller Straftäter in der Leitung sein könne. Der Schutz journalistischer Quellen - ein Grundprinzip westlicher Demokratien - wäre damit ausgehebelt.

Auch der stern prüft rechtliche Schritte gegen die Methoden der Ermittler, um klarzumachen, dass das Magazin die Vertraulichkeit der eigenen Recherchearbeit entschlossen verteidigt. Politiker aller Parteien sehen die Bedrohungslage ganz ähnlich: FDP und Grüne verlangten bereits, die Abhörwut der Behörden per Gesetz zu beschneiden. Selbst Justizministerin Brigitte Zypries hat schon angekündigt, den Schutz von Journalisten zu verbessern.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nur der Münchner Staatsanwaltschaft fehlt weiter jedes Unrechtsbewusstsein. Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld behauptete treuherzig, man habe ja "nicht vorher" wissen können, "wer da anruft". Dabei tat er so, als ob die Journalisten nur zufällig bespitzelt worden wären - obwohl seine Mitarbeiter fast ausschließlich deren Anrufe zu den Akten nahmen.

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Jan Boris Wintzenburg