Die Grünen erklärten gestern, die Tradition einer Frau im Kanzleramt fortsetzen zu wollen. Und die Union – irgendwie auch.
Es entbehrt ja nicht einer gewissen Komik, dass an einem Montagabend zur Primetime eine Kanzlerkandidatin der Grünen im freshen Hafermilchkanal ProSieben spricht, während gleichzeitig der einstige Kanzlerwahlverein CDU sein Restansehen zerrangelt. Nicht, dass die Christdemokraten jenseits des Fliesentisches nicht auch Thema gewesen wären. Unter anderem bei "hart aber fair", und kein Sendungstitel könnte der Situation weniger entsprechen als dieser.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Laschet gegen Söder: Führungsfrage ist geklärt
War es doch der (noch amtierende) Parteivorsitzende der CDU, der unlängst seinen Widersacher in die Nähe von Donald Trump rückte mit dem Satz: "Wir haben u.a. aus den USA gelernt, dass polarisierte Wahlkämpfe der Demokratie schaden. Wir als CDU werden mit den Grünen einen fairen Wahlkampf führen." Mit den Grünen möglicherweise. Nur mit sich selbst, da springt die autoaggressive Partei wenig zimperlich um. Söder, der Brezn-Trump? Vergleichsweise uncharmante Charakteranalyse von jemandem kommend, von dem Markus Söder noch sagte, dass "der Armin und ich freundschaftlich" die Führungsfrage klären wollen.
Diese Ansage war dann eine der weniger gelungenen schauspielerischen Darbietungen von Captain Bavaria. Das Miteinander ist nunmehr auf einem Level von "freundschaftlich" angekommen, in dem Menschen von hinten in den Ring gestürmt kommen und einem der beiden Kombattanten einen Klappstuhl in den Rücken hauen. Oder Messer. Das können Sie halten, wie Sie wollen. Verkehrte Welt: Der Kanzlerinnenwahlverein, das sind jetzt die Grünen. Die Farbbeutel fliegen jetzt, zumindest verbal, bei den Schwarzen.
Fränkischer "Daddy" gegen drolligen Aachener
Der ist Team Söder, die ist Team Laschet, da wiederum meldet sich die Junge Union, dann wieder ein Ministerpräsident, der verlässlich ahnungslose Wirtschaftsminister weiß zumindest noch, für welchen Kandidaten er ist, und eigentlich scheint klar: Es kann sich kaum jemand von den hervorragenden Umfragewerten für den fränkischen "Daddy" lösen, muss sich aber eigentlich für den drolligen Aachener entscheiden. Immerhin hat man ebendiesen jüngst zum Parteivorsitzenden ernannt, um ihn, naja, jetzt für nicht gut genug zum Kanzlerkandidaten zu erklären? So als Anti-Scholz?
Für die sehnsuchtsvoll auf die Zahlen schielenden Unionspolitiker tut sich eine Weggabelung auf: Wollen wir einen aussichtsreichen Kanzlerkandidaten stellen – oder den Parteivorsitzenden behalten? Nackte Panik allerorten. Hier geht es ja schließlich auch um Mandate. Geordnet und anständig absaufen will man ja auch nicht. Und ist dieser Söder nicht wirklich auch ein toller Hecht?
Nun ist es natürlich absoluter Unsinn, zu glauben, man könne im April auch nur halbwegs verlässliche Prognosen für den September machen. Da reichen zwei Worte als Gegenthese: Jens Spahn. Im Grunde genommen war der Fall klar: Laschet ist Vorsitzender der Partei und somit auch der natürliche Kanzlerkandidat. Sicher, Markus Söder hatte pandemiegepusht Umfragewerte irgendwo zwischen iPhone 12 und Weber-Grill, aber betonte der nicht ca. 23.452 mal, "mein Platz ist in Bayern"? Aber diese ullbrichtige Stanze stammt ja auch von dem Mann, der gleichermaßen zu Protokoll gab, dass er als Kanzlerkandidat zur Verfügung stünde, sofern die CDU das wolle.
Der eigentliche Maskenskandal war der Moment, als Söder seine fallen ließ
Deren Vorstand entschied sich vor einer Woche für Laschet – und anstatt dieses Votum als ausreichend zu betrachten, lässt der christsoziale Supermanspreader unablässig aus- und nachzählen, wo wie viele in welchem Gremium eben doch für ihn als Spitzenkandidat sind. Dumm für Laschet: Es sind nicht eben wenige. Um es ein wenig theatralisch auszudrücken: Der eigentliche Maskenskandal war der Moment, als Söder seine fallen ließ. Er ist doch so ein Baumumarmer – wieso will er den Bonsai Laschet fällen? Wobei, so überraschend, dass sich der joviale SichindenDienstderSachesteller dann doch als knallharter Machtpolitiker herausstellt, der auf Umfragehochs reagiert wie ein bayerischer Löwe auf ein blutiges Kotelett, ist das dann auch wieder nicht.
Nein, ein Habeck ist er nicht, der Söder. Er ist keiner, der sich den Schmerz zufügen mag, andere in die erste Reihe zu stellen. Mehr schon der Che Bavaria mit einem Hauch putschistischer Grundverfasstheit. Und weil Armin Laschet seinerseits auch nicht auf seine Chance auf die Kanzlerschaft verzichten mag, garten sich die Christdemokraten nun solange selbst durch, bis sie sich zerfleddern können wie pulled Beef. Monday bloody Monday.
Man zerlegte sich und votierte sich wund
In einer digitalen Sondersitzung des CDU-Vorstands hatten in der Nacht zum Dienstag 31 von 46 stimmberechtigten Vorstandsmitgliedern in geheimer Wahl für Laschet als Kanzlerkandidaten plädiert. 9 stimmten für Söder, 6 enthielten sich. Feiges Pack. Das Ganze zog sich, dass mehrere Mitglieder gute Chancen hatten, während der Prozedur in Impfgruppe 1 aufzurücken. Man zerlegte sich, votierte sich wund, stellte ganz nebenbei fest, dass Digitalisierung abseits von Zetteln oder Faxgeräten in Deutschland gar nicht so wirklich funktioniert. Dazwischen ein tobender Wolfgang Schäuble, eine brüllend leise Angela Merkel und ernüchterte CDU-Ministerpräsidenten, die sich mit einem Spitzenkandidaten Laschet freundlich winkend untergehen sehen. Es war die Nacht der langen Gesichter und stumpfen Messer, an deren Ende nun der zerknirschte Antagonist aus Bayern das Votum annehmen muss. Die CDU hat praktisch den Kürzeren gezogen. Eines, wohlgemerkt, das vor ziemlich genau einer Woche auch schon klar war.
Man hatte lediglich die Chance genutzt, den eigenen Parteivorsitzenden ausreichend zu beschädigen, um ihn dann in bester sozialdemokratischer Manier beim Volke anzupreisen: "Wir sind auch nicht überzeugt, nehmt ihr ihn doch!" 77 Prozent pro Laschet. Ein Triumph sieht anders aus. Aber nach dieser Nacht hat er zumindest nicht den Vorstand verloren. Und Söder wird fortan in diesem Wahlkampf einen Logenplatz haben, um mit selbstgefälliger Miene auf das Geschehen zu blicken und zu sagen "Schaunsie, mit mir wärs ned schlechter gelaufen."
Wenn die Blicke nicht ohnehin schon sehnsuchtsvoll in seine Richtung schweifen. Nun beruft man sich auf die geschwisterliche Geschlossenheit, und man kommt nicht umhin an die Kardashians zu denken. Oder Kain und Abel. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass die CDU sich erstmal von dem Schock binnendemokratischer Vorgänge erholen muss, ausgerechnet die Grünen ihnen zeigen, wie Geschlossenheit geht – und Politiker inmitten einer Pandemie sehr wohl in der Lage sind, eifrig und engagiert nach Lösungen zu suchen – es muss nur um sie selber gehen.
Irgendwie auch bitter.