Bundesrat Der Lauschangriff geht weiter

Auch nach dem 1. Juli darf der Staat weiterhin Wohn- und Geschäftsräume abhören, um schwere Straftaten aufzuklären. In Bereichen wie Bürokratieabbau wurden ebenfalls Entscheidungen getroffen.

Die Polizei darf bei der Verfolgung schwerer Straftaten weiter lauschen. Buchstäblich in letzter Minute stimmte am Freitag der Bundesrat dem Vermittlungs-Kompromiss von Rot-Grün und Union zur Neuregelung der akustischen Wohnraumüberwachung zu.

Der auf Betreiben des Bundesrates angerufene Vermittlungsausschuss hatte erst am Mittwoch einen Kompromiss gefunden, den der Bundestag am Donnerstag billigte. Koalition und Union standen unter starkem Zeitdruck, da das Bundesverfassungsgericht bis zum 30. Juni eine Neufassung des so genannten Großen Lauschangriffs verlangt hatte.

Klage von FDP-Politikern

Gegen das Gesetz hatten mehrere FDP-Politiker geklagt, unter ihnen die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die 1996 wegen der Einführung des Lauschangriffs zurückgetreten war. Die FDP, die damals in der Regierung Kohl das Gesetz noch mittrug, tritt inzwischen für eine Abschaffung des Lauschangriffs ein.

Das Verfassungsgericht hatte vor gut einem Jahr die bestehenden Regelungen für teilweise verfassungswidrig erklärt, weil sie gegen die Menschenwürde verstießen. Bei dem Kompromiss stimmte die Union auch Bestimmungen zu, die sie zuvor kritisiert hatte. Ohne ein neues Gesetz wäre das Lauschen in Wohn- und Geschäftsräumen ab dem 1. Juli nicht mehr zulässig gewesen.

Der sächsische Justizminister Geert Mackenroth (CDU) äußerte im Bundesrat allerdings Zweifel, ob das jetzt verabschiedete Gesetz für eine effiziente Verbrechensbekämpfung praktikabel ist. Seine Bemerkung zielt auf die Vorschrift, dass die Polizei beim Abhörung die Aufzeichnungsgeräte abstellen muss, so bald die Gespräche den privaten Bereich berühren.

Ausnahme nur bei Bedrohung

Das Gesetz setzt damit die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts um, wonach der Kernbereich privater Lebensgestaltung absolut geschützt ist. Die Union wollte hingegen alle Gespräche aufzeichnen und später einen Richter entscheiden lassen, was gelöscht werden muss.

Der Vermittlungskompromiss erweitert den Katalog der Straftaten, bei denen abgehört werden darf. Dies betrifft den Verdacht auf eine gewerbs- oder bandenmäßige Fälschung von Zahlungskarten, Schecks und Wechseln sowie bestimmte Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Das Abhören von Gesprächen mit so genannten Berufsgeheimnisträgern - Rechtsanwälten, Notaren, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Ärzten, Abgeordneten und Journalisten - bleibt unzulässig. Werden im Einzelfall solche Gespräche dennoch versehentlich erfasst, sind die Aufzeichnungen zu löschen. Die Informationen dürfen grundsätzlich nicht verwertet werden. Eine Ausnahme soll nur gemacht werden, wenn terroristische Anschläge drohen.

Der Bundesrat hat eine Reihe von weiteren Kompromissen aus dem Vermittlungsverfahren zwischen Länderkammer und Bundestag gebilligt. Bei weiteren Gesetzesvorhaben stieß Rot-Grün allerdings auf Widerstand.

Die wichtigsten Entscheidungen im Überblick:

Ladenschluss:

Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland sollen die Läden länger öffnen. Zugleich forderte der Bundesrat, den Ländern die volle Kompetenz für die Regelung des Ladenschlusses zu übertragen.

Lärm:

Gesundheitsgefährdender Lärm soll deutlich reduziert werden. Der Bundesrat verabschiedete das von Rot-Grün vorgelegte Gesetz, nachdem sich Koalition und Union auf eine abgeschwächte Regelung verständigt hatten. Die EU hatte den Mitgliedstaaten auferlegt, den Lärm in Ballungsräumen zu verringern.

Mindestlohn:

Der Bundesrat ist gegen einen Mindestlohn. Die unionsdominierte Kammer machte klar, dass sie gegen die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen stimmen wird. Rot-Grün will damit das Lohndumping vor allem durch osteuropäische Billigarbeitnehmer bekämpfen. Ausländische Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, ihren nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern den deutschen tariflichen Mindestlohn zu zahlen.

Wettbewerb:

Unternehmen können sich künftig leichter zusammenschließen. Der Bundesrat verabschiedete eine Kartellrechtsnovelle, die das Anmelde- und Genehmigungsverfahren für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen abschafft. Die ursprünglich auch vorgesehene Erleichterung von Pressefusionen wurde vom Vermittlungsausschuss gestrichen.

Energie:

Das neue Energiewirtschaftsrecht kann nach monatelangen Auseinandersetzungen wie geplant am 1. Juli in Kraft treten. Der Bundesrat verabschiedete das Gesetz, nachdem sich Union und SPD im Vermittlungsausschuss geeinigt hatten. Ob das Gesetz für sinkende Endverbraucherpreise sorgen wird, ist umstritten. Das Energiewirtschaftsgesetz setzt eine EU-Richtlinie um und soll für mehr Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt sorgen.

Beamte:

Der Bundesrat lehnt die von der Bundesregierung geplanten Abstriche bei den Beamtenpensionen ab. Bei der ersten Beratung wurde deutlich, dass die von der Union beherrschte Länderkammer das Versorgungs-Nachhaltigkeitsgesetz nicht mittragen will. Damit sollen die in der Rentenversicherung bereits vorgenommenen Einschnitte "wirkungsgleich" auf die Beamtenversorgung übertragen werden.

Baukultur: Mit einem Veto im Bundesrat ist die geplante Bundesstiftung Baukultur vorerst gestoppt. Die Länderkammer rief den Vermittlungsausschuss an, weil sie ihre Kulturhoheit verletzt sah. Wegen der angestrebten Bundestagsneuwahl sind die Chancen für das Gesetz jetzt deutlich gesunken.

Bürokratieabbau:

Nach dem Willen des Bundes sollen zahlreiche überflüssige Gesetze gestrichen werden. Der Bundesrat erhob dagegen keine grundsätzlichen Einwände. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sprach von einem zentralen Projekt des Bürokratieabbaus. Nach dem Vorhaben der Bundesregierung sollen allein in den Ressorts Verbraucherschutz, Inneres, Justiz sowie Wirtschaft und Arbeit 350 Gesetze gestrichen werden.

Ernährung:

Nach Futter- und Lebensmittelskandalen in der EU wird die Nahrungssicherheit "vom Stall bis zum Teller" verbessert. Der Bundesrat verabschiedete das Gesetz zur Neuordnung des Lebens- und Futtermittelrechts, nachdem Koalition und Opposition im Vermittlungsausschuss einen Kompromiss gefunden hatten. Künftig können sich die Verbraucher bei Behörden besser über mögliche Gesundheitsgefahren durch Lebensmittel oder über Schadstoffgrenzwerte informieren.

Verkehr:

Der Bundesrat hat Vorbehalte gegen das von der Koalition vorgelegte Planungs-Beschleunigungsgesetz und fordert seine grundlegende Überarbeitung. Mit dem Gesetz soll der Klageweg bei öffentlichen Bau- und Verkehrsprojekten auf eine Instanz verkürzt werden. Wegen der angestrebten Neuwahl ist das Vorhaben voraussichtlich hinfällig.

Zwangsheirat:

Berlin will Zwangsehen unter Strafe stellen und die Rechte von Opfern stärken. Einen entsprechenden Gesetzentwurf brachte das Land in den Bundesrat ein. Nach dem Willen von Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) soll Zwangsheirat als Tatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden.

Justiz:

Schöffen an deutschen Gerichten sollen nicht nur die deutsche Staatsangehörigkeit haben, sondern auch Deutsch können. Nach einem von Rheinland-Pfalz eingebrachten Gesetzesantrag sollen künftig keine Schöffen mehr berufen werden, die nicht über hinreichende Sprachkenntnisse verfügen.

DPA
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