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Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin Tschüss, "Wowi"!

Heute ist letzter Arbeitstag für Klaus Wowereit. Mehr als 13 Jahre hat er Berlin regiert. Er hatte seinen Spaß dabei - und die Berliner auch. Ein Nachruf.
Von Tilman Gerwien

Dieser Mann ist, das muss man ihm lassen, in die Dimensionen eines Helmut Kohl vorgestoßen. Dreizehneinhalb Jahre hat Klaus Wowereit Berlin regiert, der Kanzler aus Oggersheim brachte es lediglich auf zweieinhalb Jahre mehr. Man muss sich das mal klarmachen: Als Wowereit zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt wurde, standen die Türme des World Trade Centers noch. Handys waren zum Telefonieren da, nicht zum Surfen. Es ist eine halbe Ewigkeit her.

Auch sonst sind die Ähnlichkeiten zu Kohl verblüffend. Wie Kohl war Wowereit ein phänomenal guter Aussitzer, der die Aufgeregtheiten des politischen Tagesgeschäfts mit unverwüstlichem Phlegma an sich vorbeiziehen ließ. Wie der Pfälzer, so war auch Wowereit den Genüssen des Lebens sehr zugetan. Und wie Kohl, so verdankt auch Wowereit sein langes Überleben als Politiker vor allem der Fähigkeit, eine bestimmte Lebenswelt an sich zu binden.

Kohl war mit seiner Strickjacken-Gemütlichkeit die leibhaftige Bastion gegen die Moderne. Das deutsche Reihenhaus fühlt sich bis zuletzt bei ihm geborgen. Wowereit stand für das ausgeflippte Multi-Kulti-Party-Berlin. Ein Stadt-Maskottchen, aus der Metropole am Ende gar nicht mehr wegzudenken, wie Hundekacke und Brandenburger Tor.

Politik als Lebensgefühl

Schon kurz vor Amtsantritt lies er die Stadt wissen: "Ich bin schwul, und das ist auch gut so." Zwar ist die Mehrheit in Berlin augenscheinlich hetero und findet das vermutlich ebenfalls ganz gut so - aber was soll's? Der Satz wurde zu seinem Markenzeichen, wie die berühmte "Flasche Bier" von Gerhard Schröder, was einmal mehr beweist, dass es in der Politik nicht um Politik geht, sondern eher um so etwas wie ein Lebensgefühl. Zumindest dann, wenn man eine Ära prägen will.

Heute ist sein letzter Arbeitstag, wobei "Arbeit" und Wowereit zumindest für den flüchtigen Beobachter nicht unmittelbar assoziative Begriffe sind. Aber "Arbeit" gilt in Berlin ohnehin nicht als Tugend, allenfalls als lästiges Übel, das man im Zweifel auch gerne mal anderen überlässt, vorzugsweise der emsigen Verwandtschaft im Süden der Republik.

Der Flughafen wird wohl nie fertig, vor dem Hauptbahnhof sieht es zum Fremdschämen aus, die Schulen sind mies, die S-Bahn fährt andauernd nicht, die Schulden Berlins sind in Wowereits Amtszeit von 38 auf 62 Milliarden Euro gestiegen - aber all das hat "Wowi" nie geschadet, im Gegenteil. Er hat all das jahrelang an sich vorbeiziehen lassen, als habe er damit eigentlich nichts zu tun. Mit seinem unvergleichlichen "kann-man-nüscht-machen"-Charme ist er zur Identifikationsfigur einer Stadt geworden, die von der Politik am liebsten in Ruhe gelassen werden will. Soll man dahinter höhere Weisheit vermuten, Einsicht in die letztliche Unregierbarkeit dieses verrückten Gemeinwesens an der Spree - oder einfach nur: Faulheit? Wir werden es nie erfahren.

Egal: Die Stadt hat sich jedenfalls in ihm wieder erkannt, sie fühlte sich von ihm gemeint und gemocht. Das muss man erst mal hinkriegen.

Und jetzt: Müller. Aha.

Es war immer ein ganz besonderes Gefühl, von "Wowi" regiert - oder eben: nicht regiert - zu werden. Von einem Stadtoberhaupt, das am schwulen "Christopher Street Day" in knallenger Lederhose an der Siegessäule stand und mitfeierte. Von einem Bürgermeister, der seine Existenz als ewiger Kostgänger der Republik im Bundesrat (auch noch als Sitznachbar der ewig-fleißigen Musterschüler aus Bayern!) stets mit einer gewissen Würde ertragen und zum Abschied den "Sponsoren" aus dem Süden auch noch charmant gedankt hat. Von einem Mann, der immer nach durchgemachten Nächten aussah: müde der Blick, aber lebenslustig die Augen.

Jetzt kommen harte Zeiten. Jetzt kommt einer ins Rote Rathaus, der heißt Michael Müller. Und der sieht auch noch so aus, wie er heißt.

"Mir hat es Spaß gemacht", hat Klaus Wowereit im Rückblick auf seine Amtszeit mitgeteilt. Politik und Spaß - auch das hatten wir Stadtbewohner eigentlich nicht so unmittelbar miteinander in Verbindung gebracht. Aber, wenn "Spaß" für ihn nun mal ganz offensichtlich die entscheidende Kategorie politischen Handelns war, dann können wir gerne erwidern: Uns hat es auch Spaß gemacht. Jedenfalls meistens. Also: Tschüss, "Wowi"!

Tilman Gerwien (50) lebt in Berlin, leidet an Berlin und liebt Berlin - seit 1999. An die Zeit vor Klaus Wowereits Regentschaft kann er sich kaum noch erinnern.

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