Die letzte Chance gab's am Freitagabend um 23.59 Uhr. Um Punkt Mitternacht schloss das Kurt-Schumacher-Haus der SPD im Berliner Wedding. Nur Stimmzettel, die bis dahin in der Zentrale des Landesverbandes in der Hauptstadt eingetroffen sind, werden gezählt.
Rund 19.000 Sozialdemokraten waren in den vergangenen Wochen aufgefordert, ihr Votum abzugeben: Soll die SPD in den kommenden drei Jahren als Juniorpartner mit der CDU in Berlin regieren? Ja oder nein?
Berliner SPD stimmt über Koalition mit der CDU ab
Ab Sonntag werden die Stimmen ausgezählt, am selben Tag oder spätestens am Montag soll das Ergebnis der Mitgliederbefragung bekanntgegeben werden. Der Parteitag der Berlin-CDU stimmt am Montag über den ausgehandelten Koalitionsvertrag ab. Stimmen beide Parteien zu, soll das Bündnis am Mittwoch per Unterschrift klargemacht werden. Ausgemachte Sache, das zeigen die jüngsten Debatten, ist das vor allem in der SPD noch lange nicht. Eine seriöse Prognose zum Votum der Mitglieder wagte bis zum Schluss niemand.
Gegen das geplante Bündnis mit der CDU gibt es erheblichen Widerstand in mehreren Kreisverbänden, bei der SPD-Jugendorganisation Jusos und bei Gewerkschaften. Unter anderem wegen der geplanten Ausweitung polizeilicher Überwachung und einer autozentrierten Verkehrspolitik wird der Vertrag kritisiert. Dieser schneide der SPD den Atem ab, sagte die Juso-Landesvorsitzende Sinem Taşan-Funke der Nachrichtenagentur DPA.
Aber was, wenn die Genossinnen und Genossen ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag mehrheitlich verweigern? Dann steuern sowohl die Berliner Landespolitik als auch die Hauptstadt-SPD mit Noch-Bürgermeisterin Franziska Giffey auf unruhige Zeiten zu – es gäbe viele Verlierer, aber auch einige lachende Gewinner.
Mögliche Verlierer
- Die Berliner Landespolitik: Der bisherige rot-grün-rote Senat bliebe vorerst im Amt – mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey. Bis wann eine neue Regierung nach einer Wahl in der Hauptstadt stehen muss, schreibt die Berliner Landesverfassung nicht vor. Es droht aber weiterer Stillstand in der Berliner Landespolitik. Umstrittene Entscheidungen würden voraussichtlich überhaupt nicht mehr gefällt werden, die Metropole würde weitere Wochen oder Monate nur verwaltet, nicht gestaltet.
- Franziska Giffey: Auch wenn sie bei einem Scheitern des Koalitionsvertrages zunächst im Amt bliebe, dürfte ihr politisches Schicksal bei einem Nein vorerst besiegelt sein. Die aktuell noch Vorsitzende der Berlin-SPD hatte sich vehement für Schwarz-Rot ausgesprochen, zugleich aber auch das desaströse Abschneiden ihrer Partei bei der wiederholten Abgeordnetenhauswahl zu verantworten. Folgten ihr die Mitglieder nicht, dürfte sie nicht nur den Posten im Roten Rathaus, sondern auch den an der Spitze ihres Landesverbandes los sein. "Im Falle einer Ablehnung dürfte in der Partei kaum ein Stein auf dem anderen bleiben", analysierte der Berliner "Tagesspiegel".
- Kai Wegner: Der Chef der Berlin-CDU müsste seinen Traum vom Amt des Regierenden Bürgermeisters begraben: Sagt die SPD nein, stünde er blank da. Ein anderer Koalitionspartner für die Christdemokraten steht nicht bereit. Wegner müsste sich wieder mit der Rolle des Oppositionsführers im Abgeordnetenhaus begnügen – trotz eines für ihn und seine Partei sehr guten Wahlergebnisses.
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Mögliche Gewinner
- SPD-Basis: Ein Nein zu einem Koalitionsvertrag mit der CDU wäre ein Triumph für die (linke) Basis der Berlin-SPD gegenüber der Parteiführung. Sie könnte durch eine Ablehnung Einfluss in der Partei gewinnen, die sich dann neu sortieren müsste – und sogar auf eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot hoffen.
- Grüne und Linke: Da die AfD als senatstragende Fraktion von allen anderen Parteien ausgeschlossen wird, blieben bei einem Scheitern des schwarz-roten Koalitionsvertrages noch zwei (theoretische) Optionen: Eine Fortführung der SPD-Grünen-Linken-Koalition oder ein Bündnis von CDU und Grünen. Letzteres gilt als unwahrscheinlich, da die Grünen – ebenso wie die Linken – bereits deutlich gemacht haben, dass sie Rot-Grün-Rot am liebsten fortsetzen möchten. Inhaltlich sind sich die drei Parteien ohnehin näher als CDU und SPD. Grüne und Linke könnten mit einer geschwächten SPD an ihrer Seite gewichtige Ziele ihrer Politik durchsetzen.
- Kevin Kühnert: Der Generalsekretär der Bundes-SPD könnte als der strahlende Sieger aus dem möglichen Scherbenhaufen hervorgehen – wenn er es denn wollte. Schon seit längerem wird in der Berliner Landespolitik mehr oder weniger offen darüber gesprochen, dass im Falle eines Neins Kevin Kühnert die Lücke ausfüllen könnte, die Giffey hinterlassen würde, im Berliner Landesverband und womöglich auch im Roten Rathaus – vor allem Parteilinke würden dies begrüßen. Ob er sich aber tatsächlich aus der Bundes- in die Landespolitik verabschieden würde, ist alles andere als sicher. Entsprechende Gerüchte kommentierte Kühnert vor einiger Zeit in der "Bild"-Zeitung mit: "Quark."
Bei der SPD-Mitgliederabstimmung steht viel auf dem Spiel, für alle Beteiligten. Die Stimmzettel liegen in verplombten Urnen im Kurt-Schumacher-Haus zur Auszählung bereit. Fest stand zumindest am Freitagvormittag schon: Das Votum der SPD-Mitglieder wird bindend sein, denn das notwendige Quorum von 20 Prozent der Stimmberechtigten wurde schon bis dahin mit 62 Prozent deutlich übertroffen. Die Spitze der Berlin-SPD wird sich an das Ergebnis halten müssen – mit all seinen Folgen.

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Quellen: SPD Berlin, Koalitionsvertrag, "Tagesspiegel" (kostenpflichtiger Inhalt), "Bild"-Zeitung, Nachrichtenagentur DPA