Debatte um neuen Satz Müssen Bürgergeld-Empfänger jetzt um die Erhöhung bangen?

Arbeitsminister Hubertus Heil.
Hubertus Heil: Der Bundesarbeitsminister hält an der Erhöhung fest.
© Thomas Trutschel / Imago Images
Union und FDP fordern, die anstehende Erhöhung beim Bürgergeld auszusetzen. Das ist faktisch gar nicht möglich – aber über den generellen Mechanismus der Anpassung ließe sich streiten. Eine Analyse.

Im Haushalt für das kommende Jahr fehlen 17 Milliarden Euro. FDP und Union fordern deshalb, auch bei den Sozialausgaben zu kürzen. Sie stören sich vor allem daran, dass die Regelsätze des Bürgergelds zu Beginn des neuen Jahres um rund 12 Prozent steigen, von 502 Euro auf 563 Euro pro Monat für eine alleinstehende Person. 

In der angespannten Haushaltslage stößt das manchen übel auf: "Es kann nicht sein, dass wir in Zeiten knapper Kassen und mit der niedrigsten Inflation seit 2021 das Bürgergeld um zwölf Prozent anheben", sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der "Bild am Sonntag". CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte im Deutschlandfunk, das Bürgergeld habe sich in den vergangenen zwei Jahren um 25 Prozent erhöht, eine solche Lohnsteigerung habe kein Arbeitnehmer bekommen. CSU-Chef Markus Söder forderte im stern-Interview: "Die Ampel muss die für Januar vorgesehene Erhöhung um ein Jahr verschieben und noch einmal völlig neu ansetzen."

Heißt das, dass sich die rund fünf Millionen Bürgergeld-Empfängerinnen und -empfänger der höheren Regelsätze doch nicht sicher sein können? Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD hat das am Dienstag ausgeschlossen: Die Menschen hätten im letzten Jahr und auch heute noch unter "sehr hohen Preisen" zu leiden, etwa für Lebensmittel und Strom. Da sie keine Rücklagen haben, seien sie darauf angewiesen, dass es eine Anpassung der Sätze gebe. "Deshalb wird sie auch stattfinden", so Heil. Die Regelsätze sollen die Ausgaben etwa für Ernährung und Kleidung, aber auch Strom decken. Zusätzlich bekommen Empfänger vom Jobcenter unter anderem die Miete und angemessene Heizkosten bezahlt.  

Aussetzung wäre nicht rechtens

Tatsächlich wäre es dem Minister rechtlich gar nicht möglich, die Erhöhung für Januar spontan auszusetzen. Denn die geht nicht auf eine willkürliche politische Entscheidung zurück, sondern auf einen Mechanismus, der sicherstellen soll, dass auch in Zeiten von steigenden Preisen das Existenzminimum der Sozialleistungsempfänger gedeckt ist. Wollte man die Erhöhung zurücknehmen, müsste man die gesetzliche Grundlage dafür ändern – das wäre im Dezember nicht mehr zu schaffen. 

Auch hätte eine solche Änderung in der aktuellen Situation bei einer Klage vor dem Verfassungsgericht wohl keinen Bestand. Karlsruhe hat in mehreren Entscheidungen in den vergangenen Jahren festgeschrieben, dass der Gesetzgeber sicherstellen muss, dass das Existenzminimum der Empfängerinnen und Empfänger jederzeit gewährleistet ist. Eine ausbleibende Erhöhung nun mit einer angespannten Haushaltslage zu begründen – wie von Union und FDP gefordert – dürfte nicht zulässig sein: "Dass man allgemein Geld sparen oder auf vermeintliche Befindlichkeiten anderer Bevölkerungsgruppen Rücksicht nehmen will, ist kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund", sagt Andrea Kießling, Professorin für Sozialrecht an der Frankfurter Goethe-Universität dem stern. 

Ist die Anpassung aktuell genug?

Ob der Anpassungsmechanismus generell – unabhängig von der jetzt anstehenden Erhöhung – der richtige ist, darüber lässt sich aber trefflich streiten. Diesen hat die Ampel erst im vergangenen Jahr neu ausgestaltet, die Union hat dem zugestimmt. Worum geht’s?  

Das grundsätzliche Verfahren, das die Höhe der Regelsätze bestimmt, wurde schon 2010 eingeführt, galt also auch schon für den Bürgergeld-Vorgänger "Hartz IV". Damals regierte eine Koalition aus Union und FDP, die Arbeitsministerin hieß Ursula von der Leyen. Grob gesagt ermittelt das Statistische Bundesamt alle fünf Jahre, was der ärmste Teil der Bevölkerung für welche Posten ausgibt. Das ist die sogenannte repräsentative Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS). Auf Grundlage dieser wird dann festgelegt, was für das Existenzminimum der Sozialleistungsempfängerinnen und -empfänger nötig ist. Manches wird abgezogen, etwa Ausgaben für Schnittblumen. Fürs Existieren seien die nicht nötig, sagt der Gesetzgeber.  

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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In den Jahren zwischen diesen Erhebungen wurden die Hartz-IV-Sätze damals und wird das Bürgergeld heute an die Entwicklung der Preise und der Löhne angepasst – die Inflation wird dabei mit 70 Prozent gewichtet, die Lohnentwicklung mit 30 Prozent. Diese Anpassung allerdings geschah in der Vergangenheit mit großem Verzug. Deshalb hat die Ampel diesen Erhöhungsmechanismus verändert: Für die Erhöhung 2024 werden nun etwa die Daten bis zum zweiten Quartal 2023 berücksichtigt. 

Ist das aktuell genug? "Das Unwohlsein mancher kommt daher, dass die nun anstehende Erhöhung auf einer hohen Inflation basiert, die bereits wieder gesunken ist", sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung dem stern. Auch wenn diese Bedenken an sich nicht gerechtfertigt seien, da die Teuerungen in den Preisen nach wie vor enthalten sind, sieht der Wirtschaftswissenschaftler Spielräume, in der Bewertung noch aktueller zu sein: "Im Moment beziehen wir die Entwicklung bis zum 30. Juni des Vorjahres mit ein, das könnte man auf Ende September ausweiten", so Weber. 

CDU-Politiker: "Erhöhung schießt über das bisherige Maß hinaus"

Um einen möglichst aktuellen Inflationsausgleich zu ermöglichen, hat die Ampel sogar eine zusätzliche Komponente eingeführt. Durch diese wird die Inflationsrate aus dem zweiten Quartal nochmals auf den Regelsatz aufgeschlagen. "Die Inflation wird also kurzfristig mehr als nur einmal einbezogen", sagt Weber. Nur ist das der richtige Weg? Daran stört sich etwa der Fachpolitiker Kai Whittaker von der CDU. "Der jetzige Mechanismus, nämlich insgesamt fünf Quartale einzubeziehen, hat keine Logik aus sich heraus", sagt der Abgeordnete dem stern. Für ihn ist es deshalb legitim, darüber zu diskutieren, wie stark das Bürgergeld erhöht werden soll: "Die geplante Erhöhung um 61 Euro schießt über das das bisherige Maß hinaus“. Er plädiert dafür, zur vor der Bürgergeld-Reform angewandten Rechtslage zurückzukehren – zusätzlich aber noch einen Notfallmechanismus einzuführen, der dann greift, wenn die Kaufkraft der Bürgergeld-Bezieher nach einer Erhöhung absinkt.

In jedem Fall gilt: Eine Änderung der Berechnung zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht nur unwahrscheinlich, schließlich dürften SPD und Grüne das mit aller Kraft verhindern wollen. Sondern sie dürfte auch nicht dazu führen, dass große Summen eingespart werden könnten – weil das Verfassungsgericht enge Grenzen zieht, was das Existenzminimum angeht. Minister Heil sieht denn auch nur einen Weg, die Ausgaben für das Bürgergeld, die sich 2023 auf mehr als 25 Milliarden Euro belaufen, zu reduzieren. "Wenn man Kosten im Bürgergeld sparen will, ist der beste Weg, Menschen in Arbeit zu bringen", sagte Heil am Dienstag. Diesen Weg habe die Regierung eingeschlagen – etwa mit dem "Jobturbo", mit welchem Geflüchtete schneller in Arbeit kommen sollen.