Chebli und Künast zu "HateAid" Der Justizminister will Gelder für Opfer digitaler Gewalt kürzen – für uns ein fataler Fehler!

  • von Renate Künast und Sawsan Chebli
Die Politikerinnen Renate Künast (l.) und Sawsan Chebli engagieren sich seit Jahren gemeinsam gegen Hass im Netz
Die Politikerinnen Renate Künast (l.) und Sawsan Chebli engagieren sich seit Jahren gemeinsam gegen Hass im Netz
© Christophe Gateau/ Jens Krick / Picture Alliance
Das Internet wird immer toxischer. Und was macht der Bundesjustizminister? Will die Mittel für HateAid, einer Anlaufstelle für Opfer digitaler Gewalt, kürzen. Wir beide können uns gegen Hass im Netz wehren. Viele andere nicht. Ein Gastbeitrag.

Die Ankündigung des Bundesjustizministers, Organisationen, die sich gegen digitale Gewalt und für einen demokratischen Umgang im Netz einsetzen, zu streichen, ist ein fatales Signal- für Betroffene und Täter.  

Unter anderem trifft es HateAid, der einzigen bundesweit tätigen Beratungsstelle mit dem Schwerpunkt digitale Gewalt und damit zentraler Anlaufpunkt für Hilfesuchende. Ihr sollen die Mittel für Beratung, Information und Analyse gestrichen werden.   

Warum wir das für einen fatalen Fehler halten?  

Renate Künast, eine Frau mit Brille, gestikuliert
Renate Künast, Bundestagsabgeordnete (Die Grünen)
© Jens Krick / Picture Alliance

Soziale Medien gelten als Hochburgen der Meinungsfreiheit und demokratischer Teilhabe. Doch sie entwickeln sich zunehmend zu Angstorten. Wir wissen, dass sich rechtsextreme Netzwerke zu orchestrierten Shitstorms verabreden und mit gezielten Angriffen versuchen, politische Gegner mundtot zu machen oder zu diskreditieren. Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, hat sich die Lage weiter verschärft. Laut der "Hate Speech Forsa Studie 2023" haben 76 Prozent der Befragten aus Deutschland schon Hate Speech im Internet wahrgenommen. Bei den 14- bis 24-Jährigen sind es 89 Prozent. 

Das Netz wird immer toxischer, brutaler, immer gewalttätiger. Mit dem Ergebnis, dass sich immer mehr Menschen wegen rassistischer, misogyner oder queerfeindlicher Angriffe aus dem Netz zurückziehen. 

Von den Kommunen wissen wir, dass sie inzwischen Probleme haben, Menschen zu finden, die bereit sind, sich politisch zu engagieren oder für ein Amt zu kandidieren. Viele erscheinen nicht mal mehr zu Veranstaltungen. 

Soziale Plattformen bieten keinen effektiven Schutz gegen Hass im Netz

Vor allem sind Frauen von digitaler Gewalt betroffen.  Ihnen droht neben Hass und Cybermobbing zusätzlich noch geschlechterspezifische digitale Gewalt. Dazu gehören Cyberstalking, geklaute oder gefälschte Nacktbilder, die gegen ihren Willen veröffentlicht werden und sexuelle Belästigung wie unerwünschte Dickpics. Wir beide haben deshalb schon 2019 gemeinsam dazu aufgerufen, gegen digitale Gewalt vorzugehen und insbesondere Frauen besser zu schützen.  

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Sawsan Chebli
Sawsan Chebli, Aktivistin und Autorin, war bis Ende 2021 Staats­sekretärin für bürgerschaftliches Engagement in Berlin (SPD)
© Christophe Gateau / Picture Alliance

Denn wir wissen aus eigener Erfahrung, was es heißt, täglich mit digitaler Gewalt überschüttet zu werden. Wir kennen die organisierten Angriffe mit dem Ziel, uns aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Der Hass lässt niemanden kalt, auch uns nicht, aber wir beide wissen, wie wir uns dagegen wehren können, politisch und juristisch. Die Mehrheit der von digitaler Gewalt betroffenen Menschen steht allein da, ohnmächtig gegenüber einem übermächtig erscheinenden digitalen Monster.  

Die sozialen Plattformen bieten hier keinen effektiven Schutz. Betroffene haben leider so gut wie keine Lobby. Sie können sich bei Straftaten an die Polizei wenden. Doch hier fehlt es oft an Sensibilität im Umgang mit digitaler Gewalt. Darüber hinaus haben sie bisher wenige Mittel in der Hand, um sich zu wehren und zu schützen.  

Deshalb kämpfen wir dafür, dass Betroffene die notwendigen Werkzeuge erhalten, um sich gegen digitale Gewalt verteidigen zu können. Auf politischer Ebene verfolgen wir zwei zentrale Vorhaben gegen Hass im Netz – den Digital Services Act und das Gesetz zum Schutz vor digitaler Gewalt. Mit ersterem wurde das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf die europäische Ebene gehoben und  weitere Pflichten für die großen Internetkonzerne hinzugefügt, damit diese gegen Hass und Falschinformationen auf ihren Plattformen vorgehen müssen. Tun sie das nicht, drohen hohe Strafen.

Es braucht mehr und nicht weniger Hilfe für Betroffene

Im Koalitionsvertrag bekennt sich die Bundesregierung zudem zum Kampf gegen digitale Gewalt. "Mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt werden wir rechtliche Hürden für Betroffene, sowie Lücken bei Auskunftsrechten, abbauen und umfassende Beratungsangebote aufsetzen". Erst vor kurzem hat der Bundesjustizminister ein erstes Eckpunktepapier dazu der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Digital Services Act und ein umfassendes Digitales Gewaltschutzgesetz müssen nun zeitnah verabschiedet werden.   

Es braucht mehr und nicht weniger Hilfe für Betroffene, das ist  also die eindeutige Botschaft des Koalitionsvertrages.  

Umso weniger verstehen wir, dass nun der einzigen bundesweit tätigen Beratungsstelle die finanzielle Unterstützung gestrichen werden soll. Die Streichung der Förderung bedeutet ganz konkret, dass HateAid im schlimmsten Fall Betroffene abweisen muss, die in einer Notlage Hilfe suchen. Diese Beratungsarbeit ist aber Voraussetzung dafür, dass Betroffene erfahren, welche Rechte und Möglichkeiten sie haben, sich zu schützen und es ist eine Chance zu verhindern, dass sich noch mehr Menschen aus dem öffentlichen Raum zurückziehen, weil sie Gewalt dort nicht mehr ertragen.  

Das Ende der Unterstützung ist ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen und noch dazu das falsche Signal an die Hater. Letztere dürften sich dadurch bestärkt sehen, denn die Botschaft an sie lautet: Ihr könnt weitermachen.  

Wir und viele andere, die sich im Land für die Demokratie einsetzen, erwarten von einem Bundesjustizminister, den Schutz der Demokratie und den Kampf gegen Hass, Mobbing und Rechtsextremismus zu seiner Hauptaufgabe zu machen. 

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