Die Ampel-Koalition tut sich weiter schwer mit einer gemeinsamen Linie bei der möglichen Lieferung der Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine. Und das, obwohl die Koalitionsfraktionen an diesem Donnerstag einen gemeinsamen Antrag zur weiteren Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine in den Bundestag einbringen wollen. Kiew hatte bereits im Mai die offizielle Bitte nach einer Lieferung der Marschflugkörper mit einer hohen Treffsicherheit und einer Reichweite von 500 Kilometern an die Bundesregierung gerichtet.
In der Vorlage der drei Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen und FDP für den Bundestagsantrag wird "die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition" gefordert. Damit solle die Ukraine in die Lage versetzt werden, "völkerrechtskonforme, gezielte Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors zu ermöglichen".
Das sagt die deutsche Presse zum neuesten Ampel-Streit:
"Was anderes als Taurus sollte mit 'zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen' gemeint sein?"
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Anders als in früheren Fällen von zögerlicher Bereitstellung dringend benötigter Waffen steht das Kanzleramt im Streit um Taurus-Marschflugkörper bald auf verlorenem Posten. (…) Die SPD konnte zwar das Wort 'Taurus' in einem (…) Akt von Haarspalterei aus einem gemeinsamen Antrag mit FDP und Grünen im Bundestag fernhalten, doch was anderes als Taurus sollte mit 'zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen' gemeint sein, mit denen die Ukraine 'völkerrechtskonforme, gezielte Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors' ausführen könnte? (…) Wie auch immer die Abstimmungen ausgehen (…), danach steht der Kanzler gegen die (…) breite Mitte des Parlaments. (…) Die deutschen Irrungen und Wirrungen im Taurus-Theater – der Ukraine nutzen sie allesamt (…) wenig."
"Münchner Merkur": "Ist das eine Regierung oder nur noch die Karikatur davon? In atemberaubendem Tempo zerfällt die Autorität des Kanzlers in der Ampelkoalition. Teile der FDP kündigen an, im Bundestag mit der Union für die Taurus-Lieferung an Kiew zu stimmen. Ein unerhörter Vorgang und Affront gegen Olaf Scholz. Zugleich blockieren die Grünen das mit SPD und FDP vereinbarte Bundesgesetz zur Bezahlkarte für Asylbewerber. Und SPD-Fraktionschef Mützenich brüskiert den eigenen Kanzler und die FDP, indem er die von beiden abgelehnte Aufhebung der Schuldenbremse auf die Tagesordnung setzt. Egal ob Asyl, Etat, Verteidigung oder Wirtschaft, überall herrscht Zerrüttung. Während nebenan in Europa ein Krieg tobt und die Wirtschaft abschmiert, wird das Chaos in der Regierung zum Risiko für Sicherheit und Wohlstand. Der Kanzler steht vor den Trümmern seiner Politik – und bald vermutlich auch seiner Regierung."
"Augsburger Allgemeine": "Tatsächlich baut die Forderung der Abgeordneten dem Regierungschef die nötige Brücke zu einer Entscheidung, die er lange abgelehnt hat: der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Scholz zögert bislang, Kiew die hochpräzisen Raketen mit der großen Reichweite zu überlassen. Er fürchtet, ihr möglicher Einsatz gegen Ziele auf russischem Gebiet könnte Putin als Überschreiten einer roten Linie werten. Doch inzwischen zeigt sich, dass es ein Fehler des Westens war, die Ukraine gegen den Aggressor nicht noch umfassender zu unterstützen. Wird Putin dort nicht gestoppt, könnten weitere Länder Ziel seiner imperialistischen Gelüste werden."
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"Scholz hat jetzt lange genug gezögert"
"Nürnberger Zeitung": "Schatten-Verteidigungsministerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann droht, einem ähnlichen Unions-Antrag zuzustimmen, in dem das T-Wort steht. Ob das sein muss? Wohlwollend lässt sich sagen, dass beide Anträge ein Schritt in die richtige Richtung sind, da die russischen Streitkräfte im Stellungskrieg an der Front offenbar dank funktionierender Nachschubwege immer mehr Erfolge erzielen. Deshalb müssen diese Wege gestört werden, denn Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Scholz hat jetzt lange genug gezögert."
"Pforzheimer Zeitung": "Der Antrag aus den Ampel-Fraktionen, die Unterstützung der Ukraine noch einmal deutlich auszuweiten, ist auf den ersten Blick peinlich für Olaf Scholz. Er lässt den Bundeskanzler wirken wie den sprichwörtlichen Hund, der zum Jagen getragen werden muss. Doch tatsächlich baut die Forderung der Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP dem Regierungschef die nötige Brücke zu einer Entscheidung, die er lange abgelehnt hat: der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Scholz fürchtet offenbar, ihr möglicher Einsatz gegen Ziele auf russischem Gebiet könnte Putin als Überschreiten einer roten Linie werten, Deutschland aus russischer Sicht zur Kriegspartei machen. Doch wird Putin in der Ukraine nicht gestoppt, könnten weitere Länder Ziel seiner imperialistischen Gelüste werden."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Märkische Oderzeitung": "Mit ihrem Antrag für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine versuchen die Ampel-Fraktionen einen lange geführten Streit, insbesondere mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), in vernünftige Bahnen zu lenken. Während Scholz bremst, wollen einige Abgeordnete viel mehr, der Rest positioniert sich irgendwo dazwischen. Und so findet sogar das Dauerthema Marschflugkörper Taurus Eingang in den Antrag, ohne dass der Name des Systems ausdrücklich genannt wird. Das lässt Scholz immer noch eine Hintertüre offen, etwa den eines Ringtauschs, bei dem Deutschland Taurus an Frankreich und Großbritannien liefert und die beiden Länder ihre Marschflugkörper an die Ukraine."
"Voll auf Risiko zu setzen, wäre fatal"
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Doch wofür? Damit die Krim und die anderen besetzten Gebiete wieder von den Russen befreit werden? Es gibt in Berlin Strategen, die daran glauben. So wie der ukrainische Präsident. Das wäre ja auch wünschenswert. Doch das ist ein Irrglaube, wie die jüngsten Erfolge der russischen Armee zeigen. Schon jetzt mangelt es an ukrainischen Soldaten. Zu hoch sind die Verluste. Zudem hat Putin sein Land auf Kriegswirtschaft umgestellt. Der Westen sollte daher endlich begreifen, dass schon viel gewonnen wäre, wenn die Ukraine diesen Abnutzungskrieg nicht verliert. Voll auf Risiko zu setzen, wäre fatal."
"Badische Zeitung": "Das Zögern beim Taurus aber wirkt befremdlich. (…) Dass die Ukraine damit russisches Territorium angreift, kann man ausschließen. Kiew ist auf weitere Hilfe angewiesen. Aber es geht in der Taurus-Frage eben längst um Innenpolitik. Die SPD und ihr Kanzler müssten einlenken, was gesichtswahrend wohl nur geht, wenn die USA ähnliche Waffen liefern. (…) Die FDP wiederum will die Abstimmung im Bundestag für eine Demonstration ihres Ampelfrusts nutzen, ihre Europa-Spitzenkandidatin mit der Union für Taurus-Lieferungen stimmen. Eine Koalitionskrise aber nützt der Ukraine auch nichts."