Jetzt, da der erste Pulverdampf verraucht ist, lohnt es sich, das Schlachtfeld mal etwas genauer zu inspizieren und zu untersuchen, was noch übrig geblieben ist von der einstmals so stolzen Union aus Christdemokraten und Christsozialen. Das hat man ja selten, dass man an einem politischen Gemetzel in einem eigentlich vertraulich tagenden Gremium wie dem CDU-Bundesvorstand praktisch als Ohrenzeuge teilnehmen kann. Nahezu jede Wortmeldung der Teilnehmer wurde nach draußen kolportiert und über die (sozialen) Medien sozusagen mundwarm weiterverbreitet, inklusive des verzweifelten Zwischenrufs von Wolfgang Schäuble ziemlich am Ende der vielstündigen Nachtsitzung: "Es geht alles schief."
Ging's dann doch nicht. Aber weit entfernt davon war es nicht. Und war es auch Irrsinn, es hatte zumindest hohen Unterhaltungswert. Am Ende hatte die Veranstaltung, die zu den kuriosesten politischen Sitzungen der jüngeren Vergangenheit gezählt werden darf, sogar so etwas wie einen Sieger. Armin Laschet darf die Union also als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führen. Hohe Wetten hätte man zwischenzeitlich nicht mehr darauf abgeschlossen.
Berlin³
In unserer Kolumne Berlin³ schreiben abwechselnd die drei Berliner stern-Redakteure Axel Vornbäumen, Andreas Hoidn-Borchers und Tilman Gerwien zu aktuellen (innen)politischen Themen.
In besseren Zeiten für die CDU wäre es eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass der Parteivorsitzende diese Aufgabe für sich beansprucht – und keiner muckt dagegen auf. Dass Laschet diesen Anspruch eine Woche lang mit Klauen und Zähnen und einer unfassbaren Fähigkeit, Schlag um Schlag wegzustecken – selbst in Regionen, wo es besonders schmerzt –, verteidigen musste, spricht allein Bände für den Zustand des Bündnisses aus CDU und CSU, den man nur ungern noch als Union bezeichnen möchte.
Armin Laschet hat eine Dickfelligkeit bewiesen, die man nur bewundern kann
Immerhin: Laschet hat, soviel man weiß (und man weiß eigentlich alles aus diesem Treffen), nicht mit seinem Rücktritt als CDU-Chef drohen müssen, um am Ende noch zu bekommen, was er wollte und was ihm qua Amt normalerweise zugestanden hätte. Er musste nicht damit drohen, weil ohnehin jeder wusste, dass ein Rücktritt die unausweichliche Konsequenz gewesen wäre. Auch deshalb beugten sich die Vorständler seinem Drängen nach einer Abstimmung noch in der Nacht.
Es war quasi Laschets letzte Chance, sich gegen Markus Söder zu behaupten, der die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur in die Hände der CDU gelegt hatte, wohl wissend, dass alles andere einen kaum noch zu kittenden Riss zwischen den beiden Schwesterparteien hervorgerufen hätte. Danach wäre er zwar Kandidat geworden, aber ein Kandidat ohne Chancen. Dann doch lieber Laschet. So gesehen ist Armin Laschet der Kanzlerkandidat von Markus Söders Gnaden. Allerdings nur auf den ersten Blick.
31 Stimmen erhielt Laschet bei der Abstimmung im Bundesvorstand. 15 verweigerten ihm die Stimme, ein Drittel. Und von jenen, die ihn gewählt haben, dürften etliche mit erheblichen Bauchgrimmen auf den Ja-Button gedrückt haben. Sie wollten eigentlich lieber Söder, aber sie wollten auch nicht die Union in die Luft sprengen. Laschet schleppt sich als ziemlich geschundener Sieger vom Schlachtfeld – und einige der Landesvorsitzenden, die ihn gegen den ausdrücklichen Wunsch ihrer Parteibasis gekürt haben, dürften sich von den Parteifreunden daheim noch Deftiges anhören müssen. Ohne Blessuren ist kaum jemand aus dieser Sitzung gekommen.
Laschet kann das allerdings ziemlich egal sein. Bis zur Wahl ist noch ausreichend Zeit, die Wunden zu heilen. Und der große Verlierer dieser Woche mit dem Zeug zum Legendären sitzt in Bayern. Markus Söder hatte die Chance auf die Kanzlerkandidatur, die sich einem CSU-Vorsitzende maximal alle 20 Jahre bietet, am Schluss vergeben. Eigentlich gilt Söder als Mann, der nur gut kalkulierbare Risiken eingeht. Laschet schien schwach, ein leicht bezwingbarer Gegner. Möglicherweise hat der bayerische Ministerpräsident zwei Dinge falsch eingeschätzt: das Ehrgefühl vor allem der alten CDU-Garde, die die Führungsrolle nicht so mir nichts, dir nichts an die CSU abtreten mochte. Und, vor allem, Armin Laschets extrem ausgeprägtes Vermögen, mit rheinischer Grundfröhlichkeit einfach auf stur zu stellen.

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Armin Laschet hat eine Dickfelligkeit bewiesen, die man nur bewundern kann. Mich mag keiner? Macht nichts, sie werden lernen, mich zu mögen. Laschet wich nicht, womöglich wankte er nicht mal. Und Söder blieb am Ende nur noch aufzuzählen, dass eigentlich alle für ihn waren, die Ministerpräsidenten, die Jungen und Modernen, die Basis. Als "Kandidaten der Herzen" ließ er sich von seinem Generalsekretär parfümieren. Mit Anstand verlieren ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. Aber vielleicht ist Robert Habeck ja für eine kleine Nachhilfelektion zu haben… Oder Armin Laschet.
Weiter, immer weiter
Armin Laschet hat in seinem politischen Leben schon eine Menge Niederlage eingesteckt. Er hat in NRW bei einer Mitgliederbefragung um den Landesvorsitz gegen Norbert Röttgen verloren. Er war im Kampf um den Fraktionsvorsitz im Düsseldorfer Landtag Karl-Josef Laumann unterlegen. Er machte weiter, immer weiter. Er wurde Landesvorsitzender, Fraktionsvorsitzender. Ministerpräsident. Als es um den CDU-Bundesvorsitz ging, galt Friedrich Merz als unschlagbarer Favorit.
Merz bewirbt sich heute um ein Mandat im Bundestag, Armin Laschet um die Kanzlerschaft.

Auf der mittlerweile doch beeindruckenden Strecke jener, deren Ambitionen Laschet on the long run zunichte gemacht hat, liegt nun zu dessen eigener großen Überraschung auch Markus Söder. Wahrscheinlich steht Laschet abends daheim vorm Spiegel in seinem Häuschen in Burscheid und singt vergnügt vor sich hin: Piff, paff, die Wutz ist tot, die Wutz ist tot…
60 Jahre alt ist Armin Laschet inzwischen. In all den Jahren ist er immer wieder unterschätzt worden. Das war zusammen mit seinem unbändigen politischen Überlebenswillen sein größtes Pfund. Er hat damit gelebt – und überlebt. Seine Gegner sollten langsam aufhören, ihn zu unterschätzen. Oder sie können schon mal üben, wie sich das anhört: Bundeskanzler Laschet.