Bleiberecht Koalition streitet um Einigung

Der Kompromiss war gefunden, die Frage des Bleiberechts für Ausländer schien gelöst. Doch nun kritisieren CDU-Politiker die Entscheidung der Innenministerkonferenz und wirft Innenminister Schäuble vor, fern der Praxis zu sein.

Der Koalitionskompromiss zum Bleiberecht für langjährig geduldete Ausländer hat einen heftigen Streit in der Union ausgelöst. Mehrere unionsregierte Bundesländer wollen die Einigung nicht mittragen. Auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) hielt ein Scheitern der geplanten Regelung noch für denkbar. Dagegen begrüßte Bundestags-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) den Kompromiss, auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) warb dafür. Die SPD warnte eindringlich davor, die Vereinbarung in Frage zu stellen.

Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sagte der "Netzeitung" und der "Neuen Presse": "Dieser Kompromiss bedeutet eine Zuwanderung in die Sozialsysteme und geht damit zu Lasten der Kommunen." Die CDU habe dies zu Zeiten von Rot-Grün im Bundesrat verhindert. "Das werden wir wieder so machen." Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) widersprach seinem Parteifreund Schünemann.

Entscheidung wird erwartet

Schäuble und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) sowie Fachpolitiker beider Koalitionsfraktionen hatten sich am Dienstag auf Eckpunkte zum Bleiberecht verständigt. Auf Dauer sollen Alleinstehende in Deutschland künftig nach mindestens acht Jahren Aufenthalt bleiben dürfen, Familien mit Kindern nach sechs Jahren. Wer bleiben darf, soll sofort Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, aber auch jeden angebotenen Job annehmen müssen.

Eckpunkte des Koalitions-kompromisses

1. Ausreisepflichtige Ausländer erhalten ein Bleiberecht, wenn sie schon sechs Jahre (Familien) oder acht Jahre (Alleinstehende) in Deutschland leben ("Altfall-Regelung"). Vorgesehen ist eine zunächst auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung einschließlich einer Arbeitserlaubnis. Im Anschluss soll die Aufenthaltserlaubnis nur verlängert werden, wenn die Betroffenen ihren Lebensunterhalt "während dieser Zeit überwiegend durch legale Erwerbstätigkeit bestritten haben" und dies auch künftig zu erwarten ist.

2. Geduldete Ausländer erhalten nach vier Jahren Aufenthalt eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis. Bisher konnten sie legal nur dann eine Arbeit annehmen, wenn dafür weder ein Bundesbürger noch ein EU- Ausländer Interesse hat. Diese "Vorrangprüfung" soll künftig nach vier Jahren entfallen.

3. Der um 30 Prozent gekürzte Sozialhilfesatz für geduldete Ausländer soll künftig vier Jahre gezahlt werden. Derzeit sind es drei Jahre.

4. Nach vier Jahren wird für die Betroffenen die so genannte Residenzpflicht gelockert. Dies soll ihnen ermöglichen, sich überregional um Arbeit zu bemühen.

5. Auch beim Familien- und Ehegatten-Nachzug wird der Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse verlangt.

6. Es bleibt beim eigenständigen Aufenthaltsrecht von Ehegatten unter der "Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft."

Eine Entscheidung über den seit langem schwelenden Streit wird von der Konferenz der Innenminister aus Bund und Ländern erwartet. Sie treffen sich am Donnerstag und Freitag in Nürnberg.

Schünemann warf Schäuble Unkenntnis und Praxisferne vor. Die Einigung zeige, "dass auch beim Bundesinnenminister die Kenntnis über die Praxis vor Ort nicht sehr ausgeprägt ist", sagte Schünemann am Mittwoch im RBB-Inforadio. Das Problem sei, dass Flüchtlinge sofort ein Aufenthaltsrecht bekämen. Sollten sie keine Arbeit finden, sehe der Kompromiss eine Abschiebung vor. Das würde aber schwierig sein, weil die Betroffenen dann schon ein Aufenthaltsrecht hätten. Auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) zeigte sich skeptisch. Ob bei der Innenministerkonferenz eine Annäherung gelinge, lasse sich kaum abschätzen, sagte er der "Passauer Neuen Presse".

Dagegen sagte Schönbohm der "Rheinischen Post": "Die Kritik des Kollegen Schünemann an Wolfgang Schäuble halte ich für vollkommen unangemessen." Der Kompromiss gehe "in die richtige Richtung" und bedeute keine Entmachtung der Innenministerkonferenz.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Alle, die guten Willens sind"

Nach Darstellung Bosbachs sind zwischen Union und SPD noch wichtige Fragen offen. "Wir haben uns bislang nur über Eckpunkte für eine gesetzliche Bleiberechts-Regelung geeinigt", sagte er. Nicht endgültig geklärt seien die Voraussetzungen, nach denen man annehmen könne, dass jemand seinen Lebensunterhalt selbst verdienen kann. Den "Stuttgarter Nachrichten" sagte er: "Es gibt keine Gesamteinigung. Bundesinnen- und Bundesarbeitsministerium sind sich im entscheidenden Punkt nicht einig." Der Plan könne noch scheitern.

Schäuble sagte: "Wir haben intensiv gearbeitet in enger Rückkopplung mit den Innenministern über Monate." Er forderte: "Alle, die guten Willens sind, sollten ihre Verantwortung wahrnehmen." Auch Kauder wertete den Kompromiss als "gute Lösung, weil er die dauerhafte Aufenthaltserlaubnis an den Zugang zum Arbeitsmarkt knüpft und damit Sozialmissbrauch weitestgehend verhindern wird".

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz warnte davor, den Kompromiss in Frage zu stellen. "Ich bin stinksauer, wenn das jetzt zerredet wird", sagte er im Bayerischen Rundfunk. Auch die Innenminister von Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz, Ralf Stegner und Karl Peter Bruch (beide SPD), begrüßten den Kompromiss. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil nannte die Einigung eine stabile Grundlage, "die jetzt auch ohne Abstriche umgesetzt werden muss".

DPA
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